Zeitschrift für Theoretische Soziologie https://www.uni-muenster.de/Ejournals/index.php/zts <p>Die <em>Zeitschrift für Theoretische Soziologie</em> (ZTS) ist eine soziologische Fachzeitschrift, die sich ausdrücklich als ein Forum für die soziologische Theoriediskussion versteht. Ziel der ZTS ist es, die wissenschaftlichen Diskussionen zwischen unterschiedlichen Theorierichtungen wie auch allgemein den Austausch zwischen theoretischer und methodologischer Grundlagenforschung, zwischen methodischen Reflexionen und Verfahren und den vielfältigen empirischen Forschungsprogrammen und Spezialdisziplinen der Soziologie zu fördern.</p> Institut für Soziologie, Universität Münster de-DE Zeitschrift für Theoretische Soziologie 2195-0695 Affektivität als Herausforderung für die soziologische Theorie. Einleitende Anmerkungen https://www.uni-muenster.de/Ejournals/index.php/zts/article/view/6298 <p>Im öffentlichen Diskurs lassen sich seit einigen Jahren verstärkt Dynamiken der Emotionalisierung, Politisierung und aufmerksamkeitsökonomischen Polarisierung beobachten. Im soziologischen Diskurs werden diese Dynamiken bisher vor allem vor dem Hintergrund von Fragen der öffentlichen Rolle der Soziologie und hinsichtlich ihrer ›Positionierung‹ verhandelt (siehe für eine Systematisierung aktueller Strömungen Hoppe 2023). Mit dem vorliegenden Themenschwerpunkt wollen wir daran anschließend das Spannungsverhältnis von Affektivität und soziologischer Theoriebildung in den Blick nehmen. Denn gesellschaftliche Problemlagen wie die Klimakrise, die Corona-Pandemie oder neurechte Bewegungen sowie damit einhergehende Verschiebungen des öffentlichen Diskurses stellen nicht nur Gesellschaft und Politik, sondern auch die soziologische Theorie vor neue Herausforderungen.2 Dabei schlagen wir grundsätzlich vor, den diametralen Gegensatz von abstrakter Theoriearbeit einerseits und affizierten Narrativen andererseits zu verwerfen. Stattdessen gehen wir von einer fundamentalen Verwobenheit von Affektivität und Reflexivität innerhalb der soziologischen Theoriebildung aus, die alle ihre Begriffe, Motive, Figuren, Argumente, Metaphern und Erzählungen betrifft. Jede Theoriearbeit, so unsere Annahme, von mühsam empirisch erarbeiteten Hypothesen bis hin zur abstrakten Gesellschaftstheorie, basiert immer auch auf einer Verhandlung des<br>Verhältnisses von Affektivität und Reflexivität. Der Themenschwerpunkt versteht sich in diesem Sinne als Beitrag zu einer soziologischen Reflexion des Verhältnisses von Theoriebildung und Affizierung. Dabei lassen sich Erkenntnisgewinn und Bedeutung einer Theorie weder an ihrer soliden Begriffsbildung und logischen Argumentationsarbeit noch an ihrer dramatischen Zuspitzung und emotionalen Wirkkraft festmachen. Vielmehr bedarf es einer dynamischen und deutungsoffenen Perspektive auf das Verhältnis von Theoriebildung und Affektivität, das weder zur einen noch zur anderen Seite hin je vollständig aufgelöst werden kann.</p> Sarah Mönkeberg Moritz von Stetten Copyright (c) 2025 Zeitschrift für Theoretische Soziologie https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/ 2025-02-17 2025-02-17 12 2 10.17879/zts-2023-6298 Narrative Soziologien. Erzählen als Methode in den Sozialwissenschaften https://www.uni-muenster.de/Ejournals/index.php/zts/article/view/6299 <p>Der Beitrag stellt Ansätze narrativer Soziologien vor, die sich seit dem Narrative Turn in den Sozialwissenschaften etabliert haben. Ihnen ist gemein, dass sie liminale Schreibpraktiken einfordern, die zwischen öffentlichen Anliegen und fachlicher Wissensproduktion vermitteln sollen. Insbesondere dem expressiven Erzählen wird in narrativen Soziologien die Funktion zugeschrieben, reflexive Sichtweisen zu generieren und zum Handeln zu aktivieren. Da eine soziologische Erzähltheorie bislang nur in Ansätzen existiert, stehen zum einen die Eigenschaften und Funktionen im Mittelpunkt, die dem Erzählen für die soziologische Wissensproduktion und -vermittlung zugeschrieben werden. Daneben werden zum anderen die normativen Vorannahmen rekonstruiert, die mit narrativen Textverfahren in Verbindung gebracht werden. Denn narrative Soziologien transportieren Verständnisse von ›richtiger‹ und ›falscher‹ soziologischer Schreibpraxis, die in der Forschungspraxis meist nur latent wirksam sind.