Routen der Reformation. Lübbecker Land

von Sebastian Schröder

Quer durch das jetzige Lübbecker Land verlief einst eine Landesgrenze. Die heutigen Kirchengemeinden Börninghausen, Bad Holzhausen und Preußisch Oldendorf gehörten im 16. Jahrhundert zur Grafschaft Ravensberg und somit zur Einflusssphäre der Herzöge von Jülich-Kleve-Berg. Dahingegen waren die übrigen Gemeinden des Lübbecker Landes dem Fürstbistum Minden zugeordnet. Allein diese Grenzlage schuf einen regen Austausch – auch in Belangen der Frömmigkeit – zwischen den Grenzorten zweier völlig unterschiedlich strukturierter Territorien. Konfessionelle Mischformen konnten sich hier eher ausbreiten als in territorial homogenen Landschaften. Für die konfessionelle Entwicklung entscheidend war auch die Religionspolitik des jeweiligen Landesherrn: Die Grafschaft Ravensberg gehörte im Reformationsjahrhundert zum Herrschaftsbereich der Herzöge von Kleve, die damals auch die Herzogtümer Jülich, Kleve und Berg sowie die in Westfalen gelegenen Grafschaften Mark und Ravensberg in Personalunion regierten. Die Klever Herzöge versuchten den reformatorischen Strömungen mit einer humanistischen Reform zu begegnen. Diese sogenannte Via media, der ‚vermittelnde Weg‘, der seinen Ursprung in Ideen humanistischer Gelehrtenkreise hatte, bildete daher Mischformen im Gottesdienst aus. So ließ sich etwa die den Lutheranern so wichtige Kelchkommunion durchaus mit einer ansonsten katholischen Messe vereinbaren. Wegen der weiten geographischen Entfernung zum Klever Stammland führte das Ravensberger Land zudem in religionspolitischer Hinsicht ein gewisses Eigenleben.
Das Fürstbistum Minden wurde von einem Bischof regiert, der gleichzeitig weltlicher und geistlicher Herr war. Im Fürstbistum existierten zur Reformationszeit zwei Städte: Lübbecke und Minden. Während die Bischofsstadt Minden die erste westfälische Stadt war, in der mit Duldung des Bischofs die Reformation eingeführt wurde, stellte sich die Situation im übrigen Fürstbistum anders dar. Hier setzte sich das protestantische Bekenntnis erst in einem jahrzehntelangen Prozess durch. Trotz formal katholischer Zustände predigten viele Landpfarrer im protestantischen Sinne. Statt einer landesherrlichen Reformation lassen sich hier verschiedene Reformationstypen ausmachen: Adels-, Pfarrer- und Gemeindereformation, denn die Bischofsferne ließ den Gemeinden und dem landsässigen Adel großen Handlungsspielraum zur Durchsetzung eigener Vorstellungen.
Erst eine am 12. März 1583 unter Administrator Heinrich Julius von Braunschweig verfasste Verfügung bewirkte, dass das Fürstbistum Minden offiziell ein evangelisches Territorium wurde. Damit tangierte der Beschluss die gemeindliche Praxis kaum. Vielmehr bestätigte er bereits vorherrschende religiöse Zustände.

  • Lübbecke

    Lübbecke lag zur Reformationszeit im Fürstbistum Minden und war neben der Bischofsstadt Minden die einzige weitere Stadt im Fürstbistum.

    Bei der Kirche in Lübbecke (St. Andreas-Kirche) handelt es sich um eine ursprünglich kreuzförmige Kirche mit Westturm aus dem Ende des 12. Jahrhunderts. 1350 erfolgte die Erweiterung zu einer dreischiffigen Hallenkirche, seitdem wurden keine äußerlichen baulichen Veränderungen am Kirchenschiff mehr unternommen.

