80 Jahre Reichskonkordat

Jurist Wittreck und Historiker Schulze zur damaligen und heutigen Bedeutung der Regelung

Vor 80 Jahren wurde das Reichskonkordat zwischen dem Vatikan und dem Deutschen Reich abgeschlossen. Rechtswissenschaftler Prof. Dr. Fabian Wittreck und Historiker Dr. Thies Schulze vom Exzellenzcluster „Religion und Politik“ äußern sich in Interviews mit der Deutschen Presse-Agentur dpa zur damaligen und heutigen Bedeutung der Regelung. Dr. Thies Schulze veröffentlichte außerdem einen Gastbeitrag zum Thema in der Frankfurter Rundschau.

„Kein Änderungsbedarf beim Reichskonkordat“

Von Carsten Linnhoff, dpa

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Prof. Dr. Fabian Wittreck

Seit 80 Jahren ist das Reichkonkordat, eine völkerrechtliche Regelung zwischen dem Vatikan und Deutschland, gültig. Kein Problem sagt ein Staatsrechtler, auch wenn der Vertrag ursprünglich mit dem Dritten Reich abgeschlossen wurde.

Der Abschluss der völkerrechtlichen Vereinbarung zwischen der katholischen Kirche und dem Deutschen Reich, das sogenannte Reichskonkordat, jährt sich am 20. Juli zum 80. Mal. Der Staatskirchenvertrag mit dem Vatikan ist auch in der Bundesrepublik gültig. Staatsrechtler Fabian Wittreck vom Exzellenzcluster „Religion und Politik“ der Universität Münster sieht keinen Anlass, an der Vereinbarung etwas zu ändern. Im dpa-Interview sagt er aber Anpassungen im Verhältnis des Staates zu den großen Kirchen voraus.

Begriffe aus dem Reichskonkordat wie „Völkische Minderheiten“ lesen sich in der heutigen Zeit etwas merkwürdig. Gibt es da keinen Anpassungsbedarf?

Nein. Wir haben an vielen Stellen in Verfassungen und Gesetzestexten veraltete Formulierungen. Das Konkordat von 1933 antwortet historisch natürlich auf andere Fragen, die wir uns heute so nicht stellen. In der Hessischen Landesverfassung steht auch noch eine Bestimmung zur Todesstrafe. Trotzdem wird sie nicht angewendet. Für eine Überarbeitung des Reichskonkordats gibt es keinen Bedarf. Den hätten wir nur, wenn wir heute deshalb für etwas zahlen müssten. Normen, die keine Folgen haben und die nicht missbrauchsanfällig sind, müssen nicht geändert werden.

Aber über das Verhältnis von Kirche und Staat wird doch immer wieder diskutiert?

Das stimmt, besonders macht uns das Arbeitsrecht beim Arbeitgeber Kirche Sorgen. Da geht es – angestoßen durch das Europarecht – um Antidiskriminierung, aber auch um den Rechtsschutz vor staatlichen Gerichten. Und natürlich haben wir die Frage, ob die weitgehenden Privilegien der großen christlichen Kirchen so bestehen bleiben können. Aufgrund der wachsenden Vielfalt an Religionen in der Bevölkerung, etwa der Muslime, werden sie sich so nicht mehr halten lassen. Die konkrete Anwendung des Religionsrechts muss sich noch stärker auf die Folgen der religiösen Pluralität einstellen. Das Religionsverfassungsrecht ist zwar auf dem Papier dafür gut gerüstet. In der Praxis wird es aber noch nicht entsprechend angewandt. Da haben die Kirchen in Zukunft große Umbrüche zu erwarten. Sie können nicht mehr selbstverständlich mit einer Rechtsauslegung zu ihren Gunsten rechnen.

Welche Folgen hat das konkret?

Ich glaube nicht, dass sich zum Beispiel der Feiertagsschutz mit dem Verbot von Tanzveranstaltungen und Konzerten noch lange wird halten können. Es wird vielleicht rund um Kirchen befriedete Bezirke geben, um Raum für Stille zu haben. Aber kein Christ hat einen Anspruch darauf, dass alle anderen auch still sein müssen. Hier geht es um Verstöße gegen das Gebot gleicher religiöser Freiheit.

Die Linke hat im Bundestag das Reichskonkordat in einem Gesetzentwurf, in dem es um die Abschaffung von Staatsleistungen an die Kirchen ging, als umstritten bezeichnet.

Das ist richtig. Es geht dabei allerdings um etwas anderes. Der deutsche Staat hat seit 95 Jahren den Verfassungsauftrag, die Staatsleistungen, im Kern sind das Entschädigungszahlungen für Enteignungen aus der Zeit der Säkularisation, abzuschaffen. Das haben wir aus der Weimarer Reichsverfassung in das Grundgesetz übernommen. Da sollten wir endlich herangehen. Wir haben diesen Verfassungsauftrag. Aber wir verschweigen ihn seit 95 Jahren.

„Vatikan handelte beim Reichskonkordat wenig zielgerichtet"

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Dr. Thies Schulze

Von Carsten Linnhoff, dpa

Der Vatikan und das Deutsche Reich regelten ihr Verhältnis 1933 im Reichskonkordat. Nach Meinung vieler Historiker hatte der Heilige Stuhl dabei klare Ziele vor Augen. Ein Forscher aus Münster bezweifelt dies.