</p> <p>The paper presents approaches of narrative sociologies that have been established in the social sciences since the narrative turn. They have in common that they call for liminal writing practices that are supposed to mediate between public concerns and professional knowledge production. In narrative sociologies, expressive narrative is seen as having the function of generating reflexive perspectives and activating action. Since a sociological theory of narrative exists only in rudiments so far, the focus is on the one hand on the properties and functions attributed to narrative for sociological knowledge production and transmission. In addition, the normative presuppositions associated with narrative textual processes are reconstructed. This is because narrative sociologies convey understandings of ›right‹ and ›wrong‹ sociological writing practices that are usually only latently operative in research practice.</p> Carolin Amlinger Copyright (c) 2025 Zeitschrift für Theoretische Soziologie https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/ 2025-02-17 2025-02-17 12 2 10.17879/zts-2023-6299 »Das Elend der Welt« und seine Zumutungen https://www.uni-muenster.de/Ejournals/index.php/zts/article/view/6300 <p>Die Auseinandersetzungen darüber, welche Formen von Nähe und Distanz zum Forschungsgegenstand angemessen erscheinen, sind Grundelemente soziologischer Reflexivität. Allerdings richtet sich das Hauptaugenmerk häufig auf den Forschungsprozess selbst, nicht unbedingt auf die textuellen Erzeugnisse der Forschungsarbeit, die – so unser Argument – ebenfalls bestimmte Nähe-Distanz-Verhältnisse dokumentieren und nahelegen, mithin auch Affekte in der Rezeption evozieren. Diese Schieflage gilt es zu korrigieren. Im Artikel wird die textuelle Performanz und affizierende Wirkung soziologischer Texte exemplarisch an der Studie Das Elend der Welt (DEW) von Pierre Bourdieu und Kolleg*innen aufgezeigt, die wir als Prototyp eines eigenen Genres engagierter Sozialforschung verstehen. Neben der grundsätzlichen Bedeutung von Affekten für soziologische Gegenwartsanalysen interessieren wir uns vor allem für die spezifische textuelle Bau- und Erzählweise der Untersuchung und ihrer Nachfolgestudien und stellen Überlegungen an, wie eine empirische Vertiefung der Analyse dieses soziologischen Textgenres aussehen könnte.</p> <p>The debates about involvement and detachment regarding our research objects are basic elements of sociological reflexivity. However, the main focus of these discussions is often on the research process itself, not necessarily on the textual products of the research work, which – according to our argument – also document and suggest certain types of involvement and detachment, and thus also evoke affects in reception. This disbalance needs to be corrected. In this article, the textual performance and affecting effects of sociological texts are exemplified by our analysis of the study The misery of the world by Pierre Bourdieu and colleagues, which we consider as a prototype of a genre of engaged social research. In addition to the fundamental significance of affects for contemporary sociological analyses, we are above all interested in the specific textual construction and narrative style of the study and its replications. Finally, we discuss directions for further investigating this sociological text genre.