Neolithische Mahlsteine zwischen Weserbergland und Niederrhein


Dissertation Jan Graefe M.A. (Rigorosum Juli 2008) (1)



Mahlsteine:

Als Mahlsteine werden Artefakte bezeichnet, die in der Nahrungsmittelverarbeitung während der Vorgeschichte eine wichtige Rolle eingenommen haben. „Unterlieger“ und „Läufer“ bilden das Paar eines Mahlsteines, dieser setzt sich also aus zwei Bestandteilen zusammen. Durch den Verfasser wurde bereits an anderer Stelle der aktuelle Forschungsstand zu neolithischen Mahlsteinen zusammengetragen, so daß hier darauf verwiesen werden kann (Graefe 2004).


Neolithische Mahlsteine im Arbeitsgebiet:

Im Rahmen dieser Studie werden neolithische Mahlsteine der Region zwischen dem Weserbergland und dem Niederrhein erstmalig zusammenfassend bearbeitet. Das Arbeitsgebiet umfasst im Prinzip die Landesgrenzen von Nordrhein-Westfalen. Zusätzlich ist das Osnabrücker Land, nördlich des Teutoburger Waldes gelegen (bereits Land Niedersachsen), Teil der Untersuchung. Demnach wird die Region im Westen durch das Maaseinzugsgebiet bzw. der Eifel entlang der politischen Grenzen zwischen Deutschland, den Niederlanden und Belgien begrenzt. Im Nordwesten wurde sich an den Verlauf der Grenze zwischen Deutschland und den Niederlanden gehalten. Im Norden wurden Fundplätze in der Münsterländer Bucht bis zur Höhe des Dümmer Sees, bereits auf niedersächsischen Gebiet gelegen, untersucht. Die Weser stellt im Osten die Grenze des Arbeitsgebietes (zum Land Niedersachsen) dar. Im Südosten hingegen wurden Inventare von Fundplätze bis zur Diemel im Grenzbereich zu Hessen aufgenommen. Im südlichen Bereich der untersuchten Region befindet sich das Sauer- und Siegerland, wobei der Kamm des Rothaargebirges in etwa dem Verlauf der Landgrenze von Nordrhein-Westfalen zu Hessen entspricht. Weiterhin liegt das Bergische Land im Übergangsbereich zum rheinland-pfälzischen Westerwald innerhalb des Untersuchungsgebietes (Abb. 1).

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Abb. 1. Grenzen des Arbeitsgebietes (Kartengrundlage: Geographische Kommission
für Westfalen).


Die wichtigsten Flußsysteme sind demnach die in nördliche Richtung fließende Maas und der Rhein sowie Ems und Weser. Aus Ost-West Richtung entwässern die Lippe und Ruhr in den Rhein, die Diemel hingegen in West-Ost Richtung in die Weser.

Das Arbeitsgebiet kann wegen der naturräumlichen Gegebenheiten in sechs Regionen eingeteilt werden: Warburger Börde, Paderborner Hochfläche/Raum Lippe, Münsterland, Hellwegregion, Sauerland und das Rheinland. Durch unterschiedliche Siedlungstätigkeiten ist eine zeitliche Betrachtung der verwendeten oder bevorzugten Gesteine möglich.

