„Blinde Flecken in der Kirchengeschichte“

Historiker Gerd Althoff rekonstruiert Theorien von Päpsten zur Rechtfertigung von Gewalt

Buchcover

Päpste des Mittelalters haben laut einer neuen Studie von Historiker Prof. Dr. Gerd Althoff Theorien zur Rechtfertigung von Gewalt entwickelt. „In einer Fülle von Streitschriften, Briefen und Traktaten breiteten Päpste und Geistliche ihre theologischen Argumente zur Rechtfertigung von Gewalt gegen Ungehorsame und Ungläubige aus. Sie beriefen sich auf das Alte Testament und Kirchenväter wie Augustinus, der erlaubt hatte, Häresie mit Gewalt zu bekämpfen“, so der Forscher des Exzellenzclusters „Religion und Politik“ der Uni Münster. „In bornierter Einseitigkeit ignorierte das Reformpapsttum Bibelstellen zur Nächsten- und Feindesliebe, obwohl diese auch im Mittelalter vielen als markante Botschaften des Christentums galten.“

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Audio-Interview mit Prof. Dr. Gerd Althoff

Die Geschichtsforschung habe die Gewalttheorie übersehen und den Blick lange auf die Kreuzzüge und Ketzerkriege verengt, sagt der Mediävist. „Unbemerkt blieb, wie die Reformpäpste ihre Geltungsansprüche und ihre gewaltsame Umsetzung in unzähligen Schriften begründeten. Die Kirchengeschichte zeigt hier blinde Flecken.“ Erst jetzt werde klar, dass das Gedankengebäude zur Gewaltrechtfertigung viele Menschen fasziniert haben müsse. Auslöser für die Theorie sei die Politik Kaiser Heinrichs III. (1039-1056), der die Kirche durch Ein- und Absetzung von Päpsten dominiert habe. „Diese Fremdbestimmung führte zu gewaltigen geistigen Anstrengungen, die eigenen Rechte neu aus den heiligen Schriften abzuleiten. So entdeckte man, dass die Päpste Gehorsam von allen Gläubigen fordern könnten – und dass Ungehorsam gegen päpstliche Gebote Häresie sei, gegen die man mit Gewalt vorgehen dürfe.“

Die Studie „Selig sind, die Verfolgung ausüben“ über Päpste und Gewalt im Hochmittelalter erscheint Mitte März in der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft in Darmstadt und im Konrad Theiss Verlag in Stuttgart. Sie ist im gleichnamigen Cluster-Projekt D5 entstanden. Der Autor behandelt das 11. bis 13. Jahrhundert, in der das Papsttum seinen Einfluss in Kirche und Welt stark erweiterte. Er analysiert zahlreiche lateinische Textquellen des Hochmittelalters.

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Prof. Dr. Gerd Althoff

© WWU/Peter Grewer

„Folge der Gewalttheorie waren Kreuzzüge und Ketzerverfolgung“

Der Buchtitel zitiert Bischof Bonizo von Sutri, der zur Rechtfertigung von Gewalt im 11. Jahrhundert die Bergpredigt verkehrte, wie Prof. Althoff darlegt. „Er schrieb, es seien auch die Menschen ‚selig zu preisen, die um der Gerechtigkeit willen Verfolgung ausüben‘ – nicht nur die, die verfolgt würden.“ Häufig zitiert wird in den mittelalterlichen Schriften auch die Geschichte der Verwerfung König Sauls durch den Propheten Samuel, die allein Papst Gregor VII. (1073-1085) 20 Mal nannte. Hinzu kommen viele Stellen aus dem Alten Testament, in denen ein zorniger Gott Ungehorsam durch Gewalt bestraft, etwa die Geschichte von Pinchas, der aus Eifer für Gott Menschen tötet, oder die der Leviten, die ihre eigenen Brüder und Verwandten erschlagen.

Bis zum 11. Jahrhundert hatte die Kirche ein distanziertes Verhältnis zur Gewalt, wie der Forscher darlegt. „Dann trat eine Wende ein. Die Päpste griffen nun direkt auf Krieger zu und ließen sie in ihrem Auftrag Gewalt anwenden.“ In den Schlachten gegen Könige, Kaiser und ungehorsame Geistliche in Sachsen und Italien ab dem Jahr 1075 sei viel Blut geflossen. „Weitere Folgen der Gewalttheorie waren die Kreuzzüge, Ketzerkriege und Inquisition.“ Unter Zeitgenossen habe die Gewalttheorie zwar Kritik hervorgerufen und Gegner des Reformpapsttums hätten auf die Friedens-, Nächsten- und Feindesliebe des Neuen Testaments verwiesen. „Durchgesetzt hat sich im Hochmittelalter jedoch zunächst die päpstliche Argumentation. Innerkirchlich führte das zur Hierarchisierung und päpstlichen Vorherrschaft. Außerhalb der Kirche sollte das für eine faktische Obergewalt der Kirche über die weltlichen Herrscher sorgen.“

„Heutiger Zentralismus der Kirche grundgelegt“

Heute habe die Kirche in der Gewaltfrage schon lange Abstand von damaligen Vorstellungen genommen, so Prof. Althoff. „Der Wandel ist allerdings stillschweigend geschehen. Und die päpstlichen Geltungsansprüche auf Gehorsam und Suprematie hat er nicht erfasst.“ Das Reformpapsttum habe so den römischen Zentralismus, die päpstliche Unfehlbarkeit und die Verschärfung des Zölibats grundgelegt, die bis heute innerhalb und außerhalb der Kirche Gegenstand kontroverser Debatten seien. Im 19. Jahrhundert verdichtete das Erste Vatikanische Konzil dies Prof. Althoff zufolge unter Berufung auf die Päpste des Hochmittelalters, ohne sich der Gewalttheorie allerdings noch bewusst gewesen zu sein. „Das Zweite Vatikanum (1962-1965) schwächte manches ab. Doch im Kern besteht der römische Zentralismus weiter, und er sorgt für Diskussionen“, so der Historiker. Er regte weitere Untersuchungen zum Thema an, etwa zur Wirkung der Gewalttheorie des Reformpapsttums in späteren Jahrhunderten. (vvm)

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Hinweis: Gerd Althoff, „Selig sind, die Verfolgung ausüben“. Päpste und Gewalt im Hochmittelalter, Konrad Theiss Verlag, Stuttgart 2013, 256 Seiten, 29,95 Euro, ISBN 978-3-8062-2751-2.