Zwischen höfischer Liebe und religiöser conversio

Germanist Jan-Dirk Müller über Lebenswenden in mittelalterlicher Minnedichtung

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Prof. Dr. Jan-Dirk Müller
© han

Über die Konkurrenz zwischen höfischer Liebe in der Minnedichtung und einem religiösen Leben im Hochmittelalter hat der Mediävist Prof. Dr. Jan-Dirk Müller der Universität München in der Ringvorlesung „Konversionen. Glaubens- und Lebenswenden“ des Exzellenzclusters gesprochen. Der Vortrag stellte Geschichten von Konversionen in Minnebiographien vor sowie Versuche, die „latente Konkurrenz“ zu bewältigen. Der Wissenschaftler setzte dies in Zusammenhang mit Untersuchungen zur Christlichkeit der höfisch-ritterlichen Kultur des Hochmittelalters. Die Ringvorlesung des Exzellenzclusters im Wintersemester 2015/16 untersucht religiöse, aber auch politische und weltanschauliche Konversionen von der Spätantike bis heute.

Auch in der höfischen Minnedichtung des 12. und 13. Jahrhunderts, die eine ideale unerfüllte Liebesbeziehung zwischen Mann und Frau beschreibt, lassen sich dem Referenten zufolge Konversionen finden, die in Konkurrenz zur religiösen Praxis standen. „Wie bei einer religiösen conversio durchläuft in der Dichtung der Ritter, das minnende Ich, eine Wende in seinem Leben, durch die alles, was zuvor galt, als nichtig erscheint und alle bisherigen Antriebe sich umkehren.“ Ähnlich der religiösen Praxis, in der das Leben ganz auf das göttliche Heil ausgerichtet war, erwartet der Minnende, Heil in der höfischen Liebe zu finden, wie Prof. Müller ausführte. „Dabei bediente sich auch die Minnedichtung religiöser Metaphern, indem etwa „die geliebte Frau“ als „osterlîcher tac“ (österlicher Tag) beschrieben wurde.“ Gleichzeitig habe es zu damaliger Zeit Versuche gegeben, die Relation zwischen höfischer Liebe und religiösem Leben zu bestimmen, etwa indem die Geltung der höfischen Minne in der Schwebe gelassen wurde, ohne die höhere Geltung religiöser Ordnungen in Frage zu stellen.

Prof. Müller ist emeritierter Mediävist an der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU). Sein Fachgebiet ist die Sprache und Literatur des Mittelalters sowie der Frühen Neuzeit. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen außerdem die mittelhochdeutsche und frühneuzeitliche Literatur sowie Medien und Medialität im Mittelalter. Er ist Herausgeber des Reallexikons der Deutschen Literaturwissenschaft.

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© Joachim Schäfer - Ökumenisches Heiligenlexikon

Die Themen der Ringvorlesung reichen von Bekehrungen im alten Rom über Konversionsträume im Mittelalter und frühneuzeitliche Reformatoren bis zur Taufe europäischer Juden im 19. Jahrhundert. Auch Konversionen innerhalb des Islams in Indonesien, die Konversion zum evangelikalen Christentum des US-Musikers Bob Dylan und der Wandel von Geisterheilungen zur Psychiatrie im heutigen Indien werden unter die Lupe genommen. Es kommen Vertreter verschiedener Disziplinen zu Wort: der Geschichts- und der Rechtswissenschaft, der Ethnologie, Theologie, Arabistik, Germanistik, Indonesischen Philologie, der Judaistik und der Mittellateinischen Philologie.

Die Vorträge sind dienstags von 18.15 bis 19.45 Uhr im Hörsaal F2 des Fürstenberghauses am Domplatz 20-22 in Münster zu hören. Den nächsten Vortrag am 17. November hält die Münsteraner Philologin Prof. Dr. Christel Meier-Staubach vom Exzellenzcluster zum Thema „Krise und Conversio. Grenzerfahrungen in der biographischen Literatur des Mittelalters“. (mit/ska/vvm)

Ringvorlesung „Konversionen. Glaubens- und Lebenswenden“

Wintersemester 2015/2016
dienstags 18.15 bis 19.45 Uhr
Hörsaal F2 im Fürstenberghaus
Domplatz 20-22
48143 Münster