Auch wenn schon frühzeitig die Bedeutung der Verarbeitung von Getreide zu Mehl für den neolithischen Menschen erkannt wurde, ist der Forschungs- und Bearbeitungsstand hinsichtlich der Mahlsteine regional wie auch überregional bis heute als unzureichend zu bezeichnen. Zwar wurden schon seit der Entdeckung der Pfahlbauten erkannt, daß mit Mahlsteinen Korn verarbeitet wurde, umfassende Studien wurden nur selten angeregt (vgl. Zimmermann 1988; Kegler-Graiewski / Zimmermann 2003; Graefe 2004; Hamon 2006; Ramminger 2007). So ist auch innerhalb des Arbeitsgebietes der Fundgattung der „Mahlsteine“ forschungsgeschichtlich bislang ein nur sehr geringes Interesse entgegengebracht worden, so daß sich bei der Recherche und der Aufnahme einige nicht absehbare Probleme ergaben. Bei Ausgrabungen oder Prospektionen geborgene Funde wurden sowohl in den Akten der jeweils zuständigen Fachämter (Westfälisches Museum für Archäologie- Landesmuseum und Amt für Bodendenkmalpflege und Rheinisches Amt für Bodendenkmalpflege Bonn) als auch in den Fundveröffentlichungen häufig nur als „Mahl-, Reib- oder Schleifsteine“ ohne Angabe der Anzahl der Fragmente oder der vollständigen Stücke bezeichnet, so daß unklar bleiben muß, wieviele Mahlsteine auch nur annähernd bislang geborgen wurden. Aufgrund dieser Sachlage war es nötig, allen Hinweisen nach dem Verbleib dieser Kollektivbezeichnungen in Museen und Sammlungen nachzugehen. Die Untersuchungen ergaben u. a., daß die Inventare von einigen Fundstellen verschollen oder zur Zeit nicht zugänglich sind. Desweiteren wurde festgestellt, daß ein großer Teil der als „Mahlstein“ angesprochenen Artefakte nur als kleinteiliger Mahlsteinbruch ohne eindeutige Mahlspuren zu bezeichnen ist oder es sich eindeutig um Klopfsteine handelt. Zusätzlich sind, neben Steinen ohne artifiziellem Charakter, in einigen Fällen Reib- und Schleifsteine als Mahlsteine inventarisiert worden.

Die Regionen des Arbeitsgebietes mit seinem insgesamt heterogenen Naturraum zeigen hinsichtlich der Besiedlungsdauer und –intensität deutliche Unterschiede, die von einer differenzierten Nutzung durch die neolithischen Siedler zeugen. Anhand von Keramikstilen und auch der Verbreitung von Artefakten verschiedener Rohmaterialien können weitreichende überregionale Bezüge innerhalb Mitteleuropas während des Neolithikums nachgewiesen werden, in die sich die Formgebung, das Größenspektrum oder auch die Art und Weise der Rohmaterialbeschaffung von Mahlsteinen einfügen. So sind, zumindest in einigen Regionen, erste Errichtungen fester Häuser und die Anlagen von Feldern ab dem Altneolithikum mit der linearbandkeramischen Kultur belegt. Von den Siedlungsplätzen etwa des Rheinlandes fand die weitere Kolonisation der fruchtbaren Böden des Hellweges bis in westliche Bereiche der Soester Börde statt. Aus dem nördlichen Hessen hingegen wurde die Warburger Börde und auch der östliche Teil der Soester Börde besiedelt.
Auch im weiteren Verlauf des Neolithikums lassen sich Einflüsse, Innovationen und Rohmaterialbezüge aus unterschiedlichen Regionen feststellen. Prozesse und Entwicklungen der ansässigen neolithischen Kulturen sind also in einem überregionalen Rahmen zu verstehen, auch wenn sich kleinräumig eigenständige Traditionen und Formen durchgesetzt haben.

