„Der Einsatz für das Evangelium“

Kirchenhistoriker Thomas Kaufmann über Reformatoren als Konvertiten

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Prof. Dr. Thomas Kaufmann
© han

Über Reformatoren als Konvertiten hat der Göttinger Kirchenhistoriker und evangelische Theologe Prof. Dr. Thomas Kaufmann in der öffentlichen Ringvorlesung „Konversion. Glaubens- und Lebenswenden“ des Exzellenzclusters gesprochen. Der Wissenschaftler stellte darin die frühneuzeitliche Reformation, die eine Veränderung des bestehenden Kirchenwesens zum Ziel hatte, als Konversionsbewegung dar. Bislang sei es in der geschichtswissenschaftlichen Forschung „keineswegs selbstverständlich“, den Begriff „Konversion“ auf jene religions- und gesellschaftspolitischen Vorgänge anzuwenden, sagte Prof. Kaufmann. Dabei ermögliche es der Begriff, die „Dramatik und Härte im Verhältnis der sich formierenden Konfessionen“ schärfer in den Blick zu nehmen. Der Vortrag trug den Titel „Reformatoren als Konvertiten“.

„Konvertiten urteilten bekanntlich in Bezug auf ihre Herkunftsreligionen mit einer Unduldsamkeit, wie sie auch für die reformatorische Wahrnehmung des römischen Katholizismus im Ganzen charakteristisch ist“, sagte der Kirchenhistoriker. Selbst für vielen sogenannten „Altgläubigen“, die der römischen Kirche treu geblieben seien, lasse sich der Begriff „Konvertit“ verwenden, schließlich habe der „Sog der Veränderung“ zu sie zu einer „religiösen Vereindeutigung“ gezwungen und damit die Freiheit des spätmittelalterlichen Katholizismus in Frage gestellt.

Die Reformation ging mit einschneidenden Veränderungen überkommender Lebensentwürfe einher, wie Prof. Kaufmann anhand zeitgenössischer Biographien zeigte. „Mönche und Nonnen verließen ihre Klöster und konvertierten zu in der Welt lebenden Christenmenschen. Kleriker konvertierten zu Ehemännern, Laien konvertierten zu Predigern und religiösen Schriftstellern.“ Im Unterschied zu reformatorischen Konvertiten aus dem Priesterstand, die sich kaum berufliche verändern mussten und meistens weiterhin als Pfarrer oder Professor arbeiteten, kamen nach den Worten des Kirchenhistorikers die ehemaligen Mönche mit dem Schritt in die bürgerliche Berufswelt häufig nicht zurecht.

Umgekehrt war es aber nach den Worten von Prof. Kaufmann die große Gruppe der Weltpriester, die die Ansicht vertrat, dass die Rückkehr zum ursprünglichen Christentum klare lebensgeschichtliche Brüche und einen Einsatz für das Evangelium erfordere. „Durch demonstrative Eheschließungen brachte man eine gewandelte Haltung gegenüber Sexualität und dem bisherigen Habitus zum Ausdruck.“ Die Klosteraustritte seien hingegen ruhig begangen und kaum publizistisch, etwa in Flugschriften, flankiert worden.

Der Initiator der Reformation Martin Luther habe sich zum Ende seines Lebens nachträglich als „Erstling unter den Konvertiten“ stilisiert, sagte der Wissenschaftler. Luthers Bekehrungserzählung im „Großen Selbstzeugnis“ von 1545 diene der Erklärung dafür, wie er der geworden sei, als den er seinen Lesern in Erinnerung bleiben wolle: als rechtgläubiger evangelischer Lehrer und Kirchenvater. „Damit legitimierte er die ihm in der lutherischen Kirche zugewachsene außergewöhnliche Autoritätsstellung.“

Prof. Dr. Thomas Kaufmann hat den Lehrstuhl für Kirchengeschichte an der Georg-August-Universität Göttingen inne und ist dort Mitglied im Zentrum für Mittelalter- und Frühneuzeitforschung. Zu seinen Forschungsinteressen zählen die Kirchen- und Theologiegeschichte sowie die des Christentums in der Frühen Neuzeit. Seit 2011 führt er den Vorsitz des Vereins für Reformationsgeschichte.

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© Joachim Schäfer - Ökumenisches Heiligenlexikon

Die Ringvorlesung des Exzellenzclusters im Wintersemester 2015/16 untersucht religiöse, aber auch politische und weltanschauliche Konversionen von der Spätantike bis heute. Es kommen Vertreter verschiedener Disziplinen zu Wort: der Geschichts- und der Rechtswissenschaft, der Ethnologie, Theologie, Arabistik, Germanistik, Indonesischen Philologie, der Judaistik und der Mittellateinischen Philologie.

Die Vorträge sind dienstags von 18.15 bis 19.45 Uhr im Hörsaal F2 des Fürstenberghauses am Domplatz 20-22 in Münster zu hören. Den nächsten Vortrag am 8. Dezember hält die Heidelberger Islamwissenschaftlerin Prof. Dr. Susanne Enderwitz zum Thema „Mit dem Schleier in die Öffentlichkeit: Ein Phänomen der (Re-)Konversion in Ägypten“. Zunächst war Arabistin Prof. Barbara Winckler von der WWU im Programm vorgesehen, die ihren Vortrag absagen musste. (ska/vvm)

Ringvorlesung „Konversionen. Glaubens- und Lebenswenden“

Wintersemester 2015/2016
dienstags 18.15 bis 19.45 Uhr
Hörsaal F2 im Fürstenberghaus
Domplatz 20-22
48143 Münster