Wie die Juden in der Antike überlebten

Experten ergründen die Vielfalt jüdischer Identitäten und die Politik ihrer Herrscher

Between Cooperation and Hostility

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Warum jüdische Minderheiten in der Antike mit manchen Großmächten besser auskamen als mit anderen, untersucht Anfang Juni eine internationale Tagung am Exzellenzcluster „Religion und Politik“ der Uni Münster. Die Forschung habe bislang nicht hinreichend klären können, warum das Zusammenleben etwa mit den Persern friedlich, mit den Römern hingegen feindlich verlaufen sei, erläutern die Alttestamentler Prof. Dr. Rainer Albertz und Privatdozent Dr. Jakob Wöhrle vom Exzellenzcluster. Wissenschaftler aus Deutschland, Israel, England und den USA werden diese Frage auf der englischsprachigen Konferenz „Zwischen Kooperation und Feindschaft“ anhand zahlreicher Beispiele aus der Zeit der Perser, Ptolemäer, Seleukiden und Römer erörtern. Der international bekannte israelische Historiker Prof. Dr. Daniel R. Schwartz wird ins Thema einführen und darlegen, wie die Vielfalt jüdischer Gruppen der Antike aussah. Sein Vortrag zum Konferenzauftakt am 1. Juni ist öffentlich.

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Prof. Dr. Rainer Albertz und Privatdozent Dr. Jakob Wöhrle (v.l.)

© bhe

„Das Besondere an der Tagung ist ihre historische Tiefe. Sie ermöglicht Vergleiche zwischen den verschiedenen Phasen“, unterstreicht Jakob Wöhrle. Die 14 Vorträge umfassen den Zeitraum der spätpersischen, hellenistischen und römischen Zeit vom 5. Jahrhundert vor Christus bis zum 1. Jahrhundert nach Christus. „Vielversprechend ist auch die fächerübergreifende Zusammenarbeit von Theologen, Judaisten, Historikern und Archäologen“, sagt Rainer Albertz. So näherten Alttestamentler sich dem Thema mit der Frage: „Warum war die größte Katastrophe des Judentums, der Jüdische Krieg und die Zerstörung des Jerusalemer Tempels im ersten Jahrhundert nach Christus, plötzlich unvermeidbar, nachdem es über Jahrhunderte Frieden gegeben hatte?“ Historiker wiederum fragten: „Warum scheiterte die Provinzpolitik der Römer, die im gesamten Reich von der Bretagne bis zum Schwarzen Meer erfolgreich war, ausgerechnet im kleinen Judäa?“

Friedliche oder feindliche Koexistenz

Entscheidende Faktoren für die Frage, ob es zur friedlichen oder feindlichen Koexistenz kam, waren laut Prof. Albertz die politischen Umgangsweisen der Herrscher mit den Juden, die wirtschaftliche Situation sowie verschiedene Strategien der Juden im Umgang mit Fremdmächten: Manche Gruppen versuchten demnach, ihre Identität durch Abgrenzung zu bewahren, andere gliederten sich bewusst in eine multikulturelle Welt ein. „Dem zugrunde liegt die Frage nach dem Gewaltpotential von Religionen, die sich bis heute stellt“, so Prof. Albertz. „Religionen stiften Identität. Das kann zu emotionalen Auseinandersetzungen führen, die oft die Grenzen der Toleranz überschreiten.“ Von Interesse sei dabei, ob „theologische Sicherheitsmechanismen“ bestanden, um Gewalt zu verhindern. Als Beispiel nennt der Experte die Reichstheologie der Perser, die Religionen mit anderen Göttern akzeptierte: „So konnten die Perser den Juden ein erstaunliches Maß an kultureller Freiheit lassen und sie tolerieren, weil sie loyal waren.“

