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Münster (upm/hd)
Fest im Blick hat Dr. Johannes Kamp die Entwicklung der Weidenammer-Population.<address>© Hanna Karthäuser</address>
Fest im Blick hat Dr. Johannes Kamp die Entwicklung der Weidenammer-Population.
© Hanna Karthäuser

„Das Problem ist auf der politischen Agenda nach oben gerutscht“

Landschaftsökologe Johannes Kamp über rückläufige Vogelbestände und die Bedrohung der Artenvielfalt

Veränderungen ihres Lebensraumes setzen vielen Tierarten zu, und auch die Bejagung kann zu einem massiven Problem werden. Noch vor einigen Jahren gehörte beispielsweise die Weidenammer zu den häufigsten Vögeln Nordeuropas und Asiens. Inzwischen ist der sperlingsgroße Singvogel jedoch stark gefährdet. Wie dramatisch die Lage ist, zeigte in vollem Ausmaß erstmals eine kürzlich veröffentlichte Studie. Christina Heimken sprach mit Erstautor Dr. Johannes Kamp. Der 35-jährige Landschaftsökologe forscht am Institut für Landschaftsökologie in der Arbeitsgruppe von Prof. Norbert Hölzel.

In Ihrer Studie ist die Rede von einem "globalen Zusammenbruch" der Weidenammer-Bestände. Was bedeutet das?

Die Weidenammer war früher mit Hunderten Millionen Tieren von Ostfinnland bis zur japanischen und russischen Pazifikküste verbreitet. Der Bestand ist jedoch um etwa 90 Prozent zurückgegangen. Dabei hat die Art rund zwei Drittel ihres vorherigen Verbreitungsgebiets geräumt. Hauptursache ist die illegale Jagd in China zu Speisezwecken. Wie andere Singvogelarten werden Weidenammern dort auf dem Zug in ihre Überwinterungsquartiere in Massen gefangen.

Ist der Singvogelfang ein asiatisches Problem?

Nein. Auch in Europa spielt er noch eine große Rolle – vor allem im Mittelmeerraum, zum Beispiel auf Malta, Zypern, in Italien, Frankreich und Ägypten. Vor allem Zugvögel werden auch dort teils illegal und in Massen zu Speisezwecken gefangen. Außerdem gibt es immer wieder Berichte von sogenannter sportlicher Vogeljagd beispielsweise auf Malta und Zypern. Auch größere Vögel, darunter Greifvögel, werden von Jägern dort zu Übungszwecken geschossen, um die Treffsicherheit zu trainieren. In Europa ist die Situation aber seit Längerem bekannt, und es wird auch etwas dagegen getan. Für China haben wir jetzt erstmals quantitativ belegt, wie groß das Ausmaß der Jagd ist.

Ihre Forschungsschwerpunkte liegen derzeit in Sibirien und Kasachstan. Das sind Regionen, in denen auch die Weidenammer brütet. Gibt es dort zusätzliche Bedrohungen?

Ein Problem ist die Zerstörung von Lebensraum. In Russland und Kasachstan beobachten wir tief greifende Veränderungen in der Landwirtschaft. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion gaben die Menschen viele landwirtschaftliche Flächen auf. Aber seit einigen Jahren wird das Land wieder genutzt, und zwar viel intensiver als zur Sowjetzeit. Einige Steppenvogelarten wie Mohren- oder Feldlerche waren Anfang der 1990er Jahre vielerorts verschwunden, da sie in der Agrarlandschaft kaum Bruterfolg hatten. Auf den brachliegenden Flächen siedelten sich die Tiere wieder an. Jetzt stehen sie erneut unter Druck.

Die Landwirtschaft schadet also der Artenvielfalt?

