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Münster (upm/ch)
Dr. Johannes Georg Bednorz referierte 1987 im überfüllten Hörsaal S10 im Schloss.<address>© Christoph Preker, S/W-Labor Münster</address>
Dr. Johannes Georg Bednorz referierte 1987 im überfüllten Hörsaal S10 im Schloss.
© Christoph Preker, S/W-Labor Münster

Nobelpreis für Sprung über die magische Grenze

Dr. Johannes Georg Bednorz und Prof. Karl Alexander Müller veröffentlichten vor 30 Jahren eine bahnbrechende Arbeit

Vor dem Hörsaal S10 im münsterschen Schloss kommt es an diesem Mittwochnachmittag im März 1987 zu einem Gedränge. Die Deutsche Physikalische Gesellschaft (DPG) hält ihre Frühjahrstagung an der WWU ab, und der Saal, in dem ab 17 Uhr einer von vielen Fachvorträgen stattfinden soll, ist überfüllt. Tagungsteilnehmer müssen vor der Tür stehen bleiben. Alle wollen den in Kürze beginnenden Vortrag hören. Unter den Wartenden ist Dr. Johannes Georg Bednorz. Auf seine Bitte hin, ihn durchzulassen, bekommt er die Antwort: "Wir wollen alle da rein." Am Ende lässt man ihn passieren – nachdem er versichert, dass er der Referent ist, dessen Vortrag gleich beginnen soll.

Georg Bednorz, ehemaliger Student der Universität Münster und seit 2008 Mitglied des WWU-Hochschulrates, stellt seinem münsterschen Publikum eine bahnbrechende Forschungsarbeit vor. Was damals noch niemand weiß: Wenige Monate später wird er für diese Arbeit gemeinsam mit dem Schweizer Physiker Prof. Karl Alexander Müller den Nobelpreis für Physik erhalten.

Die beiden Wissenschaftler vom IBM-Forschungslabor in Rüschlikon (Schweiz) reichen ihre Ergebnisse im April 1986 bei einer Fachzeitschrift ein, also vor genau 30 Jahren. Bis dahin herrscht die Lehrmeinung, dass nur Metalle und metallische Legierungen supraleitend sein können. Das Duo weist jedoch nach, dass auch ein keramisches Material – Barium-Lanthan-Cuprat – supraleitende Eigenschaften haben kann, und zwar bei der damals nach physikalischen Maßstäben unvorstellbar hohen "Sprungtemperatur" von 35 Kelvin, also minus 238 Grad Celsius. Die Sprungtemperatur ist eine "magische Grenze" – wird das Material weiter abgekühlt, leiten sogenannte Supraleiter elektrischen Strom ohne jeglichen Widerstand. Nachdem die Fachwelt auf die Veröffentlichung zunächst skeptisch reagierte, herrscht zum Zeitpunkt der DPG-Frühjahrstagung bereits Euphorie – mit der Folge, dass Georg Bednorz seinen Vortrag am nächsten Tag in dem deutlich größeren Hörsaal H1 wiederholen muss.

1968 beginnt Georg Bednorz, der in Emsdetten im nördlichen Münsterland aufwuchs, sein Studium in Münster. Er entscheidet sich zunächst für das Fach Chemie, wechselt aber bald zu Mineralogie. "Ich habe der Uni Münster viel zu verdanken. Dort habe ich eine grundsolide Ausbildung erhalten, mit der ich ins kalte Wasser springen konnte", sagt der 65-Jährige heute. Mit "kaltem Wasser" meint er seinen ersten Forschungsaufenthalt als Sommerstudent am IBM-Forschungslabor in Rüschlikon im Jahr 1972. Damals sammelt er erste Erfahrungen in der "realen Welt" der industriellen Forschung – mit der Anwendung seiner mitgebrachten Kenntnisse in der Physik. "Ich war dort auf mich allein gestellt und habe Fehler gemacht. Das ist jedoch nicht schlimm – wichtig ist, dass man denselben Fehler nicht zweimal macht und zeigen kann, dass man daraus lernt", meint er. In dieser Zeit in der Schweiz habe er an Selbstvertrauen gewonnen und die Angst verloren, auch Irrtümer zu begehen. "Das war später für mich wichtig, als wir bei unserer Forschung zur Supraleitung das Risiko eingegangen sind, zu scheitern. Schließlich haben wir ein lange bestehendes Paradigma in der Physik infrage gestellt."

Nach weiteren Forschungsaufenthalten am IBM-Forschungslabor während seines Studiums wechselt Georg Bednorz für seine Promotion an die Eidgenössische Technische Hochschule Zürich. Dort begegnet er 1977 im Zuge seiner Forschung erstmals dem Phänomen der klassischen Supraleitung. Doch erst später, nach seiner Rückkehr ans IBM-Forschungslabor, fasst er gemeinsam mit Karl Alexander Müller den Plan, "etwas Außergewöhnliches zu tun", also sich auf die Suche nach Hochtemperatur-Supraleitung in Keramiken zu begeben. Dieser Plan führt das Zürcher Duo zum Nobelpreis.

