Pressemitteilung upm

Der „Anti-Soziologe“

Ein Workshop an der Universität Münster würdigt das Werk Helmut Schelskys/ Seinen Nachlass bewahrt die Unibibliothek

Münster (upm), 09. Oktober 2012

Prof. Dr. Christoph Weischer vom Institut für Soziologie (l.) und Reinhard Feldmann von der ULB Münster präsentieren Dokumente aus dem reichhaltigen Nachlass des streitbaren Soziologen Helmut Schelsky, der am 14. Oktober 100 Jahre alt geworden wäre.
Prof. Dr. Christoph Weischer vom Institut für Soziologie (l.) und Reinhard Feldmann von der ULB Münster präsentieren Dokumente aus dem reichhaltigen Nachlass des streitbaren Soziologen Helmut Schelsky, der am 14. Oktober 100 Jahre alt geworden wäre. Foto: ULB Münster

An der Sozialforschungsstelle der Universität Münster in Dortmund habilitierte er mehr Soziologen als alle anderen Fachvertreter zusammen: Helmut Schelsky gehört zu den wichtigsten Vertretern der westdeutschen Nachkriegs-Soziologie.

Aus Anlass seines 100. Geburtstags am Sonntag, 14. Oktober, findet am 11. und 12. Oktober an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (WWU) ein Workshop über das Werk von Helmut Schelsky statt. In einer öffentlichen Abendveranstaltung am kommenden Donnerstag um 19.30 Uhr spricht Prof. Dr. Thomas Raiser von der Juristischen Fakultät der Humboldt-Universität Berlin in der Galerie der Universitäts- und Landesbibliothek Münster (ULB) über das "Recht im sozialwissenschaftlichen Denken Helmut Schelskys". Noch sind Anmeldungen für den Workshop möglich, der Eintritt zur Abendveranstaltung ist frei.

Bekannt wurde der am 14. Oktober 1912 in Chemnitz geborene Schelsky nicht nur durch seine familien- und rechtssoziologischen Schriften, sondern auch als politischer Publizist und Wissenschaftspolitiker. Der "Anti-Soziologe", wie er sich selbst in einer autobiografischen Aufsatzsammlung nannte, war ein streitbarer Geist, der sich gegen die "linke" "Frankfurter Schule" abgrenzte und konservative Werte vertrat. Er wetterte in seinen zahlreichen Essays gegen die "Priesterherrschaft der Intellektuellen", die sozialliberale Koalition und die Hinwendung vieler Soziologen zu der von ihm bekämpften Kritischen Soziologie. Er beschwor in den 1960er Jahren die Idee der Humboldt'schen Universität gegen die Massenhochschulen, woraufhin er mit der Gründung der Universität Bielefeld betraut wurde.

Vorher studierte er Philosophie, Germanistik, Geschichte und Kunstgeschichte an der Universität Königsberg und ab 1931 Philosophie an der Universität Leipzig bei Hans Freyer und Arnold Gehlen. 1932 trat Schelsky in die SA und 1937 in NSDAP ein. Nach dem Zweiten Weltkrieg, an dem er als Soldat teilnahm, baute er den "Suchdienst des Deutschen Roten Kreuzes" auf. 1949 wurde er als Professor nach Hamburg berufen, 1960 nach Münster. Als seine nationalsozialistische Vergangenheit bekannt wurde, trat er von allen Ämtern zurück. 1970 wurde er an die Universität Bielefeld berufen, überwarf sich aber mit den Kollegen und kehrte 1973 an die Universität Münster zurück. Er starb am 24. Februar 1984 in Münster. Für seinen liberalen Kollegen Ralf Dahrendorf war er ein Vertreter der Gegenaufklärung: "[...] über diese Themen könnte man immerhin reden, auch wenn man anderer Meinung ist. Es ist vielmehr die Verve, mit der er die Modernität denunziert – in ihrer geistigen Form als Aufklärung und in ihrer rechtlichen Form als Staatsbürgertum."

Helmut Schelskys Nachlass liegt seit drei Jahren in der ULB Münster; dort ist er der mit rund 18.300 Dokumenten in 271 Archivkapseln der größte seiner Art. Zu finden sind hier beispielsweise zahlreiche Briefwechsel mit bedeutenden Politologen und Soziologen, Manuskripte und Entwürfe zur Hochschulpolitik, zur Rechtssoziologie, zu seiner Habilitationsschrift "Grundzüge der politischen Anthropologie Thomas Hobbes", Seminararbeiten seiner Studierenden sowie zahlreiche Presse- und Zeitungsartikel. "Durch das umfangreiche Material lässt sich die Genese vieler Gedanken und die Herausbildung von Denkmuster nachvollziehen", erklärt Reinhard Feldmann, Leiter des Dezernats Historische Bestände der ULB. Der Nachlass bietet mannigfaches Material für die wissenschaftshistorische Forschung, wenngleich eine Feinerschließung im Moment noch aussteht. Die Bedeutung der Objekte spiegelt sich durchaus auch in Zahlen wider: Allein in den ersten drei Monaten des Jahres wurden etwa 4.700 Dokumente aus dem Schelsky-Nachlass zu Forschungszwecken im Handschriftensaal der ULB eingesehen. Für die schnelle und bequeme Nutzung steht eine Findliste, natürlich in digitaler Form, zur Verfügung.

Nachlass von Helmut Schelsky