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Münster (upm/hd)
So soll es einmal aussehen: Eine 3-D-Animation hilft Präparator Oliver Kunze nicht nur, die Mammutknochen wieder richtig zusammenzusetzen, sondern auch, die gewünschte Körperstellung einzuhalten.<address>© Jörg Pastoor</address>
So soll es einmal aussehen: Eine 3-D-Animation hilft Präparator Oliver Kunze nicht nur, die Mammutknochen wieder richtig zusammenzusetzen, sondern auch, die gewünschte Körperstellung einzuhalten.
© Jörg Pastoor

Mammut-Puzzle mit 200 Teilen

Präparator Oliver Kunze setzt das Wahrzeichen des Geomuseums wieder zusammen ‒ ein Werkstatt-Besuch

Wer alte Knochen, Handschmeichler, Trommelsteine, Mineralien oder Fossilien sucht, ist in Stuttgart-Birkach gut aufgehoben. Genauer gesagt: Er sollte sich in die Steinzeit aufmachen. Die Steinzeit liegt in der Welfenstraße, der Durchgangsstraße dieses dorfähnlichen Landeshauptstadt-Vororts. Vor gut zehn Jahren hat Oliver Kunze im Haus Nummer 24 den gleichnamigen Laden eröffnet. Für Kenner der Materie ist die "Steinzeit" längst eine bekannte Adresse. Aber der 48-Jährige hat weit mehr in seinem Sortiment, als es die vielen kleinen und bunten Sammlerstücke und Kristalle aus aller Welt in den Schaukästen unter Glas vermuten lassen. Oliver Kunze hilft beispielsweise bei der Museumsgestaltung, er weiß Omphalosaurier, Krokodile oder Urpferdchen zu rekonstruieren. Zudem ist er geübt darin, Skelette zu montieren.

"Das ist eine schöne Aufgabe und tatsächlich etwas Besonderes."

Was ein paläontologischer Präparator halt so alles können sollte. Es gibt in Deutschland nicht vieler solcher Spezialisten. Oliver Kunze hatte das Glück, sein Hobby, dem er früher gerne mit seinem Vater nachging, zu seinem Beruf reifen zu lassen. Seit weit mehr als 20 Jahren schraubt, bohrt, biegt und schweißt er an uralten Gebeinen und Gerippen herum. Nicht, dass er dabei nicht schon so manches Sonderstück in Händen gehalten und bearbeitet hätte, einen Höhlenbär und einen Engelshai etwa. Seit einem dreiviertel Jahr widmet sich Oliver Kunze allerdings einem Tier, das selbst ihm als erfahrenem Profi Respekt einflößt und einiges abverlangt – die knöchernen Überbleibsel des Ahlener Mammuts, dem Wahrzeichen des Geomuseums der Universität Münster. "Das ist eine schöne Aufgabe und tatsächlich etwas Besonderes", meint er, während er das 40 Kilogramm schwere Becken des Wollhaarmammuts begutachtet.

Seit Februar arbeitet Präparator Oliver Kunze in seiner Stuttgarter Werkstatt daran, das aus knapp 200 Teilen bestehende und rund 40.000 Jahre alte Ahlener Mammut wieder in einen vorzeigbaren Zustand zu versetzen.<address>© Jörg Pastoor</address>
Seit Februar arbeitet Präparator Oliver Kunze in seiner Stuttgarter Werkstatt daran, das aus knapp 200 Teilen bestehende und rund 40.000 Jahre alte Ahlener Mammut wieder in einen vorzeigbaren Zustand zu versetzen.
© Jörg Pastoor
So sieht also die Werkstatt eines Mammut-Präparators aus. Etwa 36 Quadratmeter groß, an einer Wand stehen deckenhohe und mit allerlei Utensilien bestückte Regale, in der Mitte steht ein mit Werkzeugen und vielem mehr vollgepackter Tisch, direkt daneben ein Schweißgerät – und überall liegen und stehen Wirbel, Rippen, Becken, Schulterblätter und Stoßzähne. An die Werkstatt schließt sich eine etwa gleich große Garage an, die ebenfalls als Arbeitsplatz, derzeit aber vor allem als Lagerstätte dient. Rund 200 Teile muss Oliver Kunze in den kommenden Wochen zu einem auf den Zentimeter genauen und möglichst originalgetreuen Mammutus primigenius zusammenfügen, das in einigen Monaten aus einem eigens geschnittenen "Mammutfenster" vom Geomuseum in Richtung Dom schauen wird. Als digitale Vorlage für die genaue Haltung dient ihm eine 3-D-Animation des "Smithonian Institute" (http://3d.si.edu/explorer?modelid=55), mit dem er jede Knochenstellung und jede Winkelposition perfekt nachvollziehen kann. "Das ist eine großartige Hilfe, weil ich sonst vieles aus dem Bauch heraus entscheiden müsste.

