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Münster (upm/ch)
Eine Szene aus einem der Zeichentrick-Videoclips, die den Kindern vorgeführt wurden<address>© Psychological Science</address>
Eine Szene aus einem der Zeichentrick-Videoclips, die den Kindern vorgeführt wurden
© Psychological Science

Babys erfassen die missliche Lage

Entwicklungspsychologen zeigen: Schon Säuglinge erkennen Hilfsbedürftigkeit anderer

Menschen helfen einander – im Idealfall jedenfalls. Dass schon neun bis 18 Monate alte Säuglinge und Kleinkinder verstehen, wenn andere Hilfe benötigen, zeigt eine neue Studie, welche die Entwicklungspsychologen Moritz Köster und Joscha Kärtner der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (WWU) gemeinsam mit Studenten der Universität Osnabrück durchgeführt haben. Die Arbeit ist aktuell in der Online-Ausgabe der Fachzeitschrift "Psychological Science" veröffentlicht.

Im zweiten Lebensjahr beginnen Kinder, anderen zu helfen. Zum Beispiel geben sie Menschen Dinge an, die diese nicht selbst erreichen können. "Es ist jedoch unklar, ob dieses frühe Hilfeverhalten wirklich an dem Bedürfnis des anderen orientiert ist. Es könnte sein, dass die Kinder gar nicht verstehen, dass jemand Hilfe braucht, sondern dass sie einem Menschen beispielsweise heruntergefallene Gegenstände anreichen, um mit der Person in Kontakt zu treten und eine soziale Interaktion zu beginnen", erläutert Moritz Köster, Erstautor der Studie und Doktorand in der Arbeitseinheit Entwicklungspsychologie der WWU.

Die Forscher beleuchteten genau diese offene Frage und führten den Kleinkindern kurze Zeichentrick-Videoclips vor. Aus der Reaktion der Kinder konnten sie auf ihre Wahrnehmung und ihr Denken schließen. Moritz Köster sagt: "Unsere Ergebnisse zeigen: Kinder verstehen schon in ihrem ersten Lebensjahr, dass andere Hilfe benötigen, also in einem Alter, in dem sie noch gar nicht selbst helfen können." Dies deute darauf hin, dass das Verhalten von Kindern ab dem zweiten Lebensjahr bereits an den Bedürfnissen anderer orientiert und somit tatsächlich prosozial motiviert sein kann.

Die Babys und Kleinkinder beobachteten in den Videoclips zwei Figuren, die gleichzeitig nach einem Ball greifen. Für eine der beiden Figuren ist der Ball außer Reichweite – durch eine Barriere von der Figur getrennt. Als Nächstes erscheint eine dritte, große Figur, die einer der beiden anderen Figuren den Ball reicht. Mit einer speziellen Kamera zur Blickerfassung ("Eye-Tracking") zeichneten die Psychologen das Blickverhalten von 71 Säuglingen und Kleinkindern auf. Wohin die Kinder blickten und wie lange sie ihren Blick dort verweilen ließen, erlaubt den Wissenschaftlern Rückschlüsse darüber, wie die Kinder das Gesehene geistig verarbeiten.

Die Ergebnisse zeigen: Säuglinge und Kleinkinder erwarten, dass der Helfer derjenigen Figur hilft, die den Ball nicht erreicht. Das erkennt man daran, dass sie – wenn der Helfer aktiv wird – häufiger zu der Figur schauen, die Hilfe benötigt. Reicht der Helfer jedoch dann der anderen Figur den Ball an, sind sie verwundert – sie schauen länger auf die Szene. Zusammengenommen bedeute dies, dass sie die Hilfsbedürftigkeit der Figuren verstehen, so die Forscher.

 

Originalpublikation:

 

Moritz Köster, Xenia Ohmer, Thanh Dung Nguyen, Joscha Kärtner (2016): Infants Understand Others’ Needs. Psychological Science; Published online before print February 22, 2016, doi: 10.1177/0956797615627426

 

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