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Münster (upm)
Im Gewächshaus: Biotechnologe Prof. Dirk Prüfer (zugleich Leiter des Fraunhofer-Instituts für Molekularbiologie und Angewandte Oekologie IME, Außenstelle Münster) mit seinem Forschungsobjekt, einem "Riesentabak". Foto: Peter Grewer<address>© Peter Grewer</address>
Im Gewächshaus: Biotechnologe Prof. Dirk Prüfer (zugleich Leiter des Fraunhofer-Instituts für Molekularbiologie und Angewandte Oekologie IME, Außenstelle Münster) mit seinem Forschungsobjekt, einem "Riesentabak". Foto: Peter Grewer
© Peter Grewer

Sonnenblumen wissen, wo die Sonne aufgeht

Pflanzenforschung: Wissenschaft liefert Ansätze für Schonung von Ressourcen

Im Botanischen Garten sind sie auf rund 46.000 Quadratmetern am sichtbarsten: Pflanzen an der WWU. An vielen Instituten spielen Pflanzen in der Forschung und in der Lehre eine wichtige Rolle – zum Beispiel in der Pharmazeutischen Biologie und Phytochemie (Fachbereich Chemie und Pharmazie) und im Arzneipflanzengarten des Instituts. Daneben werden Pflanzen unter anderem am Institut für Landschaftsökologie (Fachbereich Geowissenschaften) und am Fachbereich Biologie erforscht. 17 Gewächshäuser mit einer Gesamtfläche von 2280 Quadratmetern sind derzeit an der WWU in Betrieb. Die "wissen|leben" gibt einen Einblick in die Forschung am Institut für Biologie und Biotechnologie der Pflanzen (IBBP).

Dieser Text stammt aus der Universitätszeitung "wissen|leben" Nr. 3, 24. Mai 2017:

Pflanzen werden häufig unterschätzt, meint Prof. Jörg Kudla. "Sie stehen am Wegesrand und rühren sich nicht. Dieses Bild von Pflanzen als relativ einfache Organismen haben viele Menschen", sagt der Biotechnologe, der an der WWU forscht und lehrt. "In Wahrheit reagieren Pflanzen ähnlich wie Tiere mit ausgefeilten Strategien auf die Herausforderungen der Umwelt. Die Sonnenblume 'weiß', wo am nächsten Morgen die Sonne aufgehen wird und richtet ihren Blütenstand am Ende der Nacht in diese Richtung aus. Wie schafft sie das ohne Nervensystem?"

Fragen wie diese treiben Forscher auf der ganzen Welt an. Wie Pflanzen funktionieren – welche Stoffwechselprozesse in ihrem Inneren ablaufen und wie sie gesteuert werden – ist auch für die globale Landwirtschaft von Interesse. Angesichts von Herausforderungen wie Klimawandel und steigender Weltbevölkerung ist die Expertise von Wissenschaftlern gefragt. Aus der Grundlagenforschung ergeben sich häufig Ideen für eine ressourcenschonende Anwendung.

Ein Beispiel sind Tabakpflanzen, die durch eine genetische Besonderheit nicht blühen und auch nicht aufhören zu wachsen, da das Absterben der Pflanze durch die Blüte ausgelöst wird. An diesen Pflanzen studieren münstersche Biotechnologen den molekularen Signalweg, der den Blühprozess reguliert. Sie identifizierten die zugrunde liegende genetische Veränderung und erforschen, ob sich der "Riesenwuchs" auch bei anderen ausgewählten Nutzpflanzen erzeugen lässt. Einige Pflanzen – beispielsweise Kartoffeln – könnten auf derselben Fläche höhere Erträge liefern, so eine Hoffnung. Nachwuchsgruppenleiter Dr. Philip Kaenel ist einer der Wissenschaftler, die den "Riesentabak" erforschen. Er interessiert sich für die Prozesse, die bei der Alterung in den Pflanzenzellen ablaufen. "Es wäre interessant, wenn wir gezielt einzelne Zellen zum Wachstum anregen könnten, beispielsweise zum Biomassegewinn in Zellkultur", meint er.

Prof. Iris Finkemeier und Dr. Guillaume Née erforschen das Zusammenspiel und die Funktion der zahllosen Proteine im pflanzlichen Organismus.<address>© Peter Grewer</address>
Prof. Iris Finkemeier und Dr. Guillaume Née erforschen das Zusammenspiel und die Funktion der zahllosen Proteine im pflanzlichen Organismus.
© Peter Grewer
Pflanzen mit besonderen Eigenschaften im Labor zu untersuchen und auch gezielt zu erzeugen, bringt Forschern neue Erkenntnisse. Der Weg auf den Acker ist jedoch weit. "Eine Herausforderung ist es, die Vernetzung der verschiedenen Prozesse zu verstehen, die in der Pflanze ablaufen", betont Jörg Kudla. So könne es sein, dass eine Pflanze, die unter Laborbedingungen gedeiht, draußen mit Stressfaktoren wie Hitze oder Trockenheit nicht zurechtkommt. "Sogenannte Rekordernten zeigen uns das Potenzial, das Pflanzen bei guten Umweltbedingungen haben. Wenn wir die Stresstoleranz erhöhen, könnten Pflanzen auch bei weniger guten Bedingungen größere Erträge bringen", meint Jörg Kudla, der selbst auf diesem Gebiet forscht.