</p> Julia Reuter Oliver Berli Copyright (c) 2025 Zeitschrift für Theoretische Soziologie https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/ 2025-02-17 2025-02-17 12 2 10.17879/zts-2023-6300 Sym fiction. Storytelling als affiziertes Theoretisieren bei Donna Haraway https://www.uni-muenster.de/Ejournals/index.php/zts/article/view/6301 <p>Dieser Beitrag untersucht die ästhetisch-theoretische Strategie des Storytelling im Werk Donna Haraways. Vor dem Hintergrund der Werkentwicklung sowie der über die Wissenschaft hinausreichenden Popularität Haraways wird gezeigt, welche formal-stilistischen und atmosphärischen Affizierungstechniken beim Storytelling eingesetzt werden. Als zentrale Verfahren werden die Ironie, die Musterbildung und Figuren bzw. Figurationen herausgearbeitet und auf den Status der Autorinnenfigur bezogen. In einem exemplarischen Vergleich des Cyborg Manifests als Schlüsseltext des Frühwerks und dem jüngsten Buch "Staying with the Trouble" analysiert der Beitrag, wie Haraway auf die zeithistorisch veränderte Problemlage der ökologischen Krise auch mit einer Umstellung der Affizierungstechniken reagiert: Von der Ironie der Cyborgfigur hin zur stärker postironischen Figur des Komposts. Anhand der sym fiction und der kontroversen Debatte um die Frage der Bevölkerung im Chthuluzän soll es schließlich darum gehen, welche problematischen Effekte, Auslassungen und Verselbstständigungen mit der Kompostfigur einhergehen. Indem die Perspektive über den Text hinaus auch um die Rezeptionsseite erweitert wird, kann nicht nur erklärt werden, wie Haraways Texte affizieren, sondern auch, wie das Affiziertwerden der Lesenden im Denkkollektiv zur Zirkulation – und damit zum Schillern – der Figur Haraway beiträgt.</p> <p>This paper examines the aesthetic-theoretical strategy of storytelling in Donna Haraway’s work. Considering the genealogy of the work as well as Haraway’s popularity beyond academia, the article shows which formal-stylistic and atmospheric techniques are employed in Haraway’s storytelling. Irony, patterns, and figures/figurations are sketched out as central techniques and discussed in terms of the role of the author-figure. In a comparison of the Cyborg Manifesto as a key text of the early work and the most recent book Staying with the Trouble, the article shows how Haraway reacts to the shifting problem of the ecological crisis with different techniques of affect: From the irony of the cyborg figure to the more post-ironic figure of the compost. Finally, referring to sym fiction and the controversial debate on the trope of population in the Chthulucene, I will focus on the problematic effects associated with the compost figure. By broadening the perspective beyond the text, the aim is not only to explain how Haraway’s texts use affect, but also how being affected by the reader contributes to the dynamic of thought collectives and thus to Haraway’s popularity.</p> Elena Beregow Copyright (c) 2025 Zeitschrift für Theoretische Soziologie https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/ 2025-02-17 2025-02-17 12 2 10.17879/zts-2023-6301 Trost spenden. Über das Versprechen der Zukunft in der ›kritischen‹ Sozialtheorie https://www.uni-muenster.de/Ejournals/index.php/zts/article/view/6302 <p>In diesem Beitrag wird die These vertreten, dass das Versprechen der Zukunft in der ›kritischen‹ Sozialtheorie einem spezifischen Verständnis von Trostspenden entspricht, wie es sich auch in den Konsolationsschriften der Antike findet. Anstatt das Leiden einfach hinzunehmen, über es hinwegzutrösten, wie es für das moderne Trostverständnis charakteristisch ist, halten die Texte der antiken Consolatio die zu Tröstenden dazu an, ihr Leiden aktiv selbst zugunsten einer wesentlich besseren Zukunft zu überwinden. Diese Struktur der Anrufung