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    Epitaph des Heinrich Lar von 1539 und Diözesansynode von 1549 – Ausdruck des katholischen Bekenntnisses

    Dass die Reformation in Lübbecke deutlich später als in der Stadt Minden Einzug hielt, belegt das Epitaph des Heinrich Lar, das in der Nordwand der Kirche eingelassen ist. 1530 floh ein Teil des Mindener Klerus aufgrund der dortigen städtischen Reformation in das benachbarte Lübbecke; 1538 verließen weitere Mindener Kleriker die Bischofsstadt in diese Richtung. Zu ihnen gehörte auch der Mindener Domvikar Heinrich Lar, der 1539 in Lübbecke starb. Als Ausweis seines katholischen Glaubens ist er auf dem Epitaph in seinem klerikalen Ornat abgebildet und hält einen Abendmahlskelch in der Hand, den er weiht.

    Zehn Jahre nach Lars Tod fand in Lübbecke die Mindener Diözesansynode statt. Diese wurde von Administrator Franz von Waldeck einberufen, um die Vorgaben der Formula reformationis (siehe Interim) umzusetzen. Unter den Pfarrern des Bistums Minden ließ sich kein geeigneter Geistlicher finden, der die Synodalpredigt, die Ausdruck der katholischen Lehre sein sollte, halten wollte. So wurde der Osnabrücker Priester Hermann Hamelmann beauftragt, die Predigt zu halten. In seinem Geschichtswerk, das er als nunmehr protestantischer Geistlicher schrieb, äußerte er sich polemisch über die Lübbecker Synode: Diese habe den „Götzendienst“ in der Stadt Lübbecke gefestigt. Damit meinte Hamelmann, dass Lübbecke noch 1549 eine katholische Stadt war.

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    Epitaphe evangelischer Adliger an der Nordwand

    Ein Jahr nach der Diözesansynode, 1550, wurde der Dekan des St. Andreas-Stifts, Johannes Edeler, neben acht Landpfarrern des Fürstbistums Minden, wegen des Vorwurfs, dem neuen Glauben anzuhängen, exkommuniziert. Dies ist ein deutliches Zeichen dafür, dass der Protestantismus allmählich auch in Lübbecke Fuß fasste. Seit dieser Zeit mehren sich auch die Grabsteine und Epitaphe, die vom neuen Bekenntnis künden.
    So findet sich an der Nordwand, rechts des Eingangsportals der Kirche, das Epitaph des Hermann von Westorp, der 1560 starb. Der Grabstein zeigt den Verstorbenen mit seiner Frau, die beide betend vor dem Gekreuzigten knien. Im oberen Teil des Epitaphs ist der auferstandene Christus als triumphierender Weltenrichter zu sehen.
    Aus dem Jahr 1584 stammt der ebenfalls in der Nordwand, links vom Eingangsportal eingelassene Grabstein des Bartholt von Barkhausen. Der Adlige ist zusammen mit seiner Mutter und seiner Schwester abgebildet, die vor dem Kreuz knien und beten. Wie beim Epitaph für Hermann von Westorp ist im oberen Teil Christus als Weltenrichter dargestellt.
    Weitere Epitaphe an der Nordwand sind für Gerhard Tribbe (gestorben 1591) sowie für Johann von Westorp und dessen Frau (gestorben 1597) bestimmt. Beide lassen aufgrund ihrer schlichten Gestaltung oder wegen der Darstellung der betenden und knienden Verstorbenen am Kreuz ebenfalls protestantische Gesinnung vermuten.

    Epitaph des Hermann von Westorp
    Epitaph des Hermann von Westorp
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    Epitaph des Bartholt von Barkhausen
    Epitaph des Bartholt von Barkhausen
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    Epitaphe evangelischer Adliger im Innenraum der Kirche

    Am nördlichen Vierungspfeiler im Chor ist ein aus Sandstein gearbeitetes und farbig gefasstes, relativ kleines Epitaph für die 1593 verstorbene Anna Borries, Ehefrau des Thomas von Halle, angebracht. Die Verstorbene ist kniend und betend vor dem Gekreuzigten dargestellt. Darüber befindet sich, von einem Segmentbogen überfangen, eine Tafel mit einer dem Psalm 31 entnommenen Inschrift: „HER AVF DICH TRAWE ICH LAS MICH NIMMERMER ZV SCHANDEN WERDEN. IN DINE HEND BEFEL ICH.“
    Gegenüber diesem Epitaph hängt das ebenfalls farbig gefasste Grabdenkmal für den Lübbecker Bürgermeister Johann von Mönch und dessen Frau Katharina von Barkhausen. Beide knien betend vor dem Kreuz. Im oberen Teil des Grabsteins ist erneut Christus als Weltenrichter zu sehen.

