Scheidung auf Ägyptisch

Ein vergessener Wertetransfer

Gastbeitrag Prof Bauer

Prof. Dr. Thomas Bauer

Wissenschaftler des Exzellenzclusters veröffentlichen in einer neuen Rubrik Gastbeiträge zu aktuellen Themen.

Den Anfang macht Prof. Dr. Thomas Bauer mit einer Antwort auf einen Artikel in der Süddeutschen Zeitung. "Scheidung auf Ägyptisch" heißt der Text. Das Fazit des Islamwissenschaftlers: Nicht alles ist religiös in der islamischen Welt, und nicht alle Werte der islamischen Welt sind islamisch.


Anfuehrungszeichen

Im Nahen Osten geschehen viele wichtige Dinge, über die deutsche Medien nicht berichten. Umso verwunderlicher ist es, wenn die Süddeutsche Zeitung (9./10. April 2009) ausführlich über die Ehekrise eines ägyptischen Politikers berichtet, die in anderen westlichen Medien kaum ein Echo gefunden hat.  Für den Autor der Süddeutschen Zeitung (SZ) sollte die Ehe-Geschichte aber ein Lehrstück sein. Sie sollte zeigen, wie schwer es liberale Politik in einer von islamischen Werten geprägten Gesellschaft hat. In Wahrheit zeigt sie aber etwas anderes. Sie zeigt, wie der Westen sein eigenes Spiegelbild erblickt – und es nicht erkennt.

Doch der Reihe nach. Der ägyptische Oppositionspolitiker Ayman Nur hatte versucht, die ganze Auflage einer Zeitungsausgabe aufzukaufen, in der über seine gescheiterte Ehe mit Gamila Ismail berichtet wurde. Das aber gefiel der den Journalisten nicht, die nun ihrerseits über Aymans missglückten Geheimhaltungsversuch schrieben. Und darüber berichtet wiederum die SZ.

Rede von "gescheiterter Ehe" wenig sinnvoll

Die SZ präsentiert die Affäre als „orientalische Seifenoper“. Doch was ist daran „orientalisch“? Es ist – wie könnte es anders sein – der Islam. „Die vom Islam geprägten Wertvorstellungen sind streng. Verstöße werden unter der Decke gehalten. Für einen ägyptischen Politiker ist eine Scheidung ein Makel. Ein Gerhard Schröder mit drei gescheiterten Ehen ist in dem Land kaum vorstellbar.“ Danach sind es also die islamischen Werte, die eine banale Ehegeschichte zum Skandal werden lassen. Bei uns, wo diese Werte nicht gelten, hätte sich niemand über so etwas aufgeregt.

Hier beginnt man aber doch zu stutzen. Wahrscheinlich wurde Ägypten seit der islamischen Eroberung im 7. Jahrhundert bis ins 20. Jahrhundert hinein nie von einem Herrscher regiert, der in lebenslanger Monogamie lebte. Ehescheidungen sind nach islamischem Recht einfach und keineswegs ehrenrührig. Die Ehe ist im Islam kein Sakrament und wird nicht auf Lebenszeit geschlossen. Die Rede von „gescheiterten Ehen“ ergibt deshalb wenig Sinn.

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