Pressemitteilung upm

Mit Naturstoffen gegen Krankheiten

Forscher aus fast 70 Ländern bei 61. Jahrestagung der Gesellschaft für Arzneipflanzen- und Naturstoff-Forschung

Münster (upm), 03. September 2013

Weltweit leidet etwa eine Milliarde Menschen unter mindestens einer von 17 lebensbedrohlichen Erkrankungen, die von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als vernachlässigte Krankheiten eingestuft werden. Dazu gehören Infektionen wie die Chagas-Krankheit, die in Mittel- und Südamerika durch blutsaugende Raubwanzen übertragen wird, und die von Sandmücken verbreitete Leishmaniose, die weltweit in den Tropen vorkommt. "Große Pharmakonzerne investieren nur unzureichend in die Entwicklung neuer Arzneimittel gegen diese Krankheiten, obwohl kaum wirksame und für die Betroffenen erschwingliche Therapien existieren", erklärt Prof. Dr. Thomas Schmidt, Apotheker am Institut für Pharmazeutische Biologie und Phytochemie der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (WWU). "Es ist daher dringend notwendig, neue Wirkstoffe zu entwickeln. Und Naturstoffe besitzen ein immenses Potenzial als Wirksubstanzen gegen Infektionskrankheiten. "

Die Problematik der vernachlässigten Erkrankungen gehört zu den Schwerpunkten der Jahrestagung der Internationalen Gesellschaft für Arzneipflanzen- und Naturstoff-Forschung an der WWU, bei der derzeit mehr als 750 Experten aus 67 Ländern ihre neuen Ergebnisse vorstellen. Viele Arzneistoffe stammen aus Pflanzen oder aus anderen lebenden Organismen. Sie zählen somit zu den "Naturstoffen". Wissenschaftler gehen davon aus, dass es unter den bislang nicht untersuchten oder noch unentdeckten biologischen Substanzen zahlreiche Schätze gibt, die es zu finden gilt – neue medizinisch anwendbare Wirkstoffe. Wissenschaftler auf der ganzen Welt haben es sich daher zur Aufgabe gemacht, die unbekannten Naturstoffe systematisch zu untersuchen. Bei der Tagung diskutieren sie Trends und aktuelle Herausforderungen des Forschungsgebiets.

Handlungsbedarf sieht auch Prof. Dr. Andreas Hensel vom Institut für Pharmazeutische Biologie und Phytochemie, und zwar "vor der eigenen Haustür". Der Apotheker hält unterschiedliche Zulassungsstandards innerhalb der Europäischen Union für ein großes Problem. "In westlichen Ländern sind moderne Phytotherapeutika – pflanzliche Wirkstoffe – ein wichtiger Baustein der Arzneimitteltherapie bei unterschiedlichen Erkrankungen, zum Beispiel bei Depressionen", betont er. Gerade Deutschland habe bei der Entwicklung weltweit eine führende Position inne. Jedoch würden solche Entwicklungen erschwert, beispielsweise durch die immer größer werdenden Anforderungen an die vorgeschriebenen klinischen Arzneimittelprüfungen. "Andererseits können die gleichen pflanzlichen Wirkstoffe, deren Qualität bei Verwendung in Arzneimitteln aufwendig geprüft werden muss, als Nahrungsergänzungsmittel in Form hoch dosierter Extrakte ohne Nachweis der Wirksamkeit frei verkauft werden."

Besonders über das Internet könne man dabei leicht auch an Scharlatane geraten, kritisiert Andreas Hensel. "Es gibt keinerlei Kontrolle, obwohl diese Produkte ebenfalls Neben- oder Wechselwirkungen haben können." Beispielsweise gäbe es immer wieder gravierende Zwischenfälle infolge von Arzneimittel-Interaktionen mit Johanniskraut-Präparaten oder wegen Nebenwirkungen durch unzureichend charakterisierte und deklarierte Nahrungsergänzungsmittel.

Die internationale Gesellschaft für Arzneipflanzen- und Naturstoff-Forschung (Society for Medicinal Plant and Natural Product Research) bündelt die Naturstoff-Forschung von Wissenschaftlern aus Pharmazie, Chemie, Biologie, Medizin und aus der pharmazeutischen Industrie. Die 61. Jahrestagung findet nach New York (USA) im vergangenen und Antalya (Türkei) im vorletzten Jahr nun in Münster statt. Gastgeber und Organisatoren sind die Professoren Hensel und Schmidt am Institut für Pharmazeutische Biologie und Phytochemie der WWU. Im Rahmen der Tagung präsentieren Wissenschaftler vom 1. bis 5. September aktuelle Daten zur wissenschaftlich belegten Phytotherapie. Dabei geht es neben pharmakologischen und klinischen Belegen zur Wirkung und Wirksamkeit auch um Optimierungsstrategien zur Gewinnung moderner standardisierter Extrakte, um innovative analytische Untersuchungsmethoden und um Identifizierung der für die Wirkung von komplexen Vielstoffgemischen verantwortlichen Naturstoffe.

Naturstoff-Forschung an der WWU

An der Universität Münster und besonders am Institut für Pharmazeutische Biologie und Phytochemie hat Naturstoff-Forschung eine lange Tradition und spielt eine wichtige Rolle. An der WWU wurde vor zwei Jahren auch das Forschungsnetzwerk "Naturstoffe gegen vernachlässigte Erkrankungen" gegründet. Das internationale Netzwerk soll dazu beitragen, vor allem universitäre Arbeitsgruppen weltweit zu vernetzen, damit Erkenntnisse aus der Naturstoff-Forschung effizienter genutzt werden können.

 

 

Jahrestagung der Gesellschaft für Arzneipflanzen- und Naturstoffforschung