Pressemitteilung upm

Sprache schafft Identität

Pro Jahr sind rund 50 Sprachen weltweit vom Aussterben bedroht

Münster (upm), 25. September 2008

himmelmann
Prof. Dr. Nikolaus Himmelmann Foto: Peter Sauer

Egal ob in Indien, Australien oder den USA - Englisch gilt mittlerweile als universelle Sprache, die überall verstanden wird. Doch weit gefehlt: "Wenn sich Bewohner Tasmaniens und im Norden Englands in ihren Varianten des Englischen unterhalten wollten, würden sie einander wahrscheinlich nicht verstehen", erklärt Prof. Dr. Nikolaus Himmelmann vom Institut für Allgemeine Sprachwissenschaft der Universität Münster und Vorsitzender der Gesellschaft für bedrohte Sprachen e. V. (GBS).  

Das Beispiel Englisch zeigt: Durch geografische oder politische Barrieren entstehen neue Varietäten alter Sprachen. Unterscheiden sie sich sehr stark, können über Jahrzehnte hinweg neue Sprachen entstehen. Gleichzeitig droht etwa 50 Sprachen im Jahr weltweit das Aussterben. Auch in Europa könnten manche Sprachen bald ganz verschwinden. Mit dem Europäischen Tag der Sprachen am 26. September will die Europäische Union jedes Jahr auf das hiesige Spracherbe aufmerksam machen und die Mehrsprachigkeit fördern.  

"Europa ist verhältnismäßig sprachenarm", weiß Prof. Himmelmann. Etwa 200 Sprachen zählt das geografische Europa. Rund 6500 Sprachen werden weltweit gesprochen. 80 Prozent davon verwenden kleine Sprachgruppen, die weniger als 100.000 Menschen zählten. Einen Grund für die im Vergleich zu anderen Kontinenten geringe Sprachenvielfalt in Europa sieht Prof. Himmelmann in der Entstehung von europäischen Nationalstaaten im 18. und 19. Jahrhundert: "Ein wichtiger Bestandteil der Nationalstaatsidee war die Schaffung einer einheitlichen Nationalsprache." Als Beispiele nennt er etwa die auf französischem Territorium gesprochenen Sprachen Okzitanisch und Bretonisch. "Sie wurden wortwörtlich an den Rand gedrängt."  

Wenn Sprachen verschwinden, dann immer auf ähnliche Weise: Die erste Generation beherrscht noch zwei Sprachen fließend, etwa Deutsch und Niederdeutsch. Durch politische oder wirtschaftliche Umstände wird eine der beiden Sprachen zur Hauptsprache. Eltern geben nur noch sie an ihre Kinder weiter. Die verstehen dann noch Niederdeutsch, können es aber selbst nicht mehr sprechen. Der dritten Generation ist Niederdeutsch dann fremd. Als tot gilt eine Sprache, wenn alle Sprecher ausgestorben sind.  

Die EU hat erkannt, dass Minderheitensprachen besonders schützenswert sind. Mit der europäischen Charta der Regional- und Minderheitensprachen sollen vom Aussterben bedrohte Sprachen gefördert werden. Ähnliches hat sich auch die GBS (www.uni-koeln.de/gbs) auf die Fahnen geschrieben, der Prof. Himmelmann vorsitzt. Sie will auf aussterbende Sprachen aufmerksam machen und Initiativen unterstützen, die sie erhalten wollen. Außerdem setzt sie sich für eine Dokumentation ein, wo und wie Sprachen genau gesprochen wurden. "Denn Sprache ist mehr als nur Kommunikation", sagt Prof. Himmelmann mit Nachdruck. "Sie schafft Identität!"  

Institut für Allgemeine Sprachwissenschaft