"Wir haben noch große Wissenslücken, wie sich Pflanzen an ihre Umwelt anpassen", gibt auch Pflanzenphysiologin Prof. Iris Finkemeier zu bedenken. Durch enorme methodische Verbesserungen würden zwar die Sequenzen des Erbguts von immer mehr Pflanzen bekannt, und mit den Sequenzen kenne man die im Erbgut festgeschriebenen "Bauanleitungen" für Tausende Proteine der jeweiligen Pflanze. Die Herausforderung sei es jedoch, die Funktionen und das Zusammenspiel all jener Proteine zu verstehen. Auch Iris Finkemeier setzt auf den Erkenntnisgewinn: "Mit dem Klimawandel werden viele unserer etablierten Zuchtpflanzen nicht zurechtkommen, da sie nicht mehr so anpassungsfähig sind wie die Wildsorten. Wenn wir verstehen, durch welche Mechanismen die Wildsorten stressresistenter sind, können wir diese Zuchtlinien idealerweise wieder mit diesen Eigenschaften ausstatten."

Christina Heimken

 

Ein Bioreaktor im Labormaßstab – in seinem Inneren wachsen einzellige Grünalgen der Art Chlamydomonas reinhardtii.<address>© Julia Schwekendiek</address>
Ein Bioreaktor im Labormaßstab – in seinem Inneren wachsen einzellige Grünalgen der Art Chlamydomonas reinhardtii.
© Julia Schwekendiek
Grünalgen liefern Energie aus Wasserstoff  

Mit bloßem Auge sind die einzelligen Grünalgen der Gattung Chlamydomonas nur zu sehen, wenn sie in großer Zahl vorkommen – dann färbt sich das Wasser grün. Die winzigen Algen haben Zukunftspotenzial, denn aus ihnen lässt sich Wasserstoff als Energieträger gewinnen. Den Wasserstoff, der bei der Fotosynthese entsteht, geben die Algenzellen unter bestimmten Wachstumsbedingungen an ihre Umgebung ab. Um die Wasserstoffproduktion der Algen steigern zu können, müssen die Forscher die molekularen Prozesse verstehen, die im Inneren der Zellen ablaufen. Dieses Thema ist eines der Steckenpferde der Arbeitsgruppe von Prof. Michael Hippler. Das Team erforscht die Regulationsmechanismen der Fotosynthese. Dabei geht es besonders um Anpassungen an Stresssituationen, beispielsweise Nährstoffmangel oder intensive Sonneneinstrahlung. Ein technischer Grundpfeiler der Forschung: Die Wissenschaftler untersuchen Proteine mithilfe moderner Massenspektrometer und stellen diese Technologie auch anderen AGs am IBBP und im Fachbereich Biologie zur Verfügung. Ein Forschungsobjekt ist ein Algenstamm, der als Folge einer genetischen Besonderheit etwa zehnmal so viel Wasserstoff produziert wie der Wildtyp. Unter anderem liefert die Untersuchung dieser Algen Hinweise darauf, wie die fotosynthetische Elektronentransportkette abläuft – ein zentraler Prozess bei der Energiegewinnung. (CH)

 

 

Anna-Lena Falz und Doktorand Philipp Lemke begutachten das Wurzelwachstum der Basilikumpflanzen, die in einer Phytokammer gewachsen sind.<address>© Julia Schwekendiek</address>
Anna-Lena Falz und Doktorand Philipp Lemke begutachten das Wurzelwachstum der Basilikumpflanzen, die in einer Phytokammer gewachsen sind.
© Julia Schwekendiek
Zuckermoleküle stimulieren das Wachstum von Nutzpflanzen

Kartoffeln, Tomaten, Mais oder Basilikum: Die Arbeitsgruppe um Prof. Bruno Moerschbacher arbeitet mit verschiedenen aus der Küche bekannten Nutzpflanzen. Die Wissenschaftler interessieren sich jedoch nicht für Rezepte. Sie erforschen, wie das Wachstum der Pflanzen durch den Einsatz von Chitosan stimuliert werden kann. Chitosane sind Zuckermoleküle, die in zahlreichen Varianten existieren und zum Beispiel aus Krabbenschalen gewonnen werden. Aus behandelten Samen wachsen widerstandsfähigere Pflanzen, weil Chitosan die Resistenz gegen Krankheitserreger erhöht – so die Theorie. Doch nicht jede Pflanze reagiert gleichermaßen auf die Behandlung mit dem Biostimulanz. Die Forscher wollen deshalb herausfinden, welche Variante jeweils die größte Wirkung hat, und stellen Chitosane mit biologischen Werkzeugen passgenau her. Ihre Pflanzen wachsen unter optimalen Licht- und Temperaturbedingungen in speziellen Schränken und Truhen, den sogenannten Phytokammern. Masterstudentin Anna-Lena Falz beispielsweise hat die Samen von Basilikum (Ocimum basilicum) auf verschiedene Weisen behandelt: nur mit Wasser, mit einem Pflanzenstärkungsmittel aus Mikroorganismen, mit Chitosan und mit einer Kombination aus Bakterien und Chitosan. Anhand des Wurzelwachstums lässt sich feststellen, welche der vier Pflanzen am kräftigsten ist – und damit vermutlich den größten Ernteertrag bringt. (JUS)

