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Münster (upm/kk)
Stolz präsentieren die Studenten das landwirtschaftliche Wochenblatt, in dem ihre Beiträge erscheinen (hinten v.l.): Anna-Lena Schumacher, Dennis Poschmann, Simon Kissp, Leonhard Plitt; Mitte (v.l.):): Anne Schmidt, Florian Probst, Eva Barden, Johannes Hitzegrad, Annina Metz. Gisbert Strotdrees (l.) und Prof. Dr. Werner Freitag (r.) haben das Projekt begleitet.<address>© WWU - Peter Leßmann</address>
Stolz präsentieren die Studenten das landwirtschaftliche Wochenblatt, in dem ihre Beiträge erscheinen (hinten v.l.): Anna-Lena Schumacher, Dennis Poschmann, Simon Kissp, Leonhard Plitt; Mitte (v.l.):): Anne Schmidt, Florian Probst, Eva Barden, Johannes Hitzegrad, Annina Metz. Gisbert Strotdrees (l.) und Prof. Dr. Werner Freitag (r.) haben das Projekt begleitet.
© WWU - Peter Leßmann

Studierende erforschen "Reformation auf dem Land"

Praxisseminar schlägt eine Brücke zwischen Wissenschaft und Journalismus / Drei Beispiele in Kurzfassung

Aus Anlass des Jubiläums „500 Jahre Reformation“ standen in diesem Jahr die zentralen geschichtlichen Ereignisse um Martin Luther im Mittelpunkt. Zwölf Studierende des Historischen Seminars an der Westfälischen Wilhelms-Universität (WWU) befassten sich darüber hinaus mit einem – im wahrsten Sinn – abgelegenen Thema, den Folgen und Veränderungen durch die Reformation auf dem Land. Dieses außergewöhnliche Praxisseminar hatte die Abteilung für Westfälische Landesgeschichte an der Universität Münster angeboten. Unter der wissenschaftlichen Anleitung von Dr. Werner Freitag, Professor am Historischen Seminar, erhielten die Studentinnen und Studenten solide Fachkenntnisse über die Reformationszeit und die Situation im ländlichen Raum. Mit journalistischer Unterstützung von Gisbert Strotdrees, Redakteur beim „Wochenblatt für Landwirtschaft & Landleben“, erarbeiteten die Studierenden eine Artikelserie über ihre Forschungsergebnisse.

Werner Freitag und Gisbert Strotdrees sind ein eingespieltes Team. Es ist bereits das vierte Kooperationsprojekt der Abteilung für Westfälische Landesgeschichte mit dem Wochenblatt. Frühere Praxisseminare drehten sich etwa um historische Kriminalfälle oder um Agrarreformen des 19. Jahrhunderts. Die Studierenden erhielten neben dem fachlichen Wissen Einblicke in das journalistische Arbeiten. „Ich habe den Studierenden erklärt, wie sie komplexe historische Zusammenhänge allgemeinverständlich und lesbar vermitteln können. Und vor allem: Wie schreibt man über etwas interessant, das vor Jahrhunderten passiert ist?“, erläutert Gisbert Strotdrees. „Das Praxisseminar unterstützt das forschende Lernen unserer Studierenden und ermöglicht ihnen, an einem regionalen Beispiel eigene Recherchen durchzuführen, Thesen zu entwickeln und diese in den Kontext der reformationsgeschichtlichen Forschung zu stellen“, ergänzt Werner Freitag.

Um dem Thema Reformation auf den Grund zu gehen, haben die Studierenden Bücher gewälzt und viele verschiedene Quellen gelesen. „Besonders spannend war, dass wir neben der Literaturrecherche Exkursionen zu den damaligen Schauplätzen unternommen haben“, berichtet Eva Barden, die an dem Praxisseminar teilgenommen hat. Beispielsweise besichtigten die angehenden Historikerinnen und Historiker einen barocken Flügelaltar in der Dorfkirche in Welver oder untersuchten Hausinschriften in Wiedenbrück. Ihre Untersuchungsergebnisse fassten sie zunächst in einem geschichtswissenschaftlichen Referat zusammen. Anschließend bereiteten sie die Themen zu journalistischen Beiträgen auf. Diese erzählen von entsetzten Mönchen, einflussreichen Landadligen, wohlhabenden Ackerbürgern und Armenhäusern im Dorf sowie von Landpfarrern, die seinerzeit das Zölibat in den Wind schlugen. „Wir haben viel über Wissenschaftskommunikation gelernt. Vor allem darüber, wie historische Forschungsergebnisse einem nichtwissenschaftlichen Publikum vermittelt werden können. Das ist für unser zukünftiges Berufsleben sehr relevant“, betont Eva Barden. Mithilfe konstruktiver Kritik und den Anregungen der Dozenten verbesserten sie ihre Entwürfe stetig. Dabei stritten die Studenten nicht selten um jedes Wort.

Einen Vorgeschmack erhalten Sie, liebe Leserinnen und Leser, auf dieser Seite. Drei Studenten stellen ihre Arbeiten in gekürzter Fassung vor. Wer sich die Geschichten in voller Länge nicht entgehen lassen möchte, kann diese im „Wochenblatt für Landwirtschaft & Landleben“ bis Februar 2018 nachlesen.

Drei Beispiele in Kurzfassung

Den Pastoren auf den Zahn gefühlt

Der Reformator Antonius Corvinus wurde 1542 mit der Überprüfung der Pastoren in der Grafschaft Lippe betraut. Bei seiner „Visitation“ deckte er Missstände auf und lobte die Fleißigen.

