„Den Mythos Maria Theresia entzaubern“

Historikerin Barbara Stollberg-Rilinger forscht am Wissenschaftskolleg zu Berlin

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Prof. Dr. Barbara Stollberg-Rilinger
© Richard Rilinger

Die Frühneuzeit-Historikerin Prof. Dr. Barbara Stollberg-Rilinger vom Exzellenzcluster „Religion und Politik“ ist ab Oktober für ein Jahr Fellow am Wissenschaftskolleg zu Berlin. Sie wird dort an einer Biografie über die Kaiserin Maria Theresia (1717-1780) arbeiten. „Es ist seit langem still geworden um Maria Theresia, ehemals die Verkörperung des österreichischen Nationalmythos schlechthin“, erläutert Prof. Stollberg-Rilinger. „Sieht man genauer hin, so ist das populäre Bild der Kaiserin-Königin bis heute stark von der Historiografie des 19. und frühen 20. Jahrhunderts geprägt, während die jüngere Historiker-Generation einen Bogen um sie macht. Es scheint daher an der Zeit, die Gestalt Maria Theresia zu historisieren und ihren Mythos zu entzaubern.“

Das Wissenschaftskolleg bietet Forscherinnen und Forschern die Möglichkeit, sich für ein akademisches Jahr frei von Verpflichtungen auf ein selbstgewähltes Arbeitsvorhaben zu konzentrieren und sich mit herausragenden Vertretern verschiedener Disziplinen auszutauschen. Das 1981 gegründete Kolleg beruft jeweils auf ein Jahr 40 Fellows von hohem akademischem Rang aus den Natur-, Geistes- und Sozialwissenschaften sowie zwei Künstler. Die Fellows sind in dieser Zeit von universitären Verpflichtungen befreit.

Zu ihrem Forschungsvorhaben erläutert die Wissenschaftlerin, Maria Theresia sei nicht die treu sorgende, liebende Landesmutter, als die sie gemeinhin dargestellt werde. Sie sei auch keine emanzipierte Frau avant la lettre und nicht die große weibliche Ausnahme in einer allein von Männern betriebenen Politik gewesen. „Die Biografie soll nicht nur diese Meistererzählung dekonstruieren, sondern auch eine andere Geschichte Maria Theresias entwerfen.“ Das könne nicht mehr aus Sicht eines allwissenden Erzählers geschehen. Vielmehr werde eine Vielzahl unterschiedlicher zeitgenössischer Perspektiven miteinander konfrontiert: vom aufgeklärten Leibarzt zum kameralistischen Projektemacher, von der durchreisenden Engländerin zum alt-aristokratischen Obersthofmarschall, vom Prager Juden bis zum Tiroler Bauernsohn. „Dazu gehören selbstverständlich auch die Stimmen Maria Theresias selbst und ihrer Familienmitglieder. Am Ende soll ein plastischer Eindruck von der spezifischen ‚Gleichzeitigkeit des Ungleich¬zeitigen‘ entstehen, die das 18. Jahrhundert kennzeichnet.“

Prof. Dr. Barbara Stollberg-Rilinger leitet am Exzellenzcluster das Projekt B2-22 Jenseits konfessioneller Eindeutigkeit. Zur diskursiven Formierung religiös devianter Gruppen in der Frühen Neuzeit. Sie ist stellvertretende Sprecherin des Forschungsverbundes. Sie hat seit 1997 den Lehrstuhl für die Geschichte der Frühen Neuzeit an der Universität Münster inne. 2005 erhielt sie den Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), 2013 wurde sie mit dem deutschen Historikerpreis des Historischen Kollegs München ausgezeichnet. (vvm)