Die vorliegenden Mahlsteine zeigen häufig einen hohen Fragmentierungsgrad, da sie in den meisten Fällen als Abfallprodukte z. B. in eine hausbegleitende Grube gelangt sind. Im Rahmen dieser Studie wurden stark fragmentierte Mahlsteine nur dann aufgenommen, wenn eine Unterscheidung in Unterlieger oder Läufer möglich war. Der zahlreiche kleinteilige Mahlsteinbruch ohne eindeutige Mahlspuren wurde allerdings hinsichtlich des Rohmaterials untersucht. So wurden (Stand Sommer 2007) 399 Mahlsteine (von 97 Fundstellen), die Aussagen zu verschiedenen Aspekten wie Größe, Form und Rohmaterial zulassen, aufgenommen. Unter diesen 399 Mahlsteinen fanden sich 56 in Länge, Breite und Höhe vollständige Mahlsteine (42 Unterlieger und 14 Läufer), von zum Teil extrem hohen Gewicht. Interessante Erkenntnisse bezüglich einer durchschnittlichen Mahlsteingröße lassen weitere Mahlsteine aufgrund von zwei erhaltenen Seiten (vollständige Breite) und der Höhe zu. Zusätzlich konnte das Steininventar der überregional bekannten Siedlung Rosdorf „Mühlengrund“, Ldkr. Göttingen, (Niedersachsen) untersucht werden. Von 1650 neolithischen Steinen ließen sich 165 als Unterlieger oder Läufer und 164 als kleinteiliger Mahlsteinbruch ohne eindeutige Mahlspuren bestimmen. Bei den restlichen Steinen handelt es sich um Mahlsteinabschläge oder nicht artifizielle Gerölle.
Die Formen der untersuchten Mahlsteine können dem Schema von A. Zimmermann zugeordnet werden. Demnach handelt es sich in der Regel um Mahlsteine der Form 1, die als die kennzeichnende Mahlsteinform des Neolithikums anzusehen ist. Desweiteren ließ sich in einigen Fällen Form 2 auch schon im Altneolithikum nachweisen. Im Verlauf des Neolithikums nimmt der Anteil an Mahlsteinen der Form 2 in den Inventaren deutlich zu und ist auch während der Bronzezeit belegt. Die Formen der Mahlsteine verändern sich im Wandel der Zeit zwar leicht, grundlegend andere Eigenschaften der Gesteine werden aber nicht benötigt. Durch die Beanspruchung von Unterliegern und Läufern im Mahlvorgang werden die Ränder, Seiten und Unterseiten spezifisch geformt, so daß in dieser Studie letztlich fünf Randformen, sechs Unterliegerseiten und zwei Läuferseiten definiert werden konnten, die durch das Mahlen von Korn mit einer der drei Formen entstehen. Durch eine Auswertung der Unterseiten kann aufgezeigt werden, daß Unterlieger in der Regel eine relativ eben (plan) zugerichtete Unterseite aufweisen, bei Läufern war es hingegen möglich, drei unterschiedliche Formen der Unterseitenzurichtung nachzuweisen. Meistens sind die Unterseiten der Läufer nur gerundet zugerichtet, es fanden sich allerdings auch regelrechte „Handhaben“ zur besseren Führung des Läufers im Mahlvorgang.

Eine kulturelle Zuweisung der Fundplätze war in 83% der Fälle aufgrund von eindeutig bestimmbaren Funden möglich. 17 % der Fundplätze können allerdings nur allgemein als „neolithisch“ oder „Neolithikum bis Eisenzeit“ bezeichnet werden.
Aufschlußreich sind die unterschiedlichen Quellenlagen, aus denen Mahlsteine geborgen wurden. So stammen Mahlsteine zu 90% zwar aus Abfallgruben in Siedlungszusammenhängen, in einigen Fällen (4%) deuten sich aber kultisch-religiöse Hintergründe an. So sind im Rahmen von Bestattungsritualen Mahlsteine Personen als Grabbeigabe mitgegeben worden. Es zeigt sich aber, daß diese Rituale nur einem bestimmten Personenkreis vorbehalten waren. Desweiteren konnten einige vollständige Unterlieger und Läufer (2%) untersucht werden, die paarig in Gruben sorgfältig niedergelegt wurden. In einigen Fällen wurden neben den Mahlsteinen weitere Artefakte wie Keramik vorgefunden. Aufgrund der Befundlage innerhalb von Hausgrundrissen deuten sich kultisch-religiöse Handlungen während oder vor der Errichtung der Häuser an. Zusätzlich wurden Mahlsteine auch als Einzelfunde (4%) geborgen.


Rohmaterialien:

Nicht jedes Gestein eignet sich für eine Nutzung als Mahlstein. Die verwendeten Rohmaterialien für Mahlsteine werden normalerweise beschrieben als „harte, feste Gesteine mit mittel-grobkörnigem Gefüge“. Kennzeichnende Eigenschaften sind weiterhin eine bleibende Rauhigkeit bei geringem Abrieb. Ein feinkörniges Gefüge führt nicht zu der erforderlichen Rauhigkeit der Mahlfläche, sondern zu schlechten Werten bei der Effektivität der Mahlsteine, da die Mahlflächen geschliffen werden würden (Stichwort Schleifstein). Ein hoher Abrieb würde zu einem hohen Gesteinsgrusanteil im Mahlgut und einem schnellen Verschleiß der Mahlsteine führen.
Im Arbeitsgebiet wurden Mahlsteine je nach den regionalen geologischen Gegebenheiten aus unterschiedlichen Gesteinen gefertigt. Die Inventare westfälischer Fundplätze setzen sich zum einen aus Sandsteinen unterschiedlicher fazieller Ausprägung und geologischen Alters und zum anderen aus eiszeitlichen Geschieben (Granit oder Gneis) zusammen (Abb. 2).

