|
Münster (upm)
Berühmtes Motiv: Claes Oldenburgs &quot;Giant Pool Balls&quot; am Aasee wurden für die ersten &quot;Skulptur Projekte&quot; im Jahr 1977 installiert.<address>© LWL - Rudolf Wakonigg</address>
Berühmtes Motiv: Claes Oldenburgs "Giant Pool Balls" am Aasee wurden für die ersten "Skulptur Projekte" im Jahr 1977 installiert.
© LWL - Rudolf Wakonigg

"Von der Provokation zur Umarmung"

Kunsthistoriker erforschen das Archiv der "Skulptur Projekte"

Über die legendären Skulptur-Projekte-Ausstellungen, die seit 1977 den öffentlichen Raum Münsters bereichern, gibt es viele Bilder, Texte und auch wissenschaftliche Abhandlungen. Materialien aus dem immensen, über 40 Jahre angewachsenen Archiv des Großprojekts, das auch 2017 (10. Juni bis 1. Oktober) wieder Zehntausende in die Universitätsstadt locken wird, sind bislang jedoch unbekannt – das Archiv war weder bearbeitet noch öffentlich zugänglich. Jetzt ist dessen wissenschaftliche Erschließung Thema eines kooperativen Forschungsprojekts zwischen dem Museum für Kunst und Kultur des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) und dem Institut für Kunstgeschichte der WWU.

Als Teil des Förderprogramms "Forschung in Museen" der Volkswagen-Stiftung werden sich fortan die Praxisfelder der Universität und des Museums ergänzen, um "neue Wege zu erproben, die aus dem Archivmaterial gewonnenen Erkenntnisse in Ausstellungen sichtbar zu machen", sagt Prof. Ursula Frohne, Projektleiterin am Institut für Kunstgeschichte. Bis 2018 ist die aktuelle Archiv-Präsentation "Double Check" am LWL-Museum zu sehen, die Michael Ashers Installation Münster (Caravan) von 1977 bis 2007 in den Fokus nimmt. Es ist die zweite Präsentation eines neuen seriellen Ausstellungsformats des Forschungsprojekts.

Damit betreten Ursula Frohne und ihre Doktorandin Maria Engelskirchen Neuland, sind doch das fachliche Studium und die Forschung bisher geprägt von einer vornehmlich schriftlichen Aufarbeitung historischer Quellen. So liege das Interesse ihrer Arbeit, erzählt Maria Engelskirchen, auch nicht in einer chronologischen Zusammenfassung der "Skulptur Projekte". "Es geht mir zum Beispiel eher um einzelne Werkbiografien, die anhand der im Archiv verwahrten Modelle, Skizzen und Korrespondenzen nachvollzogen werden können. Zudem geben administrative und juristische Dokumente Aufschluss über die Stadtentwicklung und die Akzeptanz der 'Skulptur Projekte' aufseiten der Politik und Öffentlichkeit", berichtet die junge Wissenschaftlerin.

Das Team des Skulptur-Projekte-Archivs (von links): Julius Lehmann, wissenschaftlicher Volontär, Maria Engelskirchen, Prof. Ursula Frohne, Archivarin Dr. Katharina Neuburger und Dr. Marianne Wagner.<address>© LWL - Hanna Neander</address>
Das Team des Skulptur-Projekte-Archivs (von links): Julius Lehmann, wissenschaftlicher Volontär, Maria Engelskirchen, Prof. Ursula Frohne, Archivarin Dr. Katharina Neuburger und Dr. Marianne Wagner.
© LWL - Hanna Neander
Ursula Frohne ergänzt: "Die Materialen im Archiv sprechen für sich. Wir wollen etwa in Ausstellungen veranschaulichen, was uns das Archiv zu erzählen hat." Dafür sollen in den nächsten drei Jahren die in mehr als 40 Jahren angewachsenen Unterlagen gesichtet, katalogisiert und analysiert werden. Dazu gehören frühere Skizzen zu Standorten, die Pläne der Ausstellungsmacher, Presseartikel, Briefe aus der Bevölkerung und die Korrespondenz der Kuratoren aus der Zeit der Ausstellungen 1977, 1987, 1997 und 2007 – langfristig ergänzt um die fünfte Ausgabe 2017.

Aber nicht nur bereits vorhandene Materialien werden genutzt, auch neue Dokumente generiert. So fließt ein erst kürzlich geführtes Interview mit der Kuratorin von 2007, Dr. Brigitte Franzen, mit in das Archiv ein. "Das ist Teil unserer wissenschaftlichen Tiefenbohrungen, die jetzt nötig sind", sagt Maria Engelskirchen. Durch "Oral History" werde ersichtlich, wie die Protagonisten von damals retrospektiv auf die jeweiligen Ausstellungen blicken. So sind ebenfalls Interviews mit den beiden Begründern der "Skulptur Projekte", Kasper König und Klaus Bußmann, geplant. "Selbst einige Restauratoren, Fotografen und Sekretärinnen können uns Eindrücke und Erinnerungen liefern", meint die Doktorandin. So könne auch nachvollzogen werden, wie das einst umstrittene Ausstellungsformat mehr und mehr zu einem akzeptierten Ereignis in Münster wurde.

"Von der Provokation zur Umarmung", beschreibt die Leiterin des Skulptur-Projekte-Archivs, Kuratorin Dr. Marianne Wagner, den Werdegang der 1977 mit wenig öffentlichem Enthusiasmus gestarteten Ausstellungsdekaden. Die Kunsthistorikerin sieht in der Bearbeitung der Archivalien das Einzigartige des Projekts: "Die wissenschaftlich begleitete Beforschung des Archivs ermöglicht Blicke zurück in die Anfangsjahre. Als Ort der Aufbewahrung verweist das Archiv jedoch auch in die Zukunft: Wir können Fragen an das Archivmaterial richten und damit die Entwicklung der 'Skulptur Projekte' nachvollziehen." Marianne Wagner sieht darin einen "Grundstein für die Zukunft", was die Stadt und die öffentliche Kunst anbelangt. "Dies gilt übrigens auch für viele Künstler, für die die Ausstellungsgeschichte für ihre Werkentwicklung wichtig ist und war."

Die Kirschensäule von Thomas Schütte garniert den Harsewinkelplatz seit den "Skulptur Projekten" im Jahr 1987.<address>© LWL - Rudolf Wakonigg</address>
Die Kirschensäule von Thomas Schütte garniert den Harsewinkelplatz seit den "Skulptur Projekten" im Jahr 1987.
© LWL - Rudolf Wakonigg
Für das Vorhaben wurde dank der Stiftungsförderung ein Team zusammengestellt, dem neben Maria Engelskirchen auch eine Archivarin und ein wissenschaftlicher Volontär am Museum angehören. Für die Universität gibt es einen weiteren Mehrwert des Projekts, denn auch die Lehre soll profitieren. Für das Sommersemester 2018 ist laut Ursula Frohne im Nachgang der diesjährigen "Skulptur Projekte" eine Ringvorlesung in Vorbereitung.

Autorin: Juliane Albrecht

Dieser Artikel stammt aus der Universitätszeitung "wissen|leben" Nr. 3, 24. Mai 2017

Links zu dieser Meldung