Prognose-Techniken im byzantinischen Reich

Fellowship für Byzantinist Michael Grünbart am Käte-Hamburger-Kolleg in Erlangen

Prof Dr. Michael Gruenbart
Prof. Dr. Michael Grünbart
© Institut für Byzantinistik und Neogräzistik

Der Byzantinist Prof. Dr. Michael Grünbart vom Exzellenzcluster „Religion und Politik“ der WWU forscht im Sommersemester 2017 als Fellow am Internationalen Kolleg für Geisteswissenschaftliche Forschung „Schicksal, Freiheit und Prognose. Bewältigungsstrategien in Ostasien und Europa“ (IKGF) der Universität Erlangen. „Im Rahmen meines Forschungsaufenthaltes beschäftigte ich mich mit prognostischen Techniken im byzantinischen Reich“, sagt der Wissenschaftler. Ein weiterer Fokus sei die systematische Sammlung und Erforschung von Zeichen und Vorzeichen, sogenannten Omina, in der byzantinischen Welt. „Dieses Forschungsfeld ist im Gegensatz zur Antike und dem lateinischen Mittelalter kaum bearbeitet worden.“

„Der Aufenthalt in Erlangen erlaubt es , Phänomene der Prognostik in einem globalen Kontext zu betrachten“, betont Prof. Grünbart. Das Kolleg ermögliche es, sich intensiv mit Sinologen, Tibetologen, Arabisten und Mediävisten auszutauschen. Erkenntnisse aus dem Forschungsaufenthalt sollen in ein Handbuch zur Deutung der Zukunft in der Vormoderne einfließen. Das IKGF der Universität Erlangen ist eines von zehn Käte-Hamburger-Kollegs und wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert. Die Käte-Hamburger-Kollegs für geisteswissenschaftliche Forschung sind Teil der Initiative „Freiraum für Geisteswissenschaften“ des BMBF. An den Kollegs wird jährlich renommierten Wissenschaftlerinnen oder Wissenschaftlern die Möglichkeit geboten, als Gastwissenschaftlerinnen und Gastwissenschaftler frei von administrativen Verpflichtungen selbst gewählten Forschungsfragen nachzugehen.

Himmelserscheinungen als Ausdruck göttlichen Zorns

„Bei der Sichtung der Quellen finden sich regelmäßig viele Arten von Zeichen, die in historiographische Erzählungen aus dem griechischen Mittelalter eingeflochten werden“, erläutert Prof. Grünbart. Spannend sei, wie sich die Verfasser der Geschichtswerke zum Zeichenwesen positionierten, was von Abneigung bis zur Akzeptanz samt wissenschaftlicher Unterfütterung reiche. „Dies wird besonders bei der Beschreibung von Sonnen- und Mondfinsternissen sowie Kometenerscheinungen deutlich.“

„Das Auftreten von Zeichen am Himmel beeinflusste das herrschaftliche Handeln“, sagt der Wissenschaftler. Dies werde augenfällig, wenn man Kaisergeschichten lese. Die Bedeutung des Begriffes „Zeichen“ hänge dabei jeweils vom Kontext ab. „Für die Wahrnehmung prägend waren jedenfalls die biblischen Bücher, in denen sowohl Himmelserscheinungen als auch Naturereignisse oft als Ausdruck göttlichen Zornes interpretiert werden“, erläutert Prof. Grünbart. Aus den antik-paganen Kulturen seien Fachschriften übernommen oder in einem neuen Ambiente adaptiert worden. „Aus dem byzantinischen Bereich gibt es einige Donner- und Erdbebenbücher, die eindeutig antike Vorlagen haben und in einen christlichen Kontext gestellt wurden. Solche Bücher wurden auch auf Feldzüge mitgenommen, wo es für den Strategen notwendig war, die Bedeutung von Donner oder Erdbeben seiner Truppe zu erklären, um Fehlinterpretationen, Panikmache oder Gerüchten entgegenzuwirken.“

Interpretation von Nachtbildern

Auch die Deutung von Träumen wurde laut Prof. Grünbart im byzantinischen Reich dokumentiert: „Zwar gibt es berühmte Schriften aus der Spätantike, doch entstanden in Byzanz, auch beeinflusst von arabischen Fachschriften, eigene Sammlungen zur Interpretation von Nachtbildern. Einige dieser „Ratgeber“ firmieren dem Wissenschaftler zufolge unter den Namen von konstantinopolitanischen Patriarchen.

„Die richtige Deutung und Interpretation von Zeichen führten oft Experten durch, die im Umkreis des byzantinischen Hofes in Konstantinopel arbeiteten. „Zwar habe es keine offiziellen Zeichendeuter wie etwa in Assyrien oder Rom gegeben. Dieses Wissen war Grünbart zufolge jedoch „gut greifbar“: „In der kaiserlichen Bibliothek wurden Orakelbücher, etwa die sibyllinischen Orakel oder später die Oracula Leonis, aufbewahrt, die bei Problemen der Herrschaft konsultiert wurden.“ Antike prognostische Techniken habe man zwar weiterhin gekannt, ihre praktische Anwendung reduzierte sich laut dem Byzantinisten jedoch extrem. „So gibt es keine Vogeldeuter mehr, Wahrsagen in Trance verschwindet und alle Arten von Eingeweideschau sind verboten. Lediglich die Astrologie steht weiterhin in hohem Ansehen.“

Prognose und Entscheidung im Loswesen

In den Bereich Prognose und Entscheidung fällt Prof. Grünbart zufolge auch das Loswesen. „Das Losen kennt man aus der attischen Demokratie, und es wurde nicht nur in den mediterranen Kulturen, sondern auch im Fernen Osten als Möglichkeit der Zukunftsdeutung eingesetzt.“ In Byzanz, besonders in klösterlichen Gemeinschaften, habe sich das Losen auf die Bestimmung von leitenden Positionen reduziert. Ein spätantiker Brauch lebte Grünbart zufolge bis ins Hochmittelalter weiter: „Im Konstantinopolitaner Hippodrom werden die Startplätze nach einem sehr ausgeklügelt administrierten System vergeben, bei dem eine Losmaschine eingesetzt wird. Dieses Verfahren wird im Zeremonienbuch des von 944 bis 959 regierenden Kaisers Konstantin VII. detailliert beschrieben.“

Prof. Dr. Michael Grünbart leitet am Exzellenzcluster das Projekt B2-8 Moses und David: Ambige Typologien für Patriarchen und Kaiser in Byzanz. (exc/dak/ill)