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Das Denken bleibt beim Menschen … Eindrücke von der Podiumsdiskussion „Die Digitalisierung und ihre Konsequenzen für die Geschichtswissenschaft. Strohfeuer oder Flächenbrand?“

Am 07.11.2018 im Forschungskolloquium „400-1500 Mittelalter“ beim Historischen Seminar der WWU Münster

Gleich zu Beginn der Podiumsdiskussion benannte der Moderator des Abends, Prof. Martin Kintzinger, sein Problem mit dem Untertitel der Veranstaltung: „Strohfeuer“ oder „Flächenbrand“? Bei diesen Bildern gelte es ja in jedem Fall, die Flamme der Digital Humanities (DH) schnellstmöglich zu löschen. Das allerdings wollte niemand – weder die Diskutanten auf dem Podium noch die im Publikum. Im Gegenteil: Allseits spürbar waren Wünsche und Hoffnungen der Anwesenden, die Früchte der Digitalisierung für die Geschichtswissenschaften rasch und effektiv nutzbar zu machen.

Darüber herrschte Einigkeit auf dem Podium: Die Werkzeuge der Digital Humanities müssen rasch und effektiv nutzbar gemacht werden.
Darüber herrschte Einigkeit auf dem Podium: Die Werkzeuge der Digital Humanities müssen rasch und effektiv nutzbar gemacht werden.
V.l.n.r: Martin Kintzinger (Moderation), Jan Keupp (Historisches Seminar), Alexander Buerstedde (Master-Student), Thomas Reich (LWL-Landesarchiv) und Jörg Lorenz (ULB Münster).
Foto: Matthias Kayß

Prof. Dr. Jan Keupp betonte dabei, dass die digitalen Werkzeuge in der Forschung möglichst einfach zu bedienen sein sollen. Er wünschte sich neue Forschungsinstrumente, die so selbstverständlich zu verwenden sind wie heutzutage Microsoft Word oder vergleichbare Textverarbeitungssysteme. Dann – und erst dann – könne sich die DH auch wie ein Flächenbrand verbreiten.

Alexander Buerstedde steht kurz vor seinem Masterexamen. Er sieht Hindernisse und Grenzen für den Erfolg von DH vor allem im Umgang mit Forschungsdaten. Zwar sei digitales Arbeiten aus der täglichen Arbeit nicht mehr wegzudenken, das bedeute aber keinesfalls eine Vereinfachung der Arbeit. Er stellte sich gegen mögliche Erwartungen, dass Historiker*innen zu IT-Spezialist*innen würden. Außerdem seien diese Eklektiker bei der Wahl von Quellen. Schwer vorstellbar, dass DH-Tools alles verarbeiten können, was als Material in der Forschung tatsächlich Verwendung findet. Gleiches gilt auch für die Forschungsmethoden, wie Jan Keupp ergänzte. Ambiguität sei wesentlich für die Geschichtswissenschaft; hier gäbe es keine neutralen Methoden wie in den Naturwissenschaften. Dies müsse auch im Digitalen berücksichtigt und bei der Entwicklung neuer Instrumente mit bedacht werden.

Bestätigt wird diese Problembeschreibung von Einwürfen aus dem Publikum. Grundsätzliche Kritik sei bei der Beantwortung der Frage „Sind Daten eindeutig?“ wichtig. Hier sollten Geisteswissenschaftler*innen eine klare Gegenposition beziehen und auch reflektieren, was Daten eigentlich mit Menschen machten. Denn Daten hätten „Artefaktcharakter“.
Mehrere Veranstaltungsteilnehmer*innen betonten darüber hinaus das Problem fehlender Standards in der digital unterstützten Forschung. Es fehle an Wissen über die internationale Gesamtsituation sowie generell an Orientierung, was als angemessen gilt. Das sei nicht nur ein theoretisches Problem; die Diversität von Standards führe schließlich auch schon mal zu Diskussionen bei der Bewertung von Examensarbeiten, weil sich die Gutachter*innen uneinig sind über methodische Ansätze und entsprechend einzusetzende Tools. Das Dilemma: Eigentlich müssten sich Historiker*innen selbst darüber einigen, was im Rahmen einer „Digital History“ als angemessen gelten kann. Es schiene aber so, als würden die Wissenschaftler*innen auf Vorgaben anderer warten.

Vor diesem Problemhintergrund wurden auch konkrete Erwartungen insbesondere an das gerade neu gegründete „Service Center für Digital Humanities“ (SCDH) formuliert. Es solle hier Dolmetscher sein und auch ein Ort der Beratung im Umgang mit neuen Datenformaten und Werkzeugen.

Jörg Lorenz von der ULB, der die DH-Struktur an der WWU mit aufgebaut hat, nahm diesen Ball gerne auf, blieb aber zurückhaltend, wenn es um die Festlegung von Standards geht. Das SCDH kann und soll dabei helfen, die Potenziale digitaler Methoden und Ressourcen für die Geisteswissenschaftler nutzbar zu machen. Mit Blick auf Standards sei aber zu differenzieren: Was auf wissenschaftlicher Ebene als Standard gilt und was nicht, können nur die Fachwissenschaftler*innen untereinander aushandeln. Auf informationswissenschaftlicher Ebene, also bei der Organisation von Information und Wissen sowie auf der Ebene von Daten, Metadaten und Anwendungen (Tools) könne das SCDH natürlich substantiell unterstützen – auch bei der Festlegung von Standards. Er verwies dabei auf den Prozesscharakter technisch-wissenschaftlicher Entwicklungen. Die auf nationaler Ebene aktuellen – insbesondere strukturellen – Aktivitäten im Bereich der Digital Humanities seien in erster Linie ein Systematisierungsprozess einer bereits länger andauernden Entwicklung. Flankierende Entwicklungen, wie etwa die „Digitale Transformation“ oder die aktuellen Erfolge im Bereich des „Machine Learning“ verstärken diese Entwicklung noch. Es stelle sich die Frage, ob die DH an der Schwelle zu einer eigenen Disziplin stehen – ähnlich wie dies bei der Wirtschaftsinformatik geschehen sei.

Dr. Thomas Reich vom LWL-Landesarchiv sieht den Serviceaspekt seiner Einrichtung im Vordergrund und hofft dabei auf Impulse von den historisch Forschenden. Hier sei noch nicht klar, was überhaupt konkret gebraucht wird. Zwar gebe es einige Leuchtturmprojekte mit klaren Bedarfen, darüber hinaus dominieren aber offene Fragen über die Wünsche und Bedürfnisse von Forschenden. Vor allem junge Wissenschaftler*innen könnten die Digitalisierung in den Archiven schon dadurch voranbringen, indem sie entsprechende Desiderate explizit formulieren. Auch für die Entwicklung von Normen und Standards spiele dies eine große Rolle.

Abschließend kamen explizit die Studierenden zu Wort. Sie wünschten sich bereits in ihrer Ausbildung eine Heranführung an die DH. Eine andere Kommilitonin vermisste in Anbetracht eher undurchschaubarer technischer Prozesse eine grundsätzliche digitale Methodenkritik. Es sei ja nicht immer klar, was die Maschine beim Produzieren ihrer Ergebnisse wirklich gemacht habe. Zwar konnte die Veranstaltung gerade diesem letzten wichtigen Aspekt aufgrund der fortgeschrittenen Zeit nicht mehr nachgehen. Aber er inspirierte den Moderator der Diskussion immerhin zu einem griffigen Schlusswort, das auch als Appell verstanden werden kann: „Das Denken bleibt beim Menschen“.

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