    Epitaph der Anna Borries
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    Orgelempore (1561) und Epitaph für Gerhard Tane (1600)

    Die Reformation bot dem Rat der Stadt Lübbecke als städtische Obrigkeit die Möglichkeit, den eigenen Einfluss in konfessionellen Fragen auszudehnen. Martin Luther wies dem Stadtrat in seiner Schrift „An die Ratsherren aller Städte deutschen Landes“ (1524) eine besondere Bedeutung bei der Durchsetzung der lutherischen Reformation zu.
    Das Bedürfnis des Rates, die eigene konfessionelle Position deutlich zu vertreten und herauszustellen, zeigt sich auch im Lübbecker Kirchenraum: 1561 ließ der Rat sein Emblem (die gekreuzten Schlüssel) an der geschnitzten und mit Fächerrosetten verzierten Empore anbringen. Das Zeichen ist eingebettet in eine Darstellung des heiligen Andreas, der mit seinem Attribut, dem Andreaskreuz, gezeigt wird.
    Von der neuen Position des Rates zeugt daneben das Epitaph für den Ratsherrn und Bürgermeister Gerhard Tane aus dem Jahr 1600, das sich im südlichen Teil der Empore befindet. Im Gegensatz zu den bisher vorgestellten Epitaphen ist das farbig gefasste Grabmal des Lübbecker Ratsherrn aus Holz gefertigt. Neben einem reformatorischen Bildprogramm – die zentrale Mitteltafel des Epitaphs zeigt die Darbringung Jesu im Tempel in Kombination mit Christus als Weltenrichter mit segnendem Gestus im Aufsatz – rezipiert die Darstellung auch humanistisches, sich auf die Antike beziehendes Gedankengut: Denn an den Seiten des Grabdenkmals sind sechs Lübbecker Ratsherren abgebildet, denen jeweils eine Tugend zugeordnet wurde: Eggert Ledebur (Fides/Glaube), Arent Wulffert (Caritas/Nächstenliebe), Gerhardus Tan (Pietas/Frömmigkeit), Cortt Bruckamp (Justitia/Gerechtigkeit), Jost Kramer (Temperantia/Besonnenheit), Florinus Schevehop (Fortitudo/Tapferkeit).

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    Literatur

    Hans Nordsiek, Glaube und Politik. Beiträge zur Geschichte der Reformation im Fürstbistum Minden, Minden 1985, S. 71–74.

    Georg Dehio, Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler. Nordrhein-Westfalen II. Westfalen, Berlin/ München 2011, S. 594f.

  • Alswede

    Alswede, heute Teil der Stadt Lübbecke, gehörte im Reformationsjahrhundert zum Fürstbistum Minden.

    Die Kirche in Alswede besteht in ihren Ursprüngen spätestens seit 1240 und erfuhr zu Beginn des 16. Jahrhunderts einen massiven Umbau. Zuletzt wurde die Kirche zwischen 1863 und 1898 umgestaltet.
    Der Graf von Tecklenburg übte das Patronat über die Kirche aus, wohingegen der Adel des Kirchspiels – die Familien von Münch zu Benkhausen und Ellerburg sowie von Schloen genannt Gehle zu Hollwinkel – das Präsentationsrecht beanspruchte. Für das Kirchspiel Alswede ist von einer Adelsreformation auszugehen, die bereits relativ früh einsetzte. Vermutlich rezipierte der Adel schon um 1535 protestantisches Gedankengut.