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Abb. 2. Geologischer Aufbau Westfalens und angrenzender Gebiete
(nach Hilden 1955, 11).

Mahlsteine aus rheinischen Fundplätzen bestehen in der Regel aus Eschenweiler-Kohlen-Sandstein, einem Material, das aus der Gegend um den Aachener Stolberg geologisch ansteht (siehe unten). Desweiteren sind aber auch regional vorhandene Gesteine verwendet worden (Abb. 3).

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Abb. 3. Geologische Übersichtskarte des Rheinischen Schiefergebirges
(nach Henningsen / Katzung 2002, 44).


Lagerstätten und Distribution:

Zur Frage der Verhandlung und Verbreitung von Geräten und Rohmaterialien während des Neolithikums gelten die Untersuchungen zu bandkeramischen Austauschsystemen aufgrund des guten Forschungsstandes als grundlegend (Zimmermann 1988; Zimmermann 1995). Im Zusammenhang mit den umfassenden Untersuchungen in den rheinischen Braunkohlenrevieren konnten weitreichende Beziehungsmuster zwischen benachbarten Siedlungsplätzen näher verifiziert werden. Die Ergebnisse werden, trotz der Verwendung unterschiedlicher Rohmaterialien, auf andere Regionen übertragen. Außerdem werden Schlüsse für das Verständnis der Beziehungen der folgenden neolithischen Kulturen gezogen, da vergleichbare Studien selten sind.

Wie an anderer Stelle bereits dargelegt wurde, zeigen sich bezüglich der Verteilung und des Verbreitungssystems von Mahlsteinen deutliche Unterschiede zu den Austauschsystemen von Feuersteinen (Kegler-Graiewski / Zimmermann 2003). Wegen der Größe der Artefakte, der eingeschränkten geeigneten Rohmaterialien, sowie des seltenen Vorkommens von Halbfertigprodukten in Siedlungsinventaren wird eine eigenständige Versorgung mit Mahlsteinen durch die Bewohner der Siedlungen angenommen (Zimmermann 1995; Kegler-Graiewski / Zimmermann 2003, 31-35; Graefe 2004, 77-80; Kegler-Graiewski 2004, 416-417). Da sich keine signifikanten Unterschiede zwischen den Größen, Formen und des verwendeten Rohmaterials von Mahlsteinen benachbarter Siedlungsplätze, die miteinander in einer hierarchischen Beziehung stehen, feststellen lassen, ist an eine Verkleinerung und Weitergabe von einzelnen Fragmenten im Sinne des Feuersteinsystems (Weitergabe von Hand zu Hand) nicht zu denken. Außerdem geht mit einer Fragmentierung von Mahlsteinen ein Funktionsverlust einher. Allgemeingültig wird also eine Selbstversorgung der Siedlungen mit geeigneten Rohmaterialien postuliert. In der Frage der Art und Weise einer solchen Selbstversorgung sind allerdings gut untersuchte Steininventare von Siedlungsgrabungen vonnöten, da sich, den Untersuchungen von A. Zimmermann und N. Kegler-Graiewski zufolge, Unterschiede im prozentualen Anteil von Produktionsabfällen in Inventaren von Siedlungen mit guter Rohmaterialverfügbarkeit und Siedlungen mit einer weiteren Entfernung zur Lagerstätte nachweisen lassen. Bei einer guten Versorgungslage können vermehrt entsprechende Artefakte mit Abschlagspuren beobachtet werden. In Siedlungen mit einer weiten Entfernung zu Lagerstätte hingegen, wie etwa beim bandkeramischen Fundplatz Erkelenz-Kückhoven, Kreis Heinsberg, sind keine Produktionsabfälle belegt, was als Hinweis auf eine Fertigung der Mahlsteine in der Lagerstätte der Aachener Stolbergregion (Eschenweiler-Kohlen-Sandstein) und des Transportes der Produkte zur Siedlung gedeutet wird (Kegler-Graiewski / Zimmermann 2003, 34; Kegler-Graiewski 2004, 416-417). In diesem Zusammenhang sei auf das Halbfertigprodukt eines Unterliegers der jünger bandkeramischen Siedlung Eschweiler-Weisweiler, Kreis Aachen, hingewiesen. Das Stück besteht aus Eschenweiler-Kohlen-Sandstein, der augenscheinlich aus einem bergfrisch gewonnenem Block gefertigt wurde. Untersuchungen von P. Tutlies und J. Weiner haben gezeigt, daß der Unterlieger bei der Zurichtung zerbrochen ist. So fanden sich in der Grube weiterhin Abschläge aus Eschenweiler-Kohlen-Sandstein (Tutlies / Weiner 1999, 50-53). Interessant ist, daß der zerbrochene Unterlieger nicht weiter zu einem Läufer umgearbeitet, sondern in einer Abfallgrube entsorgt wurde. Es muß also genügend Rohmaterial zur Mahlsteinherstellung in der Siedlung zur Verfügung gestanden haben. Gleiches gilt für ein Unterliegerhalbfabrikat aus Frankfurt-Fechenheim, Stadt Frankfurt, das kurz vor der Endfertigung in einer Abfallgrube entsorgt wurde (Rehbach et al. 2006, 17).

