Islamische Rechtsphilosophie (maqaṣid aš-šarīʿa)

Die Theorie der maqāṣid aš-šarīʿa (Ziele der Scharia) offenbart unverkennbare Parallelen zur Rechtsphilosophie. Denn sie ist ziel- und zweckorientiert und damit vor allem auch verknüpft mit Fragen der juristischen Epistemologie. Eine scharfe Trennung zwischen der maqāṣid-Theorie und der traditionellen uṣūl al-fiqh (Rechtsquellen- und Methodenlehre) ist allerdings genauso wenig erfolgversprechend, wie die Abgrenzungsversuche zwischen der Rechtsphilosophie und der Rechtstheorie sowie anderer rechtswissenschaftlicher Grundlagenfächer. Fortwährend zeigen sich Überschneidungen. Maqṣid (pl. maqāṣid) bedeutet linguistisch Bestimmungsort, Sinn, Absicht, Ziel, Zweck. Normativ haben sich islamische Rechtsgelehrte mit der Frage auseinandergesetzt, ob der šarīʿa Zwecke (maqāṣid) immanent sind, die den normativen Bestimmungen (furūʿ al-fiqh) zugrunde liegen. Die maqāṣid-Disziplin, in der vor allem rechtsethische Prinzipien herausgearbeitet werden, erfreut sich einer immer größeren Beliebtheit gerade vor dem Hintergrund moderner Nationalstaaten.