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    Epitaphe des Adels

    Im Innenraum der Kirche und an ihrer Südwand befinden sich mehrere Grabsteine und Epitaphe des eingepfarrten Adels. Darunter ist beispielsweise der Grabstein für Johann von Mönch (Johan Mönck) und seine Ehefrau aus dem Jahr 1587 zu nennen. Er zeigt den Verstorbenen in seiner Ritterrüstung und seine Frau kniend vor dem Kreuz Jesu. Somit weist der Grabstein in Verbindung mit der fehlenden Heiligenanrufung oder weiterer altgläubiger Elemente auf das lutherische Bekenntnis der Adligen hin.
    Ein Großteil der Grabsteine wurde beim Umbau der Kirche im 19. Jahrhundert veräußert und tauchte 1993 in einem Dortmunder Museum wieder auf. Von dort kamen die Grabdenkmäler in die Dortmunder St. Reinoldi-Kirche, wo sie sich bis 2006 befanden. Im Frühjahr 2006 kehrten die Grabsteine wieder nach Alswede zurück.
    Weitere Grabsteine wurden bei der Erweiterung der Kirche im 19. Jahrhundert zum Rittergut Hollwinkel verbracht. Dort sind sie heute beim Herrenhaus zu sehen.

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    Kanzel

    Nicht nur die Grabsteine, sondern auch die Kanzel, deren Entstehung um 1560 datiert ist, musste den Umbauarbeiten im 19. Jahrhundert weichen. Sie ist heute in der St. Peter-Kirche in Dortmund-Syburg in Gebrauch. Die Kanzelbrüstung zeigt die Wappen der Stifter, nämlich der Familien von Münch und von Schloen genannt Gehle sowie die ihrer Ehefrauen. Der Schalldeckel der Kanzel verweist auf den 68. Psalm, Vers 12: „Der Herr gab das Wort mit großen Scharen Evangelisten“. Die Kanzel muss daher als bewusstes Zeugnis des evangelischen Glaubens in der Gemeinde Alswede gelten.

    Hinterlassenschaften des protestantischen Bekenntnisses auf der Ellerburg

    Die Besitzer der Ellerburg, Statius von Münch und seine Ehefrau Gertrud von Schonebeck zu Ellerburg, ließen 1558 eine Truhe anfertigen, die neben ihren Wappen die Inschrift „VDMIE“ (Verbum Domini Manet in Eternum, ‚Gottes Wort bleibt in Ewigkeit‘) trug. Damit bekannten die Besitzer der Ellerburg (heute eine Ruine) ganz deutlich ihren protestantischen Glauben. Die Truhe gilt zurzeit als verschollen.
    Bereits aus dem Jahr 1537 stammt ein Reliefstein, der sich ursprünglich auch auf der Ellerburg befand. Vermutlich handelte es sich bei dem Werk um eine Beischlagwange. Das auf dem Stein abgebildete Relief orientiert sich an dem „Gesetz-und-Gnade“-Motiv von Lucas Cranach d. Ä. Es zeigt symbolisch Szenen des Alten und Neuen Testaments, wobei Johannes der Täufer mit einer Siegesfahne auf den auferstandenen Christus weist. Der Reliefstein ist im Besitz des Westfälischen Freilichtmuseums in Detmold und zurzeit als Leihgabe im Weserrenaissance-Museum Schloss Brake zu sehen.

    Literatur

    G. Ulrich Großmann (Hrsg.), Renaissance im Weserraum. Band 1: Katalog. Ausstellung in Schloß Brake bei Lemgo 22. April bis 1. Oktober 1989, München/Berlin 1989, S. 187f.

    Hans Nordsiek, Glaube und Politik. Beiträge zur Geschichte der Reformation im Fürstbistum Minden, Minden 1985, S. 93.

    Georg Dehio, Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler. Nordrhein-Westfalen II. Westfalen, Berlin/ München 2011, S. 596.