taucht auch in Texten der ›kritischen‹ Sozialtheorie auf, was anhand von Marx’ und Engels’ »Manifest der kommunistischen Partei« (1848), Benjamins »Geschichtsphilosophischen Thesen« (1940) und Latours Kampf um Gaia (2015) exemplarisch demonstriert werden soll. Der aktivierende Trost der ›kritischen‹ Sozialtheorie zielt auf die Errichtung einer ›heilen Gesellschaft‹; doch um die ›gesellschaftlichen Pathologien‹ hinter sich zu lassen, ist ein offener Kampf, eine Revolution erforderlich. Zum Schluss wird gezeigt, dass die diametral entgegengesetzten Weltverhältnisse des aktivierenden und passivierenden Trostspendens auf fundamentale Unterschiede in der Auseinandersetzung mit dem menschlichen Tod zurückzuführen sind.</p> <p>This paper argues that the promise of the future in ›critical‹ social theory corresponds to a specific understanding of consolation as constituted in the consolation writings of antiquity. Rather than simply accepting suffering, consoling over it, as is characteristic of the modern understanding of consolation, the texts of the ancient Consolatio urge those to be consoled to actively overcome their suffering themselves in favor of a much better future. This structure of interpellation also appears in texts of ›critical‹ social theory, which will be exemplified by Marx’ and Engels’ »The Communist Manifesto« (1848), Benjamin’s »Theses on the Philosophy of History« (1940), and Latour’s Facing Gaia (2015). The activating consolation of ›critical‹ social theory aims at the establishment of an ›wholesome society‹; but to leave behind the ›social pathologies‹ an open struggle, a revolution, is required. In conclusion, the paper shows that the diametrically opposed world relations of activating and passivating consolation can be traced back to fundamental differences in dealing with human death.</p> Jakob Schultz Copyright (c) 2025 Zeitschrift für Theoretische Soziologie https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/ 2025-02-17 2025-02-17 12 2 10.17879/zts-2023-6302 Hannah Vermaßen (2023): Die Resonanzfähigkeit des Wirtschaftssystems für die deutsche Energiewende https://www.uni-muenster.de/Ejournals/index.php/zts/article/view/6303 <p>Mit ihrem Buch "Die Resonanzfähigkeit des Wirtschaftssystems für die deutsche Energiewende" hat Hannah Vermaßen, Postdoktorandin an der Professur für Politische Theorie der Universität Erfurt, das gleichzeitig ihre 2021 eingereichte und mit höchstem Lob abgeschlossene sowie 2023 mit dem Promotionspreis der Universität Erfurt ausgezeichnete Dissertationsschrift darstellt, eine in vielen Belangen außergewöhnliche Schrift vorgelegt. Um es gleich vorwegzusagen: Obgleich ich die anderen, für den Promotionspreis der Universität Erfurt nominierten Arbeiten nicht kenne und folglich deren Qualität nicht einschätzen kann, wage ich dennoch zu behaupten, dass dort eine gute Wahl getroffen und eine verdiente Siegerin gefunden wurde. Denn die von Vermaßen vorgelegte Studie zeigt nicht zuletzt in glänzender Weise auf, wie eine der schwierigsten handwerklichen soziologischen Aufgaben überzeugend und erkenntnisfördernd umgesetzt werden kann: die Verbindung von Theorie und Empirie (Kalthoff/Hirschauer/Lindemann 2008).</p> Simon Egbert Copyright (c) 2025 Zeitschrift für Theoretische Soziologie https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/ 2025-02-17 2025-02-17 12 2 10.17879/zts-2023-6303 Zeichen, nichts als Zeichen? https://www.uni-muenster.de/Ejournals/index.php/zts/article/view/6106 <p><span dir="ltr" role="presentation">Die Herausgeber:innen der </span><span dir="ltr" role="presentation">Zeitschri</span><span dir="ltr" role="presentation">ft</span><span dir="ltr" role="presentation"> für </span><span dir="ltr" role="presentation">Th</span><span dir="ltr" role="presentation">eoretische Soziologie</span><span dir="ltr" role="presentation">, Marc Mölders, Jasmin </span><span dir="ltr" role="presentation">Siri und Joachim Renn, geben mir auf Anregung von Rainer Schützeichel die Möglich</span><span dir="ltr" role="presentation">keit, den Ansatz, der mit dem Buch </span><span dir="ltr" role="presentation">Die Evolution der Religion. Ein soziologischer Grund</span><span dir="ltr" role="presentation">riss</span><span dir="ltr" role="presentation"> (2021; im Folgenden: ER) vorgelegt wird, in Aufsatzform zu präsentieren und dis</span><span dir="ltr" role="presentation">kutieren zu lassen.