Interdisziplinäre Fachtagung zum Thema der Philosophie der Expertise: Was ist Expertise?/Philosophy of Expertise/What is Expertise?

Antragssteller: Christian Quast

Projektbeteiligte: Alvin I. Goldman, Harry Collins, Oliver Scholz, Rainer Bromme, Jörg
Hardy, Barbara G. Montero, Ben Trubody, Christian Quast, Dee Cohen, Jamie C. Watson,
Markus Seidel

Fachbereich, Studienrichtung: Fachbereich 08, Philosophie

Projekttitel: Interdisziplinäre Fachtagung zum Thema der Philosophie der Expertise: Was
ist Expertise?/Philosophy of Expertise/What is Expertise?

Fördersumme: 5000€

Kontakt:
Christian Quast
Philosophisches Seminar
Westfälische Wilhelms-Universität Münster
Domplatz 6
48143 Münster


Projektbeschreibung:
So es denn verlässlich wäre, würde ein jeder von uns sicherlich bevorzugt autonom handeln und entscheiden, als stattdessen Experten zu vertrauen. Tatsächlich sehen wir uns aber außerstande, den Anforderungen dieser hehren Autonomiebestrebung im täglichen Leben zu entsprechen. Vielmehr sehen wir uns einer Spezialisierung der Lebenswelt gegenüber, mit der zugleich eine zunehmende Abhängigkeit von Experten einhergeht. Nur was bedeutet es ein Experte zu sein und wie kann man sie erkennen? Diejenigen Wissenschaften, die sich diesen Fragestellungen gewidmet haben, geben hierauf teils sehr unterschiedliche Antworten. Die psychologische Expertiseforschung neigt dazu, in Expertise das Vorliegen einer Reihe intrinsischer kognitiver Eigenschaften zu sehen. Weite Teile der soziologischen Expertiseforschung betonen demgegenüber, dass es sich bei Expertise um relationale Eigenschaften einer Person handelt, dass also für das Vorliegen von Expertise die Konsumenten, Regulatoren und das konkrete Umfeld von Expertise von entscheidender Bedeutung sind. Philosophen wiederum richten ihr Augenmerk zumeist auf das Vorliegen und die besondere Ausprägung bestimmter epistemischer Eigenschaften. Was alle genannten Disziplinen in ihrer Unterschiedenheit aber eint, ist das Bemühen um ein zutreffendes Verständnis des Expertisebegriffs. Bisher liefen die fachdisziplinären Diskussionsstränge allerdings ohne wechselseitige Bezugnahme weitgehend nebeneinander her. Hinsichtlich dieses bedauerlichen Umstands sollte die durchgeführte Tagung Abhilfe leisten.

Ausgehend von diesem Befund verfolgte die geförderte Tagung daher drei wesentliche Ziele: Erstens diente sie der erstmaligen Vernetzung bzw. Annäherung der isolierten Diskussionsstränge, um auf diese Weise zu einem angemesseneren Gesamtbild von Expertise zu gelangen. Zweitens sollten mit ihr interdisziplinäre und internationale Kooperationen angestoßen werden. Beide Ziele konnten nur in Teilen erreicht werden. Denn zum einen war der Rücklauf aus dem Call for Papers (CfP) überwiegend durch fachphilosophische Beiträge geprägt, zum andern förderte die Tagung tieferliegende methodische und metaphilosophische Differenzen zu Tage, die für interdisziplinäre Kooperationen gravierenden Hindernisse darstellen. Und drittens verfolgte die Tagung das Ziel, NachwuchswissenschaftlerInnen die Gelegenheit zu bieten, eigene Forschungsergebnisse zum Tagungsthema zu präsentierten und hierzu von ausgewiesenen Fachleuten eine Rückmeldung zu erhalten.

Erfreulicherweise konnten für die Tagung sechs renommierte Wissenschaftler aus den USA, Wales und Deutschland als Referenten gewonnen werden, die zum Tagungsthema unmittelbar ausgewiesen sind. Darunter Alvin I. Goldman (Rutgers University), Harry Collins (Cardiff University), Barbara G. Montero (City University of New York), Oliver R. Scholz (Westfälische Wilhelms-Universität), Rainer Bromme (Westfälische Wilhelms-Universität) und Jörg Hardy (Russian Christian Academy for Humanities, St. Petersburg). Drei weitere Vorträge wurden von Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftlern aus Südafrika, England und den USA beigesteuert, die aus einem größeren Kreis von ca. 40 Predocs und Postdocs per blind-review Verfahren aus den Einsendungen auf den CfP ausgewählt wurden: Dee Cohen (University of Johannisburg), Ben Trubody (University of Gloucestershire) und Jamie C. Watson (Broward College, Fort Lauderdale). Einen zehnten Vortrag hielt der Antragssteller und Veranstalter der Tagung: Christian Quast (Westfälische Wilhelms-Universität).

Die Tagung vereinte in den Vorträgen und Diskussionsbeiträgen eine breite Vielfalt vielversprechender Perspektiven auf die Frage nach der begrifflichen und empirischen Natur von Expertise und angrenzenden Konzepten. Die jeweiligen (philosophischen, sozialwissenschaftlichen und psychologischen) Forschungsergebnisse zur Natur von Expertise wurden dargestellt und auf teils innovative und neuartige Weise ergänzt. Komplettiert wurden diese Vorträge durch einen Beitrag, der besonders die philosophiehistorische Dimension der Expertiseforschung herausgestrichen hat. Im Verlauf dieser Vorträge und Diskussionen wurde deutlich, dass ein interdisziplinärer Zugang zur Frage nach der Natur von Expertise zwar prinzipiell möglich erscheint, dass aber zunächst grundlegende methodologische Differenzen ausgeräumt werden müssten. Neben der Frage nach dem korrekten Analysandum von Expertise (der Experte, die Experte-Laie-Beziehung oder die Experte-Produkt-Laie- Beziehung) wurde auch der Frage nachgegangen, ob nicht ein dispositionales Verständnis von Expertise Vorteile gegenüber dem Vorherrschenden veritistischen Ansatz mit sich bringt. Ferner wurden unterschiedliche kognitive Güter als mögliche Voraussetzung von Expertise diskutiert; darunter epistemische Rechtfertigung, Verstehen, kohärente Überzeugungssysteme und Wissen. Es stellte sich heraus, dass jedes dieser Desiderate jeweils eigene Vorzüge und Probleme mit sich führt und daher eine einseitige Definition von Expertise auf Grundlage eines dieser kognitiven Desiderate aussichtlos erscheint. Schließlich wurde die Frage diskutiert, inwieweit Ericssons expert-performance-approach eine überzeugende Antwort auf die Frage nach der Natur von Expertise bieten kann. Im Rahmen der an die Vorträge anschließenden Diskussionen fand ein anregender und zumeist auch produktiver Austausch zwischen allen Beteiligten statt. Dabei wurden nicht nur die für die jeweilige fachwissenschaftliche Perspektive spezifischen Besonderheiten deutlich, sondern auch die interdisziplinären Anknüpfungspunkte und die grundsätzlichen Chancen und damit einhergehenden Möglichkeiten eines umfassenden interdisziplinären Zugangs zur Natur von Expertise deutlich. Es wurde sich daher abschließend darauf verständigt, die Konferenzbeiträge möglichst ein einem gemeinsamen Sammelband zu veröffentlichen, der sich nun in Planung befindet.