  • Stift Quernheim

    Das Kirchspiel Stift Quernheim gehörte kirchlich zur Diözese Osnabrück, politisch dagegen seit dem 16. Jahrhundert zum Fürstbistum Minden. Bereits im 14. Jahrhundert wurde das dortige Augustinerinnenkloster in ein Kanonissenstift umgewandelt. Seit 1466 fungierte die Stiftskirche als Pfarrkirche für das Klosterkirchspiel. Nach der Reformation blieb die Institution als freiweltlich adliges Damenstift bestehen.
    Teile des Kirchengebäudes stammen aus dem 12. bzw. 13. Jahrhundert. Zwischen 1548 und 1555 wurde das romanische Langhaus abgerissen und in gotischen Formen neu erbaut – zu jener Zeit drang unter der Äbtissin Irmgard von Tecklenburg (Äbtissin von 1532 bis 1567), einer Schwester des bekennenden lutherischen Grafen Konrad von Tecklenburg, die neue Lehre in den Konvent ein.

    Kirche Stift Quernheim
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    Altar

    Den zwischen 1520 und 1525 entstandenen großen Schnitzaltar mit Kreuzigungs- und Passionsszenen sowie dem Marientod versetzte die Gemeinde nach dem Neubau des Langhauses: Fortan befand sich dieser nicht mehr in der Vierung, sondern im Chor. Dabei wurde der Altar leicht umgebaut und ergänzt. Die seitlichen Flügel mit Passionsszenen wurden oberhalb des Schreins gesetzt. Die vorreformatorische Verwendung des Flügelaltars, das heißt die Unterscheidung zwischen einer Alltags- (geschlossener Altar) und einer Festtagsseite (geöffneter Altar), war liturgisch nicht mehr erforderlich. Der alte Altar erfuhr demnach mit der Reformation eine Umdeutung und das Bildprogramm wurde neu arrangiert; gleichwohl wurde er nicht zerstört: Der Altartisch, die sogenannte Mensa, war fortan Sinnbild für das letzte Abendmahl, das einen besonderen Stellenwert im protestantischen Glauben einnahm.
    Der Altar im Stift Quernheim zeugt somit davon, dass die Reformation im Lübbecker Land keinen abrupten Wechsel der Bekenntnisse bedeutete, sondern dass es Übergangsformen gab und alte religiöse Ausstattungsgegenstände durch geringfügige Anpassung weiterhin verwendet werden konnten.

    Altar Kirche Stift Quernheim
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    Grabstein des letzten katholisches Stiftspropstes Johannes Tornemann

    An der Ostwand des Chores befindet sich der Grabstein des letzten katholischen Stiftspropstes Johannes Tornemann aus dem Jahr 1550. Auf dem Stein ist der Verstorbene als katholischer Priester dargestellt: Er trägt ein Messgewand und hält in der linken Hand einen Abendmahlskelch und eine Hostie. Die rechte Hand erhebt der Kleriker zum Segen. Als Tornemann starb, übte er sein geistliches Amt als Propst nicht mehr aus. Seit 1541 wird er in den Quellen nur noch als Amtmann bezeichnet. Das ist ein eindeutiges Zeichen, dass sich das Stift zu diesem Zeitpunkt schon der Reformation zugewendet haben muss, da Tornemann als Katholik keine geistliche Funktion zugestanden wurde. Trotzdem bekannte er sich bis zu seinem Tod zu dem althergebrachten Glauben.

    Grabplatte des Johannes Tornemann
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    Literatur

    Hans-Joachim Manske, Der spätgotische Flügelaltar in der Kirche zu Stift Quernheim, in: Mitteilungen des Mindener Geschichtsvereins 55 (1983), S. 33–53.

    Hans Nordsiek, Glaube und Politik. Beiträge zur Geschichte der Reformation im Fürstbistum Minden, Minden 1985, S. 97.

    Wolfgang Schuler, Die Kirche in Stift Quernheim, in: Herforder Jahrbuch 21/22 (1980/1981), S. 77–88.

  • Bad Holzhausen

    Das Kirchspiel Holzhausen gehörte zur Grafschaft Ravensberg und unterstand somit im Reformationsjahrhundert dem Herzog von Kleve, der in konfessionspolitischer Hinsicht einen ‚vermittelnden Weg‘ einschlug.