</span><span dir="ltr" role="presentation"> Der Kollegin und den Kollegen sei dafür gedankt. Es versteht sich, </span><span dir="ltr" role="presentation">dass ein Entwurf, der im besagten Buch bereits gut 300 Seiten (plus rund 140 Seiten </span><span dir="ltr" role="presentation">Anmerkungen) einnimmt und dessen Ausarbeitung überdies auf drei Bände angelegt ist, </span><span dir="ltr" role="presentation">nicht in der Form eines Aufsatzes dargelegt werden kann. Daher summiere ich hier nur </span><span dir="ltr" role="presentation">Wesentliches und verweise im Übrigen auf die entsprechenden Stellen im Buch; außer</span><span dir="ltr" role="presentation">dem mache ich von Literaturhinweisen nur sporadisch Gebrauch. Die im ersten Teil prä</span><span dir="ltr" role="presentation">sentierten allgemeinen sozial- und gesellscha</span><span dir="ltr" role="presentation">ft</span><span dir="ltr" role="presentation">stheoretischen Erwägungen beziehe ich </span><span dir="ltr" role="presentation">im zweiten, umfangreicheren Teil auf Religion – in der Ho</span><span dir="ltr" role="presentation">ff</span><span dir="ltr" role="presentation">nung, dass der erste Teil, </span><span dir="ltr" role="presentation">der sich auf hohem Abstraktionsniveau be</span><span dir="ltr" role="presentation">fi</span><span dir="ltr" role="presentation">ndet, dadurch konkreter und ›anschaulicher‹ </span><br role="presentation"><span dir="ltr" role="presentation">wird. Ein Resümee und Schlussfolgerungen runden den Beitrag ab.</span></p> Volkhard Krech Copyright (c) 2025 Zeitschrift für Theoretische Soziologie https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/ 2025-02-17 2025-02-17 12 2 10.17879/zts-2023-6106 Die Religion als Paradebeispiel der Selbstreferentialität – Gedanken zu Volkhard Krechs »Die Evolution der Religion« https://www.uni-muenster.de/Ejournals/index.php/zts/article/view/6292 <p>Die Religion als Gegenstand soziologischer Theorie besitzt eine lange Tradition. Ob Emile Durkheim (1981 [1912]), ob Max Weber (1920/21) oder Georg Simmel (2004 [1906/1912]), immer erwies sich die Religion als guter Bezugspunkt grundsätzlichere Theoriegebilde von Gesellschaft zu konstruieren (Gärtner/Pickel 2019). Dieser Überzeugung war später auch Niklas Luhmann (1982, 2002), und selbst Ulrich Beck mit seinen individualisierungstheoretischen Gedanken ist nicht um die Religion als einer gewichtigen Einheit der Gesellschaft herumgekommen (Beck 2008). Danach wurde es allerdings ruhiger um die soziologische und gesellschaftstheoretische Beschäftigung mit Religion. Doch in jüngerer Zeit erfährt diese eine gewisse Wiederbelebung – und dies nicht nur mit Blick auf die internationale Auseinandersetzung, wie in Charles Taylors Säkular Age (2007). Ob in der fundamentalen Religionsgeschichte Wolfgang Essbachs (2014, 2019; auch Delitz et al. 2019), der Verbindung historischer und soziologischer Gegenwartsbeschreibung Detlef Pollacks (2020; Pollack/Rosta 2015)1 oder in dem breit angelegten Versuch Volkhard Krechs, die Entstehungsgeschichte wie Bedeutung von Religion im Sinne einer Evolution der Religion auszuarbeiten (Krech 2021). Letzterer ist Referenzpunkt des vorliegenden Aufsatzes.