Das kann man so pauschal nicht sagen. Von einer extensiven Landwirtschaft profitieren auch viele Arten. Ein Beispiel sind Ziesel. Diese Erdhörnchen haben in der Steppe eine große ökologische Bedeutung – sie graben den Boden um und sorgen dafür, dass er Wasser aufnehmen kann. Sie sind auf weidende Huftiere angewiesen, die die Flächen von starkem Bewuchs frei halten. Früher waren das beispielsweise Wildesel oder Saiga-Antilopen in Kasachstan. Inzwischen haben Haustiere diese Rolle übernommen. Die Ziesel profitierten in den 1990er Jahren davon, dass viele Bürger wieder privat Vieh hielten. Mit steigendem Wohlstand geben viele Menschen diese traditionelle Form der Viehhaltung nun wieder auf – zum Schaden der darauf angewiesenen Arten und Ökosysteme.

Schauen wir noch einmal vor die Haustür. Wissenschaftler schätzen, dass die Vogelbestände in Europa zwischen 1980 und 2009 um über 20 Prozent gesunken sind. Auffällig ist, dass gerade häufige Vogelarten wie Haussperling, Star und Feldlerche besonders stark betroffen sind ...

Auch der Haussperling ist seltener geworden.<address>© colourbox.de</address>
Auch der Haussperling ist seltener geworden.
© colourbox.de
… ein Problem, das im Naturschutz erst vor Kurzem in seiner vollen Tragweite erkannt wurde. Viele seltene Arten, die traditionell im Fokus der Naturschützer standen, wie Kranich oder Seeadler, haben sich durch Schutzmaßnahmen ganz gut erholt. Im Münsterland ist der Kiebitz-Bestand um 50 Prozent gesunken – diese Vögel saßen früher auf jedem Acker. Die Ursachen liegen hauptsächlich in Veränderungen der Lebensräume: Die landwirtschaftlichen Nutzflächen werden größer und monotoner. Auch der Einsatz von Breitbandpestiziden wird zunehmend als negativer Einfluss diskutiert. Studien haben gezeigt, dass die Anwendung solcher Pestizide zu einem Rückgang der Vögel in der betroffenen Region führt, da sie weniger Nahrungsinsekten finden.

Wenn Tierarten selten werden oder gar verschwinden – welche Auswirkungen hat das auf die Ökosysteme?

Die genauen Zusammenhänge sind in vielen Fällen nicht gut untersucht. Besonders wenn häufige Arten verschwinden, kann es aber zu Veränderungen der Nahrungskette kommen. Das muss jedoch nicht in jedem Fall dramatische Folgen haben. Unter Umständen besetzen auch andere Arten die frei gewordene ökologische Nische. Übrigens zeigen Studien auch noch etwas ganz anderes: Eine Landschaft mit vielen verschiedenen singenden Vogelarten steigert das menschliche Wohlbefinden – sie ist ein Stück Lebensqualität.

Naturschützer wollen diese Qualität erhalten. Inwiefern hilft die Wissenschaft dabei?

Wir Wissenschaftler können Entscheidungsträger auf der Basis von Fakten beraten. Naturschützer können sich auf unsere Erkenntnisse berufen. In England arbeiten die Naturschützer schon seit Langem eng mit Forschern zusammen, und auch in Deutschland geht der Trend in diese Richtung. Wissenschaftler bilden darüber hinaus junge Leute aus und sensibilisieren sie: In unseren Projekten am Institut für Landschaftsökologie unterstützen wir den Austausch von Studierenden und Doktoranden aus Russland, Kasachstan und Deutschland und geben ihnen die Möglichkeit, sich jeweils mit den Naturschutzproblemen vor Ort vertraut zu machen.

Gibt es Hoffnung für die Weidenammer?

Ich denke schon. Ihre Bejagung ist in China illegal und wird verfolgt. Durch die Publikation unserer Studie und durch die damit verbundene internationale Medienberichterstattung ist das Thema in China auf der politischen Tagesordnung zudem weiter nach oben gerutscht. Auch in der chinesischen Gesellschaft werden Naturschutzthemen populärer. Das ist wichtig, denn ohne ein Umdenken dort kann man die Tiere nicht schützen. Und so dramatisch der Rückgang auch ist – häufige Arten wie die Weidenammer haben hohe Reproduktionsraten und können sich von Bestandszusammenbrüchen erholen, wenn man rechtzeitig Schutzmaßnamen ergreift.

Dieses Interview ist in der Juli-Ausgabe der Uni-Zeitung wissen|leben erschienen.

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