Im Arbeitsgebiet zeigen sich hinsichtlich der zurückgelegten Entfernungen für ein geeignetes Rohmaterial im Verlauf des Neolithikums regional, wie auch überregional, Unterschiede, die sich nicht mit kulturellen Eigenheiten erklären lassen. Stattdessen spielt das geologische Vorkommen von nutzbaren Gesteinen eine wichtige Rolle, so zeigt sich im diachronen Vergleich, daß in den einzelnen Regionen in der Regel eine bestimmende Gesteinsart Verwendung fand. Zusätzlich sind in Einzelfällen auch weniger geeignete Gesteine zur Mahlsteinherstellung genutzt worden. Als Ausnahme gelten Sandsteine (Varietät „Hann. Münden“) von altneolithischen Siedlungsplätzen der Warburger Börde, wodurch Bezüge ins südliche Niedersachsen belegt sind (Abb. 4).

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Abb. 4. Herkunft und Verbreitung der Sandsteinvarietäten im südlichen Niedersachsen
und der Warburger Börde (modifiziert nach Graefe 2004, 77).

Im Rheinland bestehen als Mahlsteine verwendete Sandsteine in der Regel aus Eschenweiler-Kohlen-Sandstein (siehe oben). Daher nehmen die Rohmaterialien des ältestbandkeramischen Siedlungsplatzes von Niederkassel-Uckendorf, Rhein-Sieg-Kreis, (Rheinland) eine Sonderstellung ein, da die Mahlsteine aus Geröllen verschiedenster Gesteine des Rheinschotters hergestellt wurden. Die Lagerstätten des Eschenweiler-Kohlen-Sandsteines wurden bereits von K. Rode 1961 in der Aachener Stolbergregion identifiziert (Abb. 5). Es lassen sich nun mehrere Abbaustellen eingrenzen, da sich anhand der aufgeschlossenen Gesteinsschichten des Karbon kleinfazielle Unterschiede andeuten. So sind die Sandsteinbänke unterschiedlich stark sedimentiert und unterscheiden sich hinsichtlich der Korngrößen, Kornsortierung oder auch der Mineralzusammensetzung. Grobkörnige und schlechter sortierte Sandsteine werden daher auch als „Gedauer Konglomerat“ bezeichnet (Rode 1961; Weiner / Schalich 2006).

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Abb. 5. Lokalisierung von Lagerstätten des Eschenweiler-Kohle-Sandsteines (nach Rode 1961, modifiziert
von Weiner / Schalich 2006, 205).



