Chips, auf denen Nervenzellen wachsen

Projekttitel: Biohybrid neurosynaptic chips interfaced with nanostructured, integrated optics
Projektleitung: Jürgen Klingauf, Wolfram Pernice
Projektlaufzeit: 11/2017 - 12/2018
Projektkennziffer: FF-2017-10
Nervenzellen im Gehirn sind durch eine Vielzahl von Verbindungen miteinander verknüpft. Über diese Verbindungen, Synapsen genannt, übertragen sie Signale von Zelle zu Zelle und kommunizieren so miteinander. Bei der Übertragung an Synapsen schüttet die sendende, elektrisch erregte Nervenzelle dazu Botenstoffe aus, die wiederum andere, empfangende Zellen elektrisch erregen. Diese Botenstoffe sind in kleinen Bläschen im Zellfortsatz, dem Axon, der sendenden Nervenzelle gespeichert und werden freigesetzt, indem die Bläschen mit der Zellmembran verschmelzen.
In diesem Projekt wollen Biophysiker und Nanophysiker gemeinsam ein neues Modell entwickeln, mit dem sie die Variabilität von Synapsen der sendenden Nervenzellen untersuchen können. Hierzu ist bisher wenig bekannt. Die Wissenschaftler interessiert: Ändern die Synapsen ihre Struktur und Aktivität, kurz nachdem sie aktiv waren? Können Nervenzellen ihre einzelnen Synapsen an einem Fortsatz unterschiedlich stark aktivieren, je nachdem welche Aktivität eine empfangende Nervenzelle verlangt? Um diese Fragen langfristig beantworten zu können, entwickeln die Wissenschaftler in ihrem Projekt einen Chip. Auf ihm platzieren sie Nervenzellen sowie an bestimmten Punkten Proteine, welche die Bildung von Synapsen auslösen. So sollen künstliche Verbindungen, also Synapsen, zwischen Nervenzellen und Chipstrukturen wachsen und die Kommunikation zwischen Nervenzellen und Chip ermöglichen. Dabei stimulieren Lichtwellenleiter auf dem Chip die Zellen, empfangen Lichtsignale von den künstlichen Synapsen und geben diese an andere Zellen und Synapsen weiter.
Das Projekt im Detail:
Biophysiker Prof. Dr. Jürgen Klingauf und seine Mitarbeiter haben für das Experiment bereits spezielle Nervenzellkulturen entwickelt, die Synapsen mit einem Substrat an definierten Orten ausbilden. Die Zellen stammen aus Mäusen und werden in einem Nährmedium außerhalb des Organismus auf Glasplättchen oder Chips kultiviert. Sie bilden ein fluoreszierendes Protein, das es möglich macht, diejenigen synaptischen Bläschen, die mit der Membran verschmelzen und Botenstoffe aussenden, leuchten zu lassen.
Diese Nervenzellen sollen auf dem optischen Chip platziert werden. Nanophysiker um Prof. Dr. Wolfram Pernice führen die technische Entwicklung des Chips durch. Die Wissenschaftler sprechen von Nanofertigung, weil sich die Strukturen auf dem Chip im Nanomaßstab bewegen – es handelt sich dabei um winzige Bauelemente, die tausendmal kleiner als der Durchmesser eines Haares sind. Mithilfe eines Elektronenstrahlschreibers erzeugen die Forscher ein Raster auf dem Chip. Auf dem Raster befinden sich Lichtwellenleiter, das sind Fasern, die Licht übertragen können. Auf diesen Lichtwellenleitern platzieren sie an definierten Orten besondere Proteine. Diese Proteine spielen in den empfangenden Nervenzellen bei der Synapsenbildung eine Rolle. So beginnen die auf dem Chip ausgesäten Nervenzellen, künstliche Synapsen mit den Protein-Nanostrukturen auf dem Chip zu bilden.
Letztendlich soll das neue Modell so funktionieren: Eine Nervenzelle auf dem Chip wird durch einen Lichtpuls stimuliert, woraufhin die Zelle beginnt, aktiv zu werden. Die mit fluoreszierenden Proteinen versehenen synaptischen Bläschen verschmelzen mit der Zellmembran der künstlichen Synapsen auf den Lichtwellenleitern. Der Chip erkennt diese Lichtsignale, verstärkt sie und leitet sie an die Zielstellen, andere Synapsen oder Nervenzellen, weiter. Bei dem Modell handelt es sich um ein sogenanntes biohybrides System, da es biologische und technische Elemente miteinander kombiniert: Zelle und Chip kommunizieren sozusagen miteinander. Mit hochauflösender Lichtmikroskopie machen die Forscher die Vorgänge sichtbar.
Eine technische Schwierigkeit bei der Entwicklung des Chips liegt jedoch darin, die Proteine zielgenau auf den Lichtwellenleitern zu platzieren und so die entstehenden Synapsen exakt zu leiten. Um dieses Problem zu lösen, kooperieren die Wissenschaftler mit der Arbeitsgruppe von Dr. Michael Hirtz am Karlsruher Institut für Technologie. Mithilfe eines Nanonadeldruckers, der im Prinzip wie ein Tintendrucker funktioniert, können die Karlsruher Forscher die Dockingstellen „anmalen“ und die Proteine zielgenau aufspritzen.
Das Ziel der Wissenschaftler ist es, eine integrierte Schaltung herzustellen und so künstliche Synapsen an verschiedenen Positionen optisch miteinander zu verbinden. Zunächst sind Fragen zu beantworten wie: Sitzen die ausgebildeten Synapsen richtig auf dem Chip? Wie sehen die optischen Antworten einzelner Synapsen aus, wenn man die Zellen stimuliert? Mit dem neuen Modell wollen die Forscher letztendlich in der Lage sein, die Synapsen sowohl gezielt anzusteuern als auch deren Plastizität – also ihre Dynamik und Aktivitätsveränderung in Abhängigkeit der Stimulationsmuster – sichtbar zu machen. Das langfristige Ziel der Wissenschaftler ist es, ein System zu entwickeln, mit dem sie besser untersuchen können, wie Nervenzellen untereinander kommunizieren.