Hauptseminar: Postmoderne Sozialethik? Zeitgenössische Positionen im sozialethischen Diskurs. (WS 2005/06)
ergänzende Informationen und Materialien
- Veranstaltungsnummer:
- 021620
- Teilgebiete:
- D; G; HR; GG; BK; M.A. (NF); P C3; P(wF) C2; SI C3; SII/I C4
- Zeit:
- Di., 16-18h
- Beginn:
- 25.10.2005
- Ende:
- 07.02.2006
In der Vorlesung Sozialethik II wird die christliche Sozialethik im
Kontext des sozialethischen Diskurses der Gegenwart vorgestellt und
diskutiert. Parallel zu dieser Vorlesung sollen im Hauptseminar
‚Postmoderne Sozialethik?‘ einige der in der Vorlesung behandelten
Positionen intensiver behandelt werden, und zwar einerseits die
libertären Vertragstheorien von Robert Nozick und James Buchanan sowie
andererseits die sozialethischen Implikationen der Systemtheorie Niklas
Luhmanns und die postmoderne Ethik Zygmunt Baumans. Robert Nozick
entwickelt seine Vertragstheorie in Auseinandersetzung mit der Theory
of Justice von John Rawls. Nozicks fasst den Naturzustand denkbar
‚positiv‘, d.h. die Naturzustandsakteure leben weitgehend friedlich in
einer anarchischen Konstellation. Seine Minimalstaatsgenese konstruiert
Nozick als eine Art naturwüchsigen Prozess, also ohne einen – für den
Kontraktualismus an sich konstitutiven – förmlichen Vertragsschluss.
James Buchanan, ein zweiter Protagomist der libertären Rawlskritik,
orientiert sein Naturzustandsdesign – ganz im Gegensatz zu Nozick – an
Thomas Hobbes‘ bellum omnium contra omnes. Der argumentative Aufwand
der Herrschaftslegitimation ist dementsprechend gering: Der Übergang
vom Natur- zum Vertragszustand kann problemlos als Abrüstungsvertrag im
allseitigen Interesse gefasst werden; freilich werden dabei
naturwüchsige Ungleichheiten in den konstitutionellen Zustand überführt
(und nur in höchst beschränktem Umfang im Rahmen eines
postkonstitutionellen Kontrakts abgemildert). Im Kontext seiner
Systemtheorie bestimmt Niklas Luhmann Moral als „Codierung der
Kommunikation durch das binäre Schema von gut und böse“, das immer dann
anwendbar ist, wenn ein Verhalten, über das kommuniziert wird, „mit
Erweis oder Entzug von Achtung bzw. Mißachtung sanktioniert wird“.
Einem solchen Begriff der Moral als Konditionierung von Achtungs- und
Missachtungsbedingungen kommt angesichts der in den Systemen jeweils
geltenden systemlogischen Sachzwänge eine in sozialethischer Hinsicht
völlig untergeordnete Bedeutung zu. Im engeren Sinne postmodern ist die
Ethik Zygmunt Baumans. Im Zentrum der Zeitdiagnose Baumans und seiner
postmodernen Ethik steht der Begriff der Ambivalenz, deren Bewältigung
die Menschen überfordert. Allein in einer besonderen Form der Akzeptanz
der Andersartigkeit des Andern – dem „Fürsein“ – flüchtet der Mensch
nicht die Konfrontation mit der Ambivalenz, sondern stellt sich ihr und
kann seine Verantwortlichkeit für den Anderen erkennen und unter
Umständen realisieren. Im Bereich dieses „Fürseins“ entwickelt Baumann
einen Begriff der Solidarität, den er gewissermaßen in das Zentrum
seiner Konzeption stellt: Überleben in der Ambivalenz ist letztlich nur
möglich, „wenn jede Differenz die andere Differenz als notwendige
Bedingung der Bewahrung ihrer eigenen anerkennt“.
Im Seminar sollen diese vier Theorien besonders unter zwei
Gesichtspunkten diskutiert werden: Welche Rolle spielen sie im
zeitgenössischen sozialethischen Diskurs? Welche Bedeutung könnten sie
für christlich-sozialethisches Denken haben?
Begleittexte
Basistext