Die Römer hingegen hätten ein, auch wirtschaftlich, strenges Regiment geführt, was den Widerstand der Juden hervorrief, so der Wissenschaftler. Dass es zur Feindschaft zwischen Juden und Römern kam, habe aber auch Gründe gehabt, die die jüdische Identität im Kern betrafen: „Unter den Juden standen sich die Priesterschaft der Sadduzäer und gemäßigte Pharisäer gegenüber. Die Römer paktierten mit den Sadduzäern, die aber zerstritten waren.“ Für manche sei die römische Vielgötterei akzeptabel gewesen, andere lehnten sie ab. „Diese Gruppe setzte sich letztendlich durch“, erläutert Prof. Albertz. „Sie verboten den Römern, den Jerusalemer Tempel zu benutzen. Das düpierte die Herrscher und es kam zum Krieg.“
Der öffentliche Vortrag von Daniel R. Schwartz, Professor für frühjüdische Geschichte an der Hebrew University in Jerusalem, trägt den Titel „Judäer, Juden und ihre Nachbarn: Jüdische Identität in der Zeit des zweiten Tempels“. Er spricht am Mittwoch, 1. Juni, im Fürstenberghaus (Domplatz 20-22) in Hörsaal F5 um 18.15 Uhr in englischer Sprache.

Die Tagung „Zwischen Kooperation und Feindschaft. Multiple Identitäten im antiken Judentum und die Interaktion mit fremden Mächten“ findet vom 1. bis 3. Juni im Tagungszentrum „agora“, Bismarckallee 11, im Seminarraum 3 statt. Interessierte können sich bei Jakob Wöhrle per Mail (woehrle@uni-muenster.de) anmelden. Prof. Dr. Rainer Albertz und Privatdozent Dr. Jakob Wöhrle forschen im Cluster-Projekt C1 „Distinktion und Integration in der Gründungsurkunde Israels“. (vvm/han)
 

Programm

Mittwoch, 1. Juni
18:15–19:45

Öffentlicher Abendvortrag: Judaeans, Jews, and their Neighbors: Jewish Identity in the Second Temple Period
(Fürstenberghaus, Domplatz 20-22, Raum F5)

Daniel R. Schwartz, Jerusalem
Donnerstag, 2. Juni
9:00–09:15 Welcome Address, Introduction  
9:15–10:00 Conflicting Models of Identity and the Publication of the Torah in the Persian Period Thomas Römer, Lausanne/Paris
10:00–10:45 Joseph in Egyptian Diaspora: Living under Foreign Rule According to the Joseph Narrative and Its Early Intra- and Extra-Biblical Reception Jakob Wöhrle, Münster
11:15–12:00 The Adversaries in Ezra/Nehemiah – Fictitious or Real? A Case Study on Creating Identity in Late Persian and Early Hellenistic Times Sebastian Grätz, Mainz
12:00–12:45 Genocide in the Book of Esther: Cultural Integration and the Right of Resistance against Pogroms Reinhard Achenbach, Münster
14:30–15:15 Are Foreign Rulers Allowed to Enter and Sacrifice in the Jerusalem Temple? Rainer Albertz, Münster
15:15–16:00 The Construction of Samari(t)an Identity from the Inside and the Outside Stefan Schorch, Halle
16:00–16:45 Seduced by the Enemy or Wise Strategy? The Presentation of Non-Violence and Accommodation with Foreign Powers in Ancient Jewish Literary Sources Catherine Hezser, London
17:15–18:00 The Early Hasmoneans – from Rebels to High Priests Johannes Bernhardt, Freiburg
18:00–18:45 Manifest Identity: From Ioudaiois to Jew. Household Judaism as anti-Hellenization in the late Hasmonean Era Andrea Berlin, Boston
Freitag, 3. Juni
9:00–09:45 The Narrator of 1 Maccabees and the Etiquette of the Hellenistic Near East Doron Mendels, Jerusalem
9:45–10:30 From the “Master of the Elephants” to the “Most Ungracious Wretch”: The Image of the Foreign Ruler in the Books of Maccabees Johannes Schnocks, Münster
11:00–11:45 The High Priests and Rome: Why Cooperation Failed Kai Trampedach, Heidelberg
11:45–12:30 Preserving Identity in an Empire under Christian Sway: The Separation and Marginalization of Judaism in Late Antiquity Johannes Hahn, Münster