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Teilprojekt A2: Konflikt- und Friedensrituale im Spätmittelalter
Teilprojekt A9: Visualität der Diplomatie im europäischen Spätmittelalter. Die symbolische Inszenierung in der internationalen politischen Kommunikation
Teilprojekt A10: Symbolische Kommunikation in Herrschaftsverständnis und Herrschaftspraxis Kaiser Karls IV. Teilprojekt B2: 'Virtus' in der Kunst und Kunsttheorie der italienischen Renaissance
Teilprojekt B3: Theatralische und soziale Kommunikation: Funktionen des städtischen und höfischen Spiels in Spätmittelalter und früher Neuzeit
Teilprojekt B6: Das Päpstliche Zeremoniell in der Frühen Neuzeit (1563-1789). Höfische Repräsentation, theologischer Anspruch und liturgische Symbolik
Teilprojekt B7: Das Buchgeschenk in England im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit
Teilprojekt B8: Formen symbolischer Kommunikation in der Messvertonung des 15. bis 17. Jahrhunderts
Teilprojekt C1: Zur symbolischen Konstituierung von Stand und Rang in der Frühen Neuzeit
Teilprojekt C2: Symbole, Rituale und Gesten in frühneuzeitlichen Konflikten und alltäglichem Handeln
Teilprojekt C5: Macht und Ritual im Zeitalter der Französischen Revolution: Die Sichtbarkeit politisch-sozialer Ordnungen im Zeitalter der Revolutionen und des entstehenden Massenzeitalters
Teilprojekt C6: Profan und heilig: Kirchhöfe als Orte und Räume symbolischer Kommunikation in der ländlichen Gesellschaft Westfalens (15. - 18. Jahrhundert)
Teilprojekt C7: Die symbolische Konstituierung der Nation: Mexiko im Zeitalter der Revolutionen (1786-1848)
Teilprojekt C8: Die Normierung gerichtlicher Förmlichkeiten und zeremonieller Umgangsformen durch Gemeine Bescheide
Teilprojekt C9: Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Werte in panindianischen Bewegungen

 

Teilprojekt C9:
Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Werte in panindianischen Bewegungen

| Projektbeschreibung |

Das Forschungsprojekt untersucht die Rolle symbolischer Kommunikation bei der Schaffung und Aufrechterhaltung panindianischer Bewegungen auf dem Gebiet der heutigen Vereinigten Staaten von Amerika von der Mitte des 18. bis zum frühen 20. Jahrhundert. Mit der wachsenden Präsenz weißer Siedler kam es zwischen den circa 600 indianischen Gruppen wiederholt zu Zusammenschlüssen zur Verteidigung der eigenen Interessen gegenüber den Weißen. Die Kooperation erfolgte auf der Basis einer gemeinsamen „panindianischen“ und nicht mehr verwandtschafts- beziehungsweise gruppenbasierten Identität. Da sich die Indianergruppen stark in Gesellschaftsstruktur, Politik, Religion, Kultur, Lebensweise und Sprache unterschieden, war eine Kommunikation über Symbole vonnöten. Nur so konnten die kulturellen Grenzen zwischen verschiedenen indianischen Gruppen – wie auch zwischen Weißen und Indianern – und die räumlichen Grenzen zwischen den weit voneinander entfernt lebenden Gruppen überwunden werden.

Ziel des Projektes ist es zu erforschen, wie verschiedenartige (indianische) Kulturen in Zeiten von fundamentalem politischem und sozialem Wandel in Vergemeinschaftungsprozessen Konsens stifteten und für kurze oder längere Zeit neue gesellschaftliche Ordnungen herstellten. Von besonderem Interesse ist die Frage, welche gemeinsamen gesellschaftlichen Werte die indianischen Gruppen als Grundlage einer hybriden, panindianischen Identität verhandelten. Gleichzeitig soll untersucht werden, inwiefern die panindianische Zusammenarbeit die symbolische Kommunikation beeinflusste, und wo sich panindianische Organisationen in ihrer Symbolik auf frühere panindianische Koalitionen bezogen. Schließlich wird auch die interkulturelle, symbolische Kommunikation mit Weißen eine Rolle spielen, da panindianische Gruppen dadurch Kohäsion nach innen und Abgrenzung nach außen schufen und gleichzeitig Anspruch auf Partizipation an der (symbolischen) Macht in der US-amerikanischen Gesellschaft anmeldeten.

Anhand zweier Fallbeispiele werden chronologisch zwei Übergangszeiten und typologisch zwei verschiedene Arten panindianischer Bewegungen untersucht. Zugleich werden durch die Auswahl der Fallbeispiele das Spannungsverhältnis und die Ambiguitäten von vormodernen/traditionalen und modernen Ausdrucksformen und Werten in ihrer Gleichzeitigkeit und Ungleichzeitigkeit bei außereuropäischen Kulturen innerhalb beziehungsweise in Auseinandersetzung mit einer insgesamt westlich orientierten, außereuropäischen Mehrheitsgesellschaft erforscht.

Fallbeispiel 1: Die religiös-militärischen panindianischen Koalitionen, 1760-1815
Immer mehr indianischen Gruppen drohte der Verlust ihrer Siedlungsgebiete, Kulturräume, Nahrungs- und Lebensgrundlage, politischen Gemeinschaft und Selbständigkeit durch weiße Siedler. Gleichzeitig konnten indianische Gruppen nicht mehr die Rivalitäten der Kolonialmächte zur Stärkung ihrer Stellung nutzen, da sich Frankreich 1763 und Großbritannien 1783 aus dem Osten und Mittleren Westen der späteren USA zurückziehen mussten. Um diesem Machtverlust entgegenzuwirken, bildeten sich religiös-militärische panindianische Koalitionen, so in den 1760er Jahren unter Rückgriff auf die Lehren insbesondere des Delaware-„Propheten“ Neolin eine panindianische Koalition, die 1763 in Pontiac's War ihren militärischen Ausdruck fand. Zwischen 1805 und 1815 kam es erneut zu einer gruppenübergreifenden Koalition unter Tecumseh und spirituellen Führungspersönlichkeiten wie Tenskwatawa, die gegen Landabtretungen an die USA kämpfte und zeitweise ein Bündnis mit Großbritannien einging. Die beiden genannten Koalitionen stellen lediglich die prominentesten Beispiele panindianischer Kooperation zwischen bis zu dreißig indianischen Gruppen dar.

Die panindianische Kooperation soll auf drei Ebenen untersucht werden. Erstens wird erforscht, durch welche Symbole und Rituale sich die einzelnen Gruppen bei der Schaffung der Koalitionen und im Rahmen der Revitalisierungsbewegungen verständigten. Da bei der Verbreitung panindianischer Werte und einer panindianischen Identität auch so genannte Flüchtlingsdörfer halfen, in denen von weißen Siedlern verdrängte Mitglieder unterschiedlicher indianischer Gruppen zusammenlebten, sollen diese zweitens auf der Mikroebene in den Blick genommen werden. In einem dritten Schritt soll die symbolische Kommunikation zwischen den indianischen Gruppen und gegenüber den Weißen in den kriegerischen Auseinandersetzungen selbst analysiert werden. (Bearbeiter Michael Schlütter)

Fallbeispiel 2: Die zivilgesellschaftliche panindianische Organisation Society of American Indians, 1911-1923
In der krisenhaften Übergangszeit nach der Beendigung der Indianerkriege 1890 gründeten Mitglieder der ersten Generation von Indianern, die weiße Schulen und Universitäten besucht hatten, 1911 die erste zivilgesellschaftliche panindianische Organisation, die Society of American Indians (SAI). Die meisten Mitglieder stammten im Sinne von Cultural Brokers aus gemischt ethnischen Ehen und vernetzten so verschiedene Kulturen miteinander. Die SAI kämpfte gegen Missstände in Reservaten, für den Ausbau indianischer Bildungschancen, für einen besseren rechtlichen Status von Indianern und für mehr indianische Autonomie. Die Organisation berief sich einerseits auf zeitgenössische weiße Werte der Progressiven Bewegung wie rationale Denkweise, Fortschritt durch eine aufgeklärte Elite, Effizienz und Individualismus, andererseits auf gemeinschaftsbasierte, Harmonie betonende, indianische Traditionen und Werte.

Auch in diesem Fallbeispiel erfolgt die Analyse auf drei Ebenen. Untersucht werden sollen erstens die Symbole, die in der Kommunikation der Mitglieder untereinander Verwendung fanden. Zweitens geht es um die symbolische Kommunikation mit Indianern, die als potenzielle Mitglieder geworben werden sollten, insbesondere in Reservaten eher traditionell lebende Indianer. Drittens wird die symbolische Kommunikation gegenüber der weißen Mehrheitsgesellschaft und anderen ethnischen Gruppen in den Blick genommen.
(Bearbeiterin Heike Bungert)