 

 

Dr. Nicole van Deenen aus der Arbeitsgruppe von Prof. Dirk Prüfer in einem Sterilkultur-Raum mit Russischem Löwenzahn.<address>© Julia Schwekendiek</address>
Dr. Nicole van Deenen aus der Arbeitsgruppe von Prof. Dirk Prüfer in einem Sterilkultur-Raum mit Russischem Löwenzahn.
© Julia Schwekendiek
Kautschuk aus Löwenzahn ist ein begehrtes Produkt

Am Löwenzahn scheiden sich die Geister: Für die einen ist er lästiges Unkraut, die anderen mögen die gelben Blüten. Aus wissenschaftlicher Sicht ist Löwenzahn hoch spannend. Eine der für die Forscher interessanten Fragen lautet: Wie entsteht der Kautschuk, der ein Bestandteil des weißen Milchsafts der Pflanze ist? Kautschuk ist ein begehrtes Produkt. Auch die Gummi herstellende Industrie interessiert sich für den anspruchslosen Löwenzahn als möglichen Kautschuklieferanten. Pflanzen-Biotechnologen aus der Gruppe von Prof. Dirk Prüfer erforschen mit Wissenschaftlern des Fraunhofer-Instituts für Molekularbiologie und Angewandte Oekologie IME, Außenstelle Münster, die molekularen Prozesse der Kautschukproduktion in der Pflanze. Im Fokus steht der Russische Löwenzahn (Taraxacum koksaghyz), da er im Gegensatz zum heimischen Löwenzahn ausreichend Kautschuk liefern kann. Den Löwenzahn züchten die Forscher nicht nur im Gewächshaus, sondern auch „in vitro“ in sogenannter Sterilkultur. Dabei erhalten sie aus Pflanzenzellen immer wieder aufs Neue gleiche Individuen mit den gewünschten Eigenschaften. Außerdem nutzen sie diese Pflanzen, um mit biotechnologischen Methoden zu Forschungszwecken Löwenzahn mit veränderten genetischen Eigenschaften herzustellen, zum Beispiel Löwenzahn mit vermehrter Kautschuk-Produktion. (CH)

 

 

Ackerschmalwand in Sterilkultur: Die Pflanzen wachsen auf geleeartigem Nährmedium, das alle wichtigen Nährstoffe enthält.<address>© Julia Schwekendiek</address>
Ackerschmalwand in Sterilkultur: Die Pflanzen wachsen auf geleeartigem Nährmedium, das alle wichtigen Nährstoffe enthält.
© Julia Schwekendiek
Ackerschmalwand dient als zentraler Modell-Organismus

Die Ackerschmalwand (Arabidopsis thaliana) ist ein besonderes Gewächs. Seit Jahrzehnten ist sie ein wichtiger Modell-Organismus für Pflanzenforscher. Wissenschaftler haben an ihr genetische Untersuchungen durchgeführt und grundlegende Stoffwechselprozesse auf molekularer Ebene aufgeklärt. Die Pflanze hat viele Vorteile: Sie benötigt nicht viel Platz, lässt sich leicht und schnell vermehren und hat ein kleines Genom. Es ist seit dem Jahr 2000 bekannt, was die Forschung erleichtert. Auch an der WWU wachsen diese Pflanzen, beispielsweise in der Klimakammer der Arbeitsgruppe von Prof. Antje von Schaewen. Die Forscher interessieren sich unter anderem für einen bestimmten Stoffwechselweg, den oxidativen Pentose-Phosphatweg. Er findet an verschiedenen Orten innerhalb der Pflanzenzellen statt und ist ein wichtiger Zweig des Zuckerstoffwechsels. In langjährigen Studien konnte das Team zeigen, dass der Pentose-Phosphatweg auch daran beteiligt ist, dass die Befruchtung in Pflanzen funktioniert: Kommt ein bestimmtes Enzym nicht am richtigen Ort innerhalb der Pflanzenzelle vor, gelangt das männliche Erbgut aus dem Pollen nicht in die Eizelle. Denn der Pollenschlauch, der normalerweise wie eine Art Rüssel aus dem Pollen herauswächst und die Spermazellen zur Eizelle transportiert, findet sein Ziel dann nicht. (CH)

 

 

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