Ganze Historiker-Generationen haben die Regelung des Verhältnisses zwischen dem Vatikan und dem Deutschen Reich im Reichskonkordat beleuchtet. In der Forschung ist die Ansicht weit verbreitet, der Heilige Stuhl habe dabei eine klare Linie verfolgt. 80 Jahre nach dem Abschluss am 20. Juli 1933 geht ein Historiker aus Münster aber eher von einem Zick-Zack-Kurs aus. „Der Vatikan hat seine Politik mehrfach korrigiert“, sagt Thies Schulze vom Exzellenzcluster „Religion und Politik“ an der Uni Münster. „Meiner Meinung nach ist der Eindruck von Kohärenz entstanden, weil die Forschung intensiv über den Zusammenhang von Ermächtigungsgesetz und Reichskonkordat diskutiert und andere Aspekte nicht ausreichend berücksichtigt hat.“ Das Verhalten des Vatikans vor, während und zum Abschluss des Reichskonkordats sei geprägt gewesen von Fehleinschätzungen, enttäuschten Hoffnungen und Kurskorrekturen, so der Historiker. Am Ende sei der Vatikan in etwas hineingeraten, das er im Frühjahr 1933 nicht geplant hatte.

Das Reichskonkordat ist das einzige außenpolitische Abkommen aus der Nazi-Zeit, das heute noch gültig ist. Der Vertrag schreibt einen Rahmen für die Beziehungen zwischen Staat und Kirche fest. 34 Artikel regeln Grundsätzliches und Details. Nach dem Krieg sorgte der Vertrag für viele Diskussionen. In die Wissenschaftsgeschichte eingegangen ist der Streit zwischen Klaus Scholder und Konrad Repgen. In der sogenannten Scholder-Repgen-Kontroverse sind seit 1977 zwei Punkte umstritten: Gab es 1933 einen Zusammenhang zwischen der Zustimmung der katholischen Zentrumspartei zum Ermächtigungsgesetz, mit dem Hitlers Regierung Gesetze ohne das Parlament erlassen konnte, und dem Angebot der Reichsregierung, ein Konkordat abzuschließen? Und: War im Juli 1933 die Selbstauflösung des Zentrums der Preis für den Abschluss des Reichskonkordats? Protestant Scholder beantwortete beide Fragen mit Ja. Sein katholischer Gegenspieler Repgen forderte dafür wenigstens einen einzigen Quellennachweis und argumentierte, durch das Konkordat sei ein rechtlicher Schutzraum entstanden, in dem die Nichtanpassung der katholischen Kirche an das Regime besser gelingen konnte als ohne diesen Schirm.

Repgen gehörte 1962 zu den Gründungsmitgliedern der Kommission für Zeitgeschichte (KfZG) in Bonn. Für Karl-Joseph Hummel, den heutigen Direktor der KfZG, ist die Kontroverse seit der Öffnung der vatikanischen Archive bis 1939 endgültig entschieden. „Auch dort haben sich für die Thesen Scholders keine Belege gefunden, im Gegenteil“, sagt Hummel. „Eine internationale Großorganisation kann selbst keinen Widerstand leisten. Sie musste aber versuchen, ihre Mitglieder in die Lage zu versetzen, sich dafür zu entscheiden, und hat dies auch getan.“

Schulze weist auf einen anderen Zusammenhang hin: „Die heftige Ablehnung des Kommunismus, die sich in vielen vatikanischen Verlautbarungen bemerkbar machte, hat eine rasche Annahme der deutschen Verhandlungsofferte mit Sicherheit begünstigt.“ Im April 1933 habe der Vatikan Hitler zu mehreren Gelegenheiten als einzigen Staatsmann gelobt, der etwas gegen den Kommunismus unternehme. Anhand von Quellen der polnischen und französischen Diplomatie hat Schulze nachgewiesen, dass es sich dabei keineswegs um spontane Sympathiebekundungen handelte.

Unstrittig sei, so Schulze, dass der Vatikan den Nationalsozialismus vor 1933 abgelehnt habe. Doch Hitler habe besonders nach dem Reichstagsbrand stark auf antikommunistische Rhetorik gesetzt und dem Bolschewismus einen „Vernichtungskampf“ angedroht. Das sei im Vatikan gut angekommen, dem der Kommunismus nicht nur als politische Gefahr, sondern vor allem als Quell des sittlich-moralischen Verfalls gegolten habe.

„Der Vatikan hielt Hitler anscheinend für moderat und die Schlägerbanden der SA für die eigentlichen aggressiven Kräfte. Offenbar knüpfte sich daran zeitweise auch die Hoffnung, dass nach einer Stabilisierung der deutschen Regierung der Terror eingedämmt werden könne“, sagt der Zeithistoriker. Aber nach April 1933 wechselte der Vatikan erneut seinen Kurs und betrachtete Hitler mit zunehmender Distanz. „Besonders in der heißen Phase der Verhandlungen von Ende Juni bis Mitte Juli wusste der Vatikan dann besser, welche Intentionen das NS-Regime verfolgt. Nun pochte Rom verstärkt auf Schutzklauseln im Vertrag“, erklärt Schulze. „Eine Handhabe, aus den Verhandlungen auszusteigen, fand der Vatikan nicht mehr.“

Mit freundlicher Genehmigung der dpa Deutsche Presse-Agentur GmbH, Hamburg, www.dpa.de

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