Antonius Corvinus, 1501 in Warburg geboren, war erst Mönch, änderte seine Glaubensauffassung und wurde schließlich lutherischer Pfarrer. Mit Corvinus’ Hilfe wurde die neue lippische Kirchenordnung ausgearbeitet. 1538 hatten Adel und Ritterschaft die Einführung des lutherischen Bekenntnisses in Lippe beschlossen. Die lippischen Pastoren, katholisch geboren und erzogen, sollten nun den neuen Glauben übernehmen – ob sie wollten oder nicht. 1542 schaute Corvinus, wie gut sich dieser neue Glauben durchgesetzt hatte. Die Umsetzung der neuen Lehre Luthers ließ teilweise stark zu wünschen übrig. Oft war Corvinus mit dem Bekenntnis der Befragten zufrieden, in einigen Fällen zweifelte er jedoch. Unter den 31 besuchten Orten fanden sich sogar fünf, in denen weiterhin offen bekennende Katholiken saßen, die auch dementsprechend praktizierten.

Das Zölibat wurde durch Luthers Lehre aufgehoben, und es bestand Ehepflicht für alle Geistlichen. Dementsprechend hatten viele Pastoren geheiratet und eine Familie gegründet. Mit vielen Frauengeschichten der Geistlichen hatte Corvinus aber seine Mühe, da mit dieser Freiheit oft an den weiterhin bestehenden Satzungen der Sittlichkeit gekratzt wurde. Zwei Pastoren und ein Kaplan untergruben die Sittlichkeit beispielsweise, indem sie mit „Concubinen“ in wilder Ehe lebten. (Von Dennis Poschmann)

Bruder Göbel versteht die Welt nicht mehr

Einer der wichtigsten westfälischen Chronisten der unruhigen Reformationsjahre ist Bruder Göbel. In seinem Heimatkloster Böddeken im Paderborner Land übernahm er 1502 die Stellung des klösterlichen Vogts. Für die Jahre 1502 bis 1543 fertigte er seine Chronik an. Die ersten gravierenden Veränderungen schildert er 1520: „Die Christenheit steht nun leider ganz schwach und ärgert sich alle Tage.“ 1522 taucht in seinen Aufzeichnungen das erste Mal der Name Luther auf. Seinetwegen stehe das Christenbekenntnis „gans ouvel“ (ganz übel) in der heiligen Kirche da, war Göbel überzeugt. In der Folgezeit traten zahlreiche Unwetter, Seuchen und Hungersnöte auf. Ausführlich berichtet Göbel von Bauernaufständen, Klosterstürmen und entsetzlichem Blutvergießen in Ober- und Mitteldeutschland ab 1525. Als Schuldigen identifiziert er Luther und seine falschen Lehren.

Im ganzen Reich wurden laut Göbel unzählige Klöster aufgelöst. Auch Böddeken blieb nicht verschont. Ab 1526 erzählt Göbel von immer stärker werdenden Austrittswellen der Brüder. Für Bruder Göbel war mit der Reformation eine Welt zusammengebrochen.

Es sind in erster Linie aber nicht die „großen“ politischen Ereignisse, die den Reiz der Chronik ausmachen, sondern die Beschreibung des dramatischen Alltags der Reformationszeit. Obwohl Göbel die beklemmende, dunkle Seite der Reformation detailliert beleuchtet, geht die Humanität und das Verantwortungsbewusstsein, das die gesamte Chronik bis zu seinem Tode 1543 durchzieht, nie verloren. (Von Felix Timmer)

Achterbahn der Bekenntnisse

Im kleinen Dorf Bruchhausen (Kreis Höxter) gab es ein religiöses Tauziehen über mehrere Generationen hinweg. Obwohl im katholischen Bistum Paderborn gelegen, wandte sich der Landadel in Person des Jost von Kanne um 1544 aufgrund verwandtschaftlicher Beziehungen zu Lutheranern dem neuen Glauben zu. Die Hauskapelle diente vermutlich als Keimzelle evangelischer Predigten im Ort. Es ging aber um mehr als nur um den Glauben. Für die Familie war der Protestantismus eine Möglichkeit, sich von den mächtigen Äbten und Bischöfen abzugrenzen. Nachdem der Paderborner Bischof 1603 verbindliche Kirchenregeln festgelegt hatte, wurde in Bruchhausen als Reaktion eine eigene Kirchenordnung veröffentlicht – und das von der Witwe des Herrn von Kanne. Dass eine Frau solch einen Affront heraufbeschwor, war außergewöhnlich.

Der Kampf um den Glauben ging im Dreißigjährigen Krieg weiter. Der Bischof ließ 1627 den lutherischen Dorfpfarrer verhaften. Bereits acht Jahre später trat erneut eine Witwe aus dem Hause Kanne in Aktion und holte den Pfarrer zurück. Nach dem Krieg einigten sich Abt und Adel, in der Dorfkirche den evangelischen Gottesdienst durchzuführen und in der Hauskapelle eine katholische Messe anzubieten. 1656 trat die Familie von Kanne wieder zum katholischen Glauben über. So sicherte sich das Adelsgeschlecht einen Einfluss in der erstarkenden katholischen Landesverwaltung. Gleichwohl blieben viele Lutheraner ihrer Konfession treu. In dem Ort existieren heute zwei Kirchen – eine katholische und eine evangelische. (Von Leonhard Plitt)

Dieser Artikel stammt aus der Universitätszeitung "wissen|leben" Nr. 8, 13. Dezember 2017

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