WWU Münster

Westfälische Wilhelms-Universität
Münster



Jahresbericht des Rektors 1996

Fachbereich 7
Geschichte / Philosophie



Der mit Wirkung vom 1. Oktober 1995 neu gebildete Fachbereich umfaßt eine Reihe unterschiedlicher Fächer, deren gemeinsamer Gegenstand in Forschung und Lehre Formen und Zeugnisse menschlichen Lebens und Denkens, sozialer Gruppen und Gesellschaften von den einfachsten Daseinsformen bis zu den Hochkulturen sind. Die Zusammenführung dieser Fächer darf schon jetzt als Erfolg bezeichnet werden. Sie hat die Kontakte unter den Fachvertretern intensiviert, die Information über die Situation in Forschung und Lehre verbessert und das wechselseitige Verständnis für die Probleme der einzelnen Fächer in der gegenwärtigen hochschulpolitischen Situation erhöht.

Die Gremien des Fachbereiches haben im Jahr 1996 eine Fachbereichsordnung und eine Habilitationsordnung verabschiedet. Sie haben die Vorstellungen der Fächer in die mittlerweile abgeschlossenen Beratungen über eine eckdatenkonforme Novellierung der Magisterprüfungsordnung der Philosophischen Fakultät eingebracht. Mit der Neufassung der Studienordnungen wurde begonnen.

Mit der seit zwei Jahren gegebenen stärkeren finanziellen Autonomie von Hochschulen und Fachbereichen hat der Fachbereich nach Anlaufschwierigkeiten sehr gute Erfahrungen gemacht. Mit Hilfe der zufließenden Gelder (die Hälfte der finanzautonom geschöpften Mittel) konnte die Fachbereichsberufungsreserve auf etwa das Doppelte erhöht werden. Es war außerdem möglich, bei personalen Überbrückungsmaßnahmen, Veranstaltung von Tagungen, Anschaffung von Geräten usw. zu helfen. Diese Zuweisungen kamen fast ausschließlich den sogenannten kleinen Fächern" zugute.

Die weiter zunehmenden Kürzungen bei Personal-, Sach- und Baumitteln haben in vielen Einrichtungen des Fachbereichs die seit langem bestehenden Engpässe weiter verschärft. Die Bibliotheksbestände können nur noch unter Einschränkungen auf dem neuesten Stand der Forschung gehalten werden, und die Öffnungszeiten der Bibliotheken müssen beschnitten werden. Die Raumausstattung ist nach wie vor, vor allem in den Fächern Alte Geschichte, Archäologie, Volkskunde/Europäische Ethnologie und Kunstgeschichte, unzureichend. Eine sachgemäße Konservierung, Verwaltung und Ausstellung der Bestände des Archäologischen Museums ist nicht mehr gewährleistet. Katastrophale Wassereinbrüche haben in den Sammlungen schwere Schäden angerichtet. Auch Bibliotheksbestände im Fürstenberghaus sind dadurch bedroht.

Eine dramatische