Heute reicht flüssiger Stickstoff, um Supraleiter zu kühlen
Dr. Georg Bednorz

Dr. Johannes Georg Bednorz im S10<address>© Christoph Preker, S/W-Labor Münster</address>
Dr. Johannes Georg Bednorz im S10
© Christoph Preker, S/W-Labor Münster
Der Sekretär der Nobelstiftung ruft kurz vor Mittag am 14. Oktober 1987 am IBM-Forschungslabor an, um die Entscheidung des Nobel-Komitees zu verkünden. Georg Bednorz fürchtet zunächst, dass ihm jemand einen Streich spielt. Dabei hatten Medien- und Fachwelt bereits spekuliert, dass die Entscheidung zugunsten des Duos fallen würde. Für Georg Bednorz selbst waren diese Prognosen realitätsfern. "Ich habe immer versucht, nicht daran zu denken. Aber an dem bewussten Tag hörte ich morgens im Radio, dass heute der Physik-Nobelpreis vergeben wird. Als ich anschließend in den Spiegel schaute, sah ich, dass ich ganz bleich war", erinnert er sich. Bald nach dem Anruf aus Stockholm wird die Entscheidung öffentlich bekannt gegeben und das IBM-Forschungslabor von Journalisten umringt. "Selbst das Haus meiner Eltern in Emsdetten war belagert", erinnert sich Georg Bednorz.

Ins Münsterland kehrt Georg Bednorz auch heute noch regelmäßig zurück, um Verwandte zu besuchen. Nach 40 Jahren in der Schweiz ist Münster für ihn immer noch eine Heimat – und eine Stadt,  zu der er sich hingezogen fühlt. Die WWU betrachtet er als Mitglied des Hochschulrates aus einer völlig anderen Perspektive als damals während seiner Studienzeit. "Heutzutage habe ich die Möglichkeit, mich über die neusten Entwicklungen in den verschiedenen Fachbereichen zu informieren und mir ein umfangreiches Bild über die WWU zu verschaffen", sagt der Wissenschaftler, der bodenständig und unkompliziert wirkt und gerne mit den Mitarbeitern der Institute ins Gespräch kommt.

Klassische metallische Supraleiter werden zwar seit Langem beispielsweise in der medizinischen Technik eingesetzt. Die neuen keramischen Supraleiter seien dagegen erst heute reif, um als neue Technologie  eingesetzt zu werden, so Georg Bednorz. Während er selbst sich kurz nach der Vergabe des Nobelpreises einem anderen Forschungsgebiet, den Isolatoren, zuwendet, experimentieren in den vergangenen Jahrzehnten Forscherteams auf der ganzen Welt mit weiteren kupferhaltigen Keramik-Verbindungen, aufbauend auf der Arbeit des Zürcher Duos . Dabei gelangt man zu immer höheren Sprungtemperaturen, und der zur Kühlung nötige Aufwand vereinfacht sich. "Heute genügt flüssiger Stickstoff, ein einfach zu handhabendes Kühlmittel, um supraleitende Kabel aus kupferhaltigem Keramik-Material über Strecken von bis zu einem Kilometer kalt zu halten", sagt Georg Bednorz.

Derzeit werden solche Kabel im Testbetrieb geprüft. Bald, so prognostiziert Georg Bednorz, werde die Technik der Supraleitung  im Alltag ankommen. Dann könnte sie helfen, in städtischen Netzen Strom verlustfrei zu transportieren. Generatoren für Wind- oder Wasserkraftwerke würden beispielsweise effizienter – bei kleinerer und leichterer Bauweise. Momentan sei die geringe Kapazität bei der Produktion supraleitender Drähte noch eine Hürde. "Doch die Produktion läuft gerade weltweit bei mehr als zehn Herstellern supraleitender Drähte an, die mit Pilotanlagen zu Beginn zwischen 100 und 500 Kilometern Draht liefern werden", so Georg Bednorz.

Ob es irgendwann in der Zukunft auch supraleitende Drähte gibt, die keine Kühlung nötig haben werden? Darüber lasst sich heute leider nur spekulieren, räumt Georg Bednorz ein. Doch er betont: "Ich möchte es auf keinen Fall als Utopie bezeichnen." Denn auch die Entdeckung, die er vor fast drei Jahrzehnten in Münster im voll besetzten Hörsaal vorstellt, hatte nur wenige Monate zuvor als Utopie gegolten.

Christina Heimken

Dieser Artikel erschien in der "wissen|leben" Nr. 2, 20. April 2016.

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