Für geeignete Mahlsteinrohmaterialien wurden im Arbeitsgebiet nun bis zu 60 km von den Siedlungen zu den Lagerstätten (und zurück) überwunden. Somit liegen die zurückgelegten Entfernungen häufig außerhalb des agrarischen und wirtschaftlichen Nutzungsraumes neolithischer Siedlungen. Im Sinne des Modells von J. Lüning und C. C. Bakels ist die Rohmaterialversorgung in der Regel jenseits des wirtschaftlichen Außenbereiches zu sehen (Lüning 1978, 269-274; Bakels 1978; Bakels 1982, 9-16). An dieser Stelle sei auf die Größe und unhandliche Form der Mahlsteine verwiesen, neben der Entfernung muß die Tragweise bzw. der Transport ein nicht unerheblicher Aufwand gewesen sein. Die vollständigen, ungenutzten Unterlieger von Dortmund-Oespel, sind immerhin 470 bzw. 440 mm lang, 320 bzw. 260 mm breit, 165 bzw. 155 mm dick und wiegen 38 bzw. 22 kg. Dazu kommen noch Läufer, die in vollständigen, genutzten Zustand (Mittelwert von 14 vollständigen Läufern) immerhin noch 3 kg Gewicht betragen.

Die Fertigung und der Transport von Mahlsteinen von den Lagerstätten in die Siedlungen sind demnach wie folgt zu rekonstruieren: In siedlungsnahen Lagerstätten wurden geeignete Rohmaterialblöcke für Unterlieger und Läufer ausgesucht und grob in Form gebracht. Der Transport der Halbfertigprodukte zum Bestimmungsort erfolgte in der Regel wohl über Land. Eine Nutzung tierischer und menschlicher Muskelkraft kann zur Bewältigung der Distanzen von bis zu 55 km, bei einem Gewicht eines vollständigen Unterliegers von etwa 40 kg, vorausgesetzt werden. Desweiteren ist ein Transport über Wasserwege bei günstigen naturräumlichen Gegebenheiten denkbar. Die Endfertigung der Mahlsteine mittels Klopf- und Schleifsteinen hat dann in den Siedlungen stattgefunden. Im Zweifelsfall wäre eine Umarbeitung von zerbrochenen Unterliegern zu Läufern aus Halbfertigprodukten möglich.
Bei Mahlsteinen für lagerstättenferne Siedlungen hingegen fand vor Ort eine vollständige Fertigung statt, auch wenn während des langen Transportes eine größere Bruchgefahr bestand. Um das Transportgewicht zu reduzieren, wurden also Fertigprodukte hergestellt, und somit im Unglücksfall eine erfolglose Expedition in Kauf genommen (Abb. 6). Diese Expeditionen müssen aufgrund des geologischen Vorkommens von geeigneten Materialien in Gebiete des wirtschaftlichen Außenbereichs von Siedlungen nach den Modellen von Lüning oder Bakels stattgefunden haben (Lüning 1978, 269-274; Bakels 1978; Bakels 1982). Die Beschaffung von geeigneten Mahlsteinen wird also nur durch mehrtägige Expeditionen möglich gewesen sein.

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Abb. 6. Gegenüberstellung des Bezugs von Rohmaterialien für Mahlsteine aus siedlungs-nahen- und fernen Lagerstätten und dem Austauschsystem für Flintartefakte
(nach Kegler-Graiewski / Zimmermann 2004, 34).




Anmerkungen:

(1) Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um die Zusammenfassung der Dissertation des Verfassers am Historischen Seminar, Abteilung für Ur- und Frühgeschichtliche Archäologie der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, die im Sommersemester 2008 angenommen wurde. Der Druck befindet sich in Vorbereitung. Das Dissertationsvorhaben wurde durch ein zweijähriges Promotionsstipendium des Römisch-Germanischen Zentralmuseums Mainz gefördert. Im Rahmen des 13th annual meetings der European Association of Archaeologists (EAA) in Zadar (Kroatien) fand im September 2007 eine Sitzung mit internationaler Beteiligung zu „New perspectives on querns in neolithic societies“, organisiert von C. Hamon, Nanterre (Frankreich), und J. Graefe, Münster, (Deutschland), statt. Literatur: C. Hamon/J. Graefe (eds.), New perspectives on querns in neolithic societies. Archäologische Berichte 23 (Bonn 2008).

 


Literatur:

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