    Die heutige Kirche in Bad Holzhausen ist eine 1906 fertiggestellte neuromanische Hallenkirche. Der Vorgängerbau, ein zweijochiger Saal aus der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts, wurde als Mittelschiff in den Neubau integriert.
    Während des Umbaus 1905/6 wurde die Inneneinrichtung weitgehend entfernt und verändert. Einzig die früher den Boden der Kirche bedeckenden und heute in den Außenwänden eingelassenen Grabsteine des örtlichen Adels und die – allerdings erst aus dem 17. Jahrhundert stammende – Kanzel zeugen heute von der konfessionellen Entwicklung des 16. Jahrhunderts.

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    Epitaph Rudolf von Langen

    Im Turm befindet sich der Grabstein für Rudolf von Langen aus dem Jahr 1552, der die Inschrift trägt: „DEM. GODE. GNADE.“ Diese, schon in vorreformatorischer Zeit überlieferte Hoffnung auf den gnädigen Gott, findet sich sowohl auf katholischen als auch protestantischen Epitaphen. Die Inschrift allein kann also nicht in jedem Fall als Beleg für die protestantische Glaubenshaltung des Verstorbenen gelten. Umgekehrt kann die Formel aber auch nicht als Beleg für das Bekenntnis zum alten Glauben angesehen werden, denn in der Mitte des Epitaphs wird der Verstorbene kniend vor dem Kreuz Jesu gezeigt. Dieses Bild versinnbildlicht die Lehre Luthers von der Gerechtigkeit Gottes (iustitia dei): Gott, der ein persönlicher Gott für jeden ist, vergibt, so Luther 1520, dem Menschen trotz all seiner Sündhaftigkeit; dadurch macht er den Menschen gerecht, d.h. er nimmt ihn trotz Schuld an. Der Grund ist Christus, der Gottessohn, der für alle Menschen am Kreuz gestorben ist. Dieser Botschaft soll sich der innerliche Mensch, die Seele, mit „festem Glauben“ ergeben.

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    Epitaph Elisabeth von Halle

    Auch der an der Ostseite der Kirche befindliche Grabstein für Elisabeth von Halle aus dem Jahr 1566 kann aufgrund seiner äußerst schlicht gehaltenen Gestalt und dem Gottesgnadenwort als Zeugnis protestantischen Glaubens gelten. Außer den vier Wappen der Großeltern der Verstorbenen zeigt der Grabstein keine weiteren Bildnisse. Ähnlich wie beim Epitaph Rudolfs von Langen lautet ein Teil der umlaufenden Inschrift: „DER SELE GODT GNEDIG IS“.

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    Epitaph Wilhelmina von Ennigloh

    Das Kircheninnere prägt ein Epitaph für Wilhelmina von Ennigloh genannt Pladiese und ihre beiden Ehemänner aus dem Jahr 1598. Die Inschrift nennt das Todesdatum und den Namen des Verstorbenen: Am Sonntag vor Pfingsten 1598 (das war der 3. Mai) starb Johan de Korte. Seine Ehefrau überlebte ihn; für ihr Todesdatum ließ der Steinmetz eine freie Stelle, die später jedoch nicht ausgefüllt wurde. Die Inschrift enthält einen Verweis auf die göttliche Gnadenzusage: „DEREN SELEN GOD GNEDICH SEI“, die ursprünglich als altgläubiges Element angesprochen werden kann. Die Formel konnte aber auch im protestantischen Kontext auftreten. Hier weist sie dann einen eher traditionellen Charakter auf. Oberhalb der Inschrift zeigt das Epitaph Wilhelmina von Ennigloh umgeben von ihren beiden Ehemännern, die vor einer Kreuzdarstellung Jesu knien. Dieses Bildmotiv ist bereits vorreformatorisch. Allerdings ändert sich mit Einführung der Reformation die Haltung der abgebildeten Personen: Dadurch, dass die Verstorbenen sich dem Betrachter zuwenden, wird aus einem Andachtsbild ein Gedächtnisbild. Die Ausrichtung des Portraits auf den Betrachter symbolisiert die stärkere Ausrichtung der Reformation auf das Diesseits. Im Gestus liegt keine Bitte mehr um Gnade, sondern vielmehr das Bewusstsein, das sichere Heil durch den Glauben zu erlangen.
    Dieses Bewusstsein wird im oberen Bildmotiv des Epitaphs mit der Darstellung Jesu als Weltenrichter erneut aufgegriffen. Auch dieses Motiv existiert bereits in vorreformatorischer Zeit. Wie schon bei der Darstellung des gekreuzigten Jesus erfährt das Motiv jedoch mit der Einführung der Reformation eine Umdeutung. Christus wird nicht mehr als zorniger Richter dargestellt, sondern als Seligmacher, Mittler, Bruder und Freund. Darauf weisen der segnende Gestus und das fehlende Richtschwert hin.

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    Weitere Epitaphe und Grabsteine

    Neben den genannten Epitaphen gibt es noch einige weitere, vornehmlich aus dem 17. Jahrhundert stammende Grabsteine. Aus dem späten 16. Jahrhundert datiert der Grabstein für das Kind Heinrich Wilhelm de Korte, das am 28. April 1592 starb. Auf seinem Grabstein heißt es: „DER SELEN GODT GNEDICH SEI“. Ferner wurden beim Umbau der Kirche Grabsteine aus dem frühen 17. Jahrhundert zum Gut Crollage unweit von Holzhausen gebracht und dort vor dem Eingangsportal aufgestellt. Aufgrund des schlechten Erhaltungszustands lassen sich diese allerdings nicht mehr exakt einer Person zuordnen. Gleichwohl belegen sowohl der Grabstein für eine adlige Frau aus dem Jahr 1616 (Inschrift: „DER SELE GOTT GNEDIG SEI“) als auch das Denkmal für einen Adligen aus dem Jahr 1618 (Inschrift: „DER SELE [ergänzt: Gott gnädig sei]“) die Rezeption protestantischer Lehren.

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    Quellen und Literatur

    Archiv der Kirchengemeinde Holzhausen 1: Holzhausisches Kirchenbuch, [1582-] 1684–1835.

    Dieter Besserer, Zur mittelalterlichen Kirchengeschichte in Holzhausen, in: 800 Jahre Holzhausen-Heddinghausen. Von der sächsischen Bauerschaft zum modernen Luftkurort der Gegenwart, hg. von der Vereinsgemeinschaft Holzhausen, Pr. Oldendorf 2000, S. 85–113.

  • Börninghausen

    Das Kirchspiel Börninghausen gehörte zur Grafschaft Ravensberg und unterstand somit im Reformationsjahrhundert dem Herzog von Kleve, der in konfessionspolitischer Hinsicht einen ‚vermittelnden Weg‘ einschlug.

    Der Chor der Kirche St. Ulrich in Börninghausen und ihr Turm, der früher als Wehrturm diente, stammen vermutlich aus der 1. Hälfte des 13. Jahrhunderts. 1463 wurden die beiden eigenständigen Bauteile durch einen zweijochigen Saal verbunden.

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    Heiligenfresken und Wandmalereien

    Im Chor der Kirche lässt sich die spätmittelalterliche Frömmigkeit gut nachvollziehen: In der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts wurden die Wände mit Heiligenfiguren verziert. Beispielsweise finden sich an der Südwand Darstellungen des hl. Sebastian, der von Pfeilen durchbohrt und nahezu gänzlich nackt an einen Baumstamm gefesselt ist. Links neben ihm ist der hl. Ulrich, dem die Kirche geweiht war, zu sehen. Rechts neben dem hl. Sebastian findet sich die hl. Margarethe, die den Teufel in Form eines Drachen besiegt hat, der zu ihren Füßen liegt. Zudem kann man die ummalte Sakramentsnische, in der die geweihten Hostien und der Wein aufbewahrt wurden, gut erkennen. In der Nordwand des Chores kündet eine Inschrift aus dem Jahr 1544 vom Tod des damaligen Pfarrers: „Anno d[omi]ni M D 44 ys gestorben der kercker Herman[u]s Potharst deß güden Dages vor Mychaelis dyth hefft g[escreven] Johan[n]es syn koster.“ Der Pfarrer Hermann Potharst kam beim Brand des Pfarrhauses ums Leben. Das Gebäude wurde durch marodierende Truppen Kaiser Karls V. zerstört, die die umliegenden Dörfer Oldendorf, Holzhausen, Börninghausen, die Landesburg Limberg sowie das Rittergut Fiegenburg plünderten und brandschatzten. Vermutlich handelte es sich bei den Truppendurchmärschen um Soldatenverbände, die an der Seite des Kaisers im Dritten Geldrischen Erbfolgekrieg gegen den Klever Herzog Wilhelm V. kämpften.
    Neben die Inschrift ritzte der Börninghauser Küster zwei Heiligenfiguren in die Wand. Bei der linken Figur handelt es sich um Thomas Becket, der mit einem Schwert, einem roten Gewand und einem Barrett dargestellt wurde. Becket war Bischof von Canterbury und wurde insbesondere von den Welfen als Heiliger verehrt. Rechts neben der Inschrift zeichnete der Küster die heilige Katharina von Alexandrien mit ihren Attributen Schwert und Rad.
    Zusammen waren beide Heilige wohl die Hausheiligen des adligen Gutes Fiegenburg, das die Familie von Schloen genannt Tribbe besaß. Deren Vorfahren waren Gefolgsleute der Welfen gewesen und auf diesem Wege in Berührung mit dem Kult um Thomas Becket gekommen. Noch bis weit in die Frühe Neuzeit hinein hielt die Familie von Schloen genannt Tribbe die Erinnerung an Thomas Becket wach.
    Die Inschrift und die Heiligendarstellungen, die übrigens während der Reformationszeit nicht übermalt wurden, zeigen ganz idealtypisch die Auswirkungen der Religionspolitik der Herzöge von Kleve: Statt eines schnellen Bekenntniswechsels bestanden Teile der alten Frömmigkeit auch im 16. und sogar im 17. Jahrhundert fort.
    Für die Gemeinde in Börninghausen ist lutherisches Gedankengut erst in der Amtszeit Pfarrer Johann Marmelsteins sen. eindeutig belegbar. Dieser war seit 1581 Pfarrer der Gemeinde – und seit 1579 verheiratet. Gleichwohl predigte er in einer Kirche, die den Gläubigen überkommene Glaubensideale ganz bildlich vor Augen hielt. Und er spendete das Abendmahl von einem Altar, den bereits seine katholischen Amtsvorgänger im Mittelalter verwendet hatten.

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    Weitere kirchliche Ausstattungsgegenstände

    Die Reformation führte im 16. Jahrhundert zu keiner Veränderung des Kirchenraums oder der kirchlichen Ausstattungsgegenstände; ein Bildersturm fand nicht statt. Erste Änderungen lassen sich erst im 17. Jahrhundert fassen:
    1632 erhielt die Gemeinde eine Kanzel; 1661 stiftete Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg eine Orgel. Der Altar wurde 1671 umgestaltet, indem Chorschranken angebracht wurden. Beim evangelischen Abendmahlsritus knieten die Kommunikanten hier auf der Brot- und Weinseite nieder. Somit sind die Altar- oder Chorschranken als lutherisches Element zu deuten. Das neue Taufbecken stammt aus dem Jahr 1686.
    Angesichts dieser Befunde muss man für die Gemeinde Börninghausen weniger von einem schlagartigen Wechsel der Konfessionen ausgehen als vielmehr von langwährenden Übergängen, in denen sich der alte Glaube mit der neuen Lehre vermischte. Diese Übergangsphase lässt sich anhand der baulichen Beschaffenheit und der Ausstattungsgegenstände der Börninghauser Kirche anschaulich zeigen.

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    Literatur:

    Dieter Besserer, Die Gründung der Kirche in Börninghausen und ihre Patronatsverhältnisse bis zur Reformationszeit, in: Mitteilungen des Mindener Geschichtsvereins 63 (1991), S. 9–40.

    Georg Dehio, Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler. Nordrhein-Westfalen II. Westfalen, Berlin/ München 2011, S. 889.