Seit Februar bastelt er an diesem Mammut Puzzle, das im Endstadium 5,50 Meter lang und etwa 3,20 Meter hoch sein wird. Wenn Oliver Kunze, dessen Karriere mit einem Praktikum im Stuttgarter Löwentor-Museum begann, seine Arbeit schildert, spürt man schnell, dass ein Präparator gleich drei Berufe abdeckt: Handwerker, Künstler, Anatom. Der Handwerker Oliver Kunze muss schweißen, gipsen, Kunststoff verarbeiten, formen, bohren und biegen können; der Künstler Oliver Kunze muss für jedes Problem, von porösen Knochen über fehlende Verbindungsstücke bis hin zur Anfertigung eines perfekten Stoßzahn-Abgusses, eine Lösung finden; der Anatom Oliver Kunze kennt jeden Millimeter des Knochengerüsts und jeden lateinischen Fachausdruck für die Einzelteile.

"Das Ahlener Mammut war in einem beklagenswerten Zustand."

Nachdem er vor neun Monaten alle Teile mit einem Laster aus Münster nach Stuttgart gefahren hatte, stand zunächst die Bestandsaufnahme der etwa halben Tonne Knochen an. Sind alle Teile vorhanden? Passt alles zusammen? In welchem Zustand sind die einzelnen Teile? An welchen Stellen kann beziehungsweise muss man die Gipsstellen durch Kunststoff ersetzen? Insgesamt war das nach seinem Fundort benannte Ahlener Mammut in einem, wie sich Museumsleiter Dr. Markus Bertling erinnert, "beklagenswerten Zustand". Die Knochen waren über die Jahrzehnte hinweg, verglichen mit den heutigen Standards, eher unfachmännisch behandelt und ergänzt worden. Mal mit Gips, mal mit Kork, Holz oder Torf, mal diente auch ein Putzlappen als Flickhilfe. "Man nahm irgendwie alles, was gerade zur Hand war."

Beeindruckende Ausmaße: Autor Norbert Robers (1,92 Meter) neben einem Mammut-Bein.<address>© Jörg Pastoor</address>
Beeindruckende Ausmaße: Autor Norbert Robers (1,92 Meter) neben einem Mammut-Bein.
© Jörg Pastoor

Die tiefsten Sorgenfalten bekam Oliver Kunze, als er das Becken inspizierte. "Das war die größte Baustelle – dieses Teil drohte zu zerbröseln." Jetzt war der Handwerker Kunze gefordert. Er schweißte Verbindungsstücke und einen kleinen T-Träger, die die Stabilität garantieren, mit Kunststoff besserte er alle schadhaften Stellen aus. Seine Haupt-Arbeitsmittel waren Kunstharz und Tränkungsmittel, mit denen er das Innenleben der Knochen verfestigte. Danach ran an den Schädel und an die Wirbelsäule: Aus einem langen Vierkantrohr formte er die knöcherne Mitte des Tieres, die columna vertrebralis – natürlich in einer präzise ausgerechneten gebogenen Form, die es erlaubt, alle mit einem stählernen Innenleben ausgestatteten Wirbel auf diesen Stab zu schieben, ohne dass sie verkanten oder einen zu großen Abstand zueinander aufweisen.

Es handelt sich zwar nachweislich um Deutschlands komplettestes Mammut-Gerippe, aber Oliver Kunze musste für so manche Stelle knöchernen Ersatz organisieren. "Es gibt leider keine geklonten Mammuts", schmunzelt er, "die auch noch zufällig zur etwa gleichen Zeit verendet sind." Hinzu kommt, dass die Konservierungs- und Ausbesserungstechniken weit von den heutigen Möglichkeiten entfernt waren.

Der rund 80-seitige Ausschreibungstext, der ihm als eine Art Handlungsanleitung dient, sieht vor, dass das Mammut in einer leichten Geh-Stellung präsentiert werden wird. Sprich: Zwei der vier Beine sind den beiden anderen einen Schritt voraus, die Füße sind ebenfalls leicht gespreizt. Gleichzeitig soll sich das Tier mit seinem Kopf in einem genau festgelegten Winkel den Besuchern zuwenden. Klingt logisch, bedeutet für Oliver Kunze allerdings, dass er all dem beispielsweise auch die Haltung der Schulterblätter und der Rippenbögen exakt anpassen muss. Rund 1700 Fotos hat er bislang gemacht, auf denen er jedes Teil aus verschiedenen Blickwinkeln festgehalten hat.

"Die acht Wochen nutze ich dazu, das Mammut richtig hübsch zu machen."

Ende November kommt der große Moment: Oliver Kunze wird das Mammut in seinen Räumen so aufbauen, wie es auch nach der Eröffnung des Geomuseums stehen wird. Um die Stabilität ernsthaft prüfen, wird er alles mit Ausnahme des Schädels und der Stoßzähne aufstellen und sich mit seinen rund 70 Kilogramm vorne an den Körper dranhängen. "Das muss es aushalten, danach können wir sicher sein." Markus Bertling wird für diesen Aufbau nach Stuttgart fahren und das Mammut in allen Details abnehmen.

Zwei Monate hat der Präparator danach dafür veranschlagt, alle Knochen passend und identisch einzufärben und letzte Hand anzulegen. "Die acht Wochen nutze ich dazu, das Mammut richtig hübsch zu machen." Der Transport nach Münster ist für Anfang nächsten Jahres geplant. "Ich freue mich schon jetzt auf den Moment", meint Oliver Kunze, "wenn es steht und hoffentlich alle sagen: Es sieht wirklich gut aus."

Dieser Artikel ist in der Novemberausgabe der Uni-Zeitung wissen|leben erschienen. Autor: Norbert Robers

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