Theorie zur Religionsvielfalt international diskutiert

Religionswissenschaftler Schmidt-Leukel im Austausch an der Minzu University in Peking

Prof. Dr. Perry Schmidt-Leukel
Prof. Dr. Perry Schmidt-Leukel
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Die neuen Theorien zur Religionsvielfalt des Religionswissenschaftlers Prof. Dr. Perry Schmidt-Leukel vom Exzellenzcluster „Religion und Politik“ stoßen auf das Interesse von Forschern in China. Die Minzu University of China in Peking hat den Wissenschaftler eingeladen, seine fraktale Interpretation religiöser Vielfalt in einer Veranstaltungsreihe vom 9. bis 21. Oktober vorzustellen und mit chinesischen Wissenschaftlern zu diskutieren. Der Religionswissenschaftler und Theologe wird die Theorie zugleich auf das Verhältnis von Buddhismus und Christentum anwenden.

Fünf chinesische Professoren, Religionswissenschaftler sowie Experten für Buddhismus und Christentum, werden in mehreren Kolloquien ihre Kommentare zu den Thesen Schmidt-Leukels vorlegen. Die Ergebnisse der Kolloquien werden anschließend gemeinsam mit den Ausführungen Schmidt-Leukels in der chinesischen Fachzeitschrift „Journal of Comparative Scripture“ veröffentlicht werden. Während des Aufenthaltes an der Minzu University wird außerdem sein Werk „Transformation by Integration“ (Transformation durch Integration) in chinesischer Übersetzung präsentiert werden, das sich mit den Auswirkungen der Religionsbegegnung und den Grundfragen interreligiöser Theologie befasst.

Prof. Schmidt-Leukel hat die „Fraktale Theorie der Religionsvielfalt“ in Anlehnung an die Fraktal-Theorie des Mathematikers Benoît Mandelbrot (1924-2010) entwickelt, nach der zahlreiche Objekte in der Natur, wie z.B. Farnpflanzen oder Blumenkohl, aus verkleinerten Kopien ihrer selbst zusammengesetzt sind. Nach Schmidt-Leukel findet sich Ähnliches auch in der religiösen Vielfalt. Das heißt, die globale Religionsvielfalt spiegelt sich teilweise in jener Vielfalt wieder, die sich innerhalb einer jeden der großen Religionen findet. „Die fremde Religion und der Andersgläubige sind daher weniger fremd als man zunächst glaubt“, unterstreicht der Forscher. „Die neue Theorie bietet eine Alternative zur verbreiteten Ansicht, dass Religionen unvereinbar und nicht vergleichbar seien.“ Doch ihre Ähnlichkeit ist anders als vermutet.

„Religionen ähneln einander in ihrer inneren Vielfalt“

Seine Theorie zur religiösen Vielfalt und zur theologischen Annäherung der Religionen präsentierte Schmidt-Leukel 2015 in den renommierten Gifford Lectures im schottischen Glasgow. Unter dem Titel „Religious Pluralism and Interreligious Theology“ hat der Forscher seine Gifford Lectures in einer erweiterten Fassung als Buch veröffentlicht. Eine chinesische Übersetzung ist in Arbeit und soll 2018 erscheinen. „Religionen wie das Christentum, der Islam, der Hinduismus und der Buddhismus sind nach meiner Theorie einander ähnlicher als oft angenommen. Aber sie ähneln sich auf eine andere Weise: Sie gleichen einander mit Blick auf ihre jeweilige interne Vielfalt“, sagt der Wissenschaftler. Im interreligiösen theologischen Diskurs kämen oft Themen und Fragen auf, die aus der Theologie der eigenen Religion bekannt seien, aber zugleich ein neues Licht darauf würfen. Die fraktale Interpretation religiöser Vielfalt, so der Wissenschaftler, stößt in China auf besonderes Interesse, da sie sich teilweise mit klassischen chinesischen Konzepten religiöser Vielfalt deckt. Das traditionell Yin und Yang Symbol uns die damit verknüpfte Philosophie zeigen selber eine fraktale Struktur insofern jedes der beiden Prinzipien auch im jeweils anderen enthalten ist du sich somit die Polarität auf der kleinere Ebene repliziert.

Während seines Aufenthaltes an der Minzu University wird auch die chinesische Übersetzung von Schmidt-Leukels Monographie „Transformation by Integration. How Inter-faith Encounter Changes Christianity“ (Transformation durch Integration. Wie interreligiöse Begegnung das Christentum verändert) vorgestellt werden. Die gegenwärtige Annäherung der Religionen sei einerseits geprägt von Konfrontation, andererseits aber auch von einer gegenseitigen Durchdringung der Traditionen, erläutert der Wissenschaftler. Immer mehr Menschen übernähmen Einsichten und Praktiken aus anderen Religionen für ihr eigenes Leben und bildeten „multireligiöse Identitäten“ aus, so Schmidt-Leukel. In China besitzt dieses Phänomen eine sehr lange Tradition. In seinem Buch konzentriert er sich auf die theologischen Probleme, die mit dieser Entwicklung verbunden sind. (ill/dak)