</p> Gert Pickel Copyright (c) 2025 Zeitschrift für Theoretische Soziologie https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/ 2025-02-17 2025-02-17 12 2 10.17879/zts-2023-6292 Drei Fragen zu Volkhard Krechs »Die Evolution der Religion« https://www.uni-muenster.de/Ejournals/index.php/zts/article/view/6293 <p>Nun hat Volkhard Krech, von Haus aus ein Religionswissenschaftler "Die Evolution der Religion. Ein soziologischer Grundriss" vorgelegt, der eingestandenermaßen den Leserinnen und Lesern zumutet, »zunächst die ›Trockenübungen‹ mitzumachen, bevor es ins ›Wasser‹ und ans ›Schwimmen‹ geht.« (Krech 2021: 26) Charles Sanders Peirce folgend geht es Krech dabei um die Entfaltung eines abduktiven Zusammenhangs von Theoriebildung und empirischer Analyse, bei dem vor den induktiven und deduktiven Arbeitsschritten eine Abduktion, eine erklärende Hypothese gebildet wird, die anzeigt, dass etwas sein könnte. Dies führt in der Praxis bei Krech dazu, dass es zu mehreren Anläufen kommt, die Ausdifferenzierung von Religion aufzuzeigen und einzelne empirische Sachverhalte mit einzelnen theoretischen Überlegungen in Beziehung zu setzen. Diese Vorgehensweise wird von Krech mit bewundernswerter Konsequenz beibehalten. Krech gelingt es, nach der Vorstellung seiner »Erkenntnistheorie des Religiösen« (Krech 2021: 27) einen imposanten Reichtum von religionsgeschichtlichem Material in weitreichende theoretische Reflexionen einzuflechten. Dieses im Einzelnen zu diskutieren, erfordert mehrere interdisziplinäre Tagungen, auf die sich alle, die sich der Religionsforschung widmen, freuen können.<br>Ich beschränke mich in diesem Beitrag auf drei Fragen:<br>1. Ist Volkhard Krech ein Systemtheoretiker?<br>2. Kann »Religion« oder »Religiosität« evolvieren?<br>3. Ist Transzendenz der letzte Begriff für einen wissenschaftlichen Religionsbegriff?</p> Wolfgang Eßbach Copyright (c) 2025 Zeitschrift für Theoretische Soziologie https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/ 2025-02-17 2025-02-17 12 2 10.17879/zts-2023-6293 Kommunikative Omnisignifikanz und Religion als evolutionäre Notwendigkeit https://www.uni-muenster.de/Ejournals/index.php/zts/article/view/6294 <p>Zunächst zur Frage, was diese große Theorie charakterisiert. Denn Krech will nicht leidglich eine weitere neue Theorie der Religion kreieren, sondern eine Theoriesynthese leisten, die mit einem weitreichenden Anspruch verknüpft ist: »Mit dieser Theoriesynthese ist die Hoffnung verbunden, eine Art von Metatheorie zu erreichen« (Krech 2021 2: 354, Fn. 83). Metatheorien weisen allerdings die Tendenz auf, das gesamte Weltverständnis in ein Theoriemodell einzuschließen, in dem – im hegelianischen Sinne – alles enthalten und zugleich aufgehoben ist. Dieses Merkmal durchzieht das Projekt und könnte als allumfassender Erklärungsanspruch wahrgenommen werden, also als der Versuch, eine Weltformel zu gewinnen, mit der sich alles betrachten, verstehen und erklären lässt. Krech reklamiert, »den alten methodologischen Widerspruch von Erklären und Verstehen wenn nicht aufzulösen, so doch zu vermitteln« (ER: 169). So ist es überaus bemerkenswert, dass die von Krech entworfene Religionstheorie als definitive Theorie auftritt – wie sollte man den mitkommunizierten Anspruch dieses ambitionierten Projekts sonst verstehen?</p> Bernt Schnettler Copyright (c) 2025 Zeitschrift für Theoretische Soziologie https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/ 2025-02-17 2025-02-17 12 2 10.17879/zts-2023-6294 Religionssoziologische Theorie auf dem Prüfstand https://www.uni-muenster.de/Ejournals/index.php/zts/article/view/6295 <p>Der anregende und theoriegesättigte Text von Volkhard Krech – ich habe das hier abgedruckte Resümee und Teile des Buches mit Gewinn gelesen – verdient eine kräftige Würdigung, und dies schon deshalb, weil sich die Argumentation der bequemen Zugänglichkeit entzieht, eine ungewöhnliche Dichte aufweist, sich auf einem hohen argumentativen Anspruchsniveau bewegt, als Ganzes im Grunde unleserlich ist und daher wohl auch nur von wenigen studiert wird. Es mag durchaus sein, dass jedes Argument genauer Prüfung standzuhalten vermag. Das Buch ist gleichwohl weitgehend unzugänglich und in der Vielfalt seiner Aspekte kaum erschließbar, da es sich nicht darum bemüht, die Gedanken so einfach, sondern so umfassend wie möglich zu entfalten. In dieser barocken Fülle geht die Nachvollziehbarkeit der Gedankenführung verloren, und irgendwann fragt sich der<br>überanstrengte Leser, ob der intellektuelle Gewinn die Mühe lohnt [...]. Die meisten, die das Buch zur Hand nehmen, werden es wohl so behandeln, wie es ein Rezensent getan hat, der es lobt, ohne auch nur eine einzige Aussage zu zitieren, zu diskutieren oder zu kritisieren. Das ist bedauerlich, denn das Buch enthält viele weiterführende Ideen, die es wert sind, weiter verfolgt zu werden. Drei davon möchte ich hier herausgreifen.</p> Detlef Pollack Copyright (c) 2025 Zeitschrift für Theoretische Soziologie https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/ 2025-02-17 2025-02-17 12 2 10.17879/zts-2023-6295 Symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien – ihr religiöses Problem https://www.uni-muenster.de/Ejournals/index.php/zts/article/view/6296 <p>Der sehr zitierfreudige Beitrag, mit dem ich mich im Folgenden an der kollegialen Diskussion von Krechs groß angelegtem Grundriss beteiligen möchte, bezieht sich nur auf ein kleines Stück im Teil I des Buches, in dem im Anschluss an Luhmann die »Medien der Kommunikation« verhandelt werden (Krech 2023: 185 ff.: 191 ff.; 2021: 59-76). Krechs Darlegungen halten sich hier, ausgehend von der Unterscheidung von »Medium und Form«, eng an die vertrauten Begriffs- und Theorievorgaben Luhmanns. Im Zentrum steht die Dreiheit von Sprache, Verbreitungsmedien (insbesondere Schrift, Buchdruck) und symbolisch generalisierten Kommunikationsmedien (auch ›Erfolgsmedien‹) (vgl. nur Luhmann 1984: 220 ff.). Krech (insbes. 2021: 69 ff.) hat diese Dreiheit religionsbezogen aufgenommen und seinem evolutionären Forschungsprogramm integriert, wobei ihm insbesondere die Kommunikationsmedien wichtig sind. Dies einerseits, weil diese Medien ihre strukturelle Relevanz vor allem darin haben, dass sie, wie er formuliert, »zur Ausdifferenzierung gesellschaftlicher Funktionssysteme« ›disponieren‹ (Krech<br>2021: 70); natürlich richtet sich der Blick dabei primär auf die Religion als Funktionssystem. Andererseits ist es die Frage nach dem spezifischen Kommunikationsmedium der Religion, zu deren Klärung es Krech drängt (Krech 2021: 71 ff.). Es sei schon hier<br>erwähnt, dass das Kernquartett der Erfolgsmedien, das Luhmann typisch in der Form einer Kreuztabelle präsentiert, einen religiösen Teilhaber nicht vorsieht.</p> Hartmann Tyrell Copyright (c) 2025 Zeitschrift für Theoretische Soziologie https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/ 2025-02-17 2025-02-17 12 2 10.17879/zts-2023-6296 Noch immer nichts in Sicht, außer Zeichen: Replik https://www.uni-muenster.de/Ejournals/index.php/zts/article/view/6297 <p>Zunächst danke ich allen an diesem Diskussionsforum Beteiligten für ihre Kommentare. Die reichhaltigen Beiträge zeugen davon, dass sich die Kollegen mit Précis und Buch (Krech 2021; im Folgenden Grundriss genannt und als ER zitiert), wenn auch mit verschiedenen Akzenten, so doch intensiv auseinandergesetzt haben. Die Replik reagiert auf die Kommentare nicht im Einzelnen, sondern erfolgt (aus Platzgründen) entlang ausgewählter Themen, die in ihnen zur Sprache kommen.</p> Volkhard Krech Copyright (c) 2025 Zeitschrift für Theoretische Soziologie https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/ 2025-02-17 2025-02-17 12 2 10.17879/zts-2023-6297