Fetischismus in Melanesien und Europa

Hans-Blumenberg-Gastprofessor Hauschild über bilderlose Religion und Bilderkulte

Prof. Dr. Thomas Hauschild - Hans-Blumenberg-Gastprofessor
Prof. Dr. Thomas Hauschild - Hans-Blumenberg-Gastprofessor
© dak

Der Ethnologe Prof. Dr. Thomas Hauschild hat in der öffentlichen Blumenberg-Vortragsreihe am Exzellenzcluster „Religion und Politik“ über Fetischismus im kolonialen Melanesien und in der europäischen Avantgarde gesprochen. „Sogenannte Malangan-Plastiken fanden Anfang des 20. Jahrhunderts ihren Weg in die Ateliers avantgardistischer Künstler und regten zahlreiche bedeutende Vertreter der Moderne wie Emil Nolde, Henry Moore und Pablo Picasso an“, sagte der Inhaber der Hans-Blumenberg-Gastprofessur. „An ihrem Herkunftsort, auf der melanesischen Insel Neuirland, waren die Plastiken Gegenstand komplexer Rituale, die dem Totengedenken dienten.“ Auch bei den Münsteraner Skulptur-Projekten 2017 könne man beobachten, wie die An- und Abwesenheit von plastischer Kunst Vergänglichkeit versinnbildliche, wenn etwa ein Mercedes-LKW mit Container neben Moores „Bogenschützen“ vor dem LWL-Museum ausgestellt werde. Der Vortrag trug den Titel „‚Politics of Media‘ oder Medien der religiösen Erfahrung? Fetischismus im kolonialen Melanesien und in der europäischen Avantgarde“.

Eine Einführung ins Themenfeld der Vortragsreihe zum Nachlesen oder Nachhören gibt der Wissenschaftler im Interview mit dem Deutschlandradio in der Sendung „Tag für Tag“.

„Europäische Künstler suchten nach Alternativen zu Naturalismus und Genietradition und fanden sie in der Südseekunst“, erläuterte Prof. Hauschild. Der Wissenschaftler zeichnete nach, wie die Kunstreligion der Europäer mit Aspekten der indigenen Religion von Südseegesellschaften kollidierte. „Dabei werden in beiden Kulturformen rudimentäre Universalien der Bewusstseinsbildung und des Experiments mit Grundstrukturen des Wahrnehmungsapparates sichtbar, Basis auch jeder religiösen Erfahrung.“

Über 20.000 „malangan“-Plastiken im Wert von rund zwei Milliarden Euro sind Hauschild zufolge heute in den Museen der Welt zu besichtigen. Für die Europäer sei es damals einfach gewesen, die „primitive“ Kunst von den pazifischen Inselgruppen in die Heimat zu bringen: „Da die Objekte im indigenen Kontext nach Abschluss der Rituale vernichtet wurden, war es leicht, sie durch Tauschhandel zu erwerben und von den Inseln zu entfernen.“

Vortragsreihe „Die Unvermeidbarkeit von Religion“

Prof. Dr. Thomas Hauschild war zuletzt Professor für Ethnologie und vergleichende Kultursoziologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Fellowships und Gastprofessuren führten ihn unter anderem an das Internationale Forschungszentrum Kulturwissenschaften in Wien, das Wissenschaftskolleg zu Berlin und das Internationale Kolleg für Kulturtechnikforschung und Medienphilosophie in Weimar. Thomas Hauschild hat zahlreiche, viel beachtete Publikationen vorgelegt, darunter „Hexen“, „Der böse Blick“, „Magie und Macht in Italien“ (2002), „Ritual und Gewalt“ (2008), und „Weihnachtsmann – Die wahre Geschichte“ (2012).

Die öffentliche Vortragsreihe trägt den Titel „Die Unvermeidbarkeit von Religion“. Der Blumenberg-Gastprofessor will darin untersuchen, „ob menschliche Kollektive letztlich ohne Religion leben können.“ Der nächste und letzte Vortrag der Reihe trägt den Titel „‚… über das Hereinragen einer Geisterwelt in die unsere‘. Schamanismus und Neurobiologie im deutschen Vormärz“. Er ist am Montag, 10. Juli, von 18.15 bis 19.45 Uhr im Hörsaalgebäude des Exzellenzclusters, Hörsaal JO 1, Johannisstraße 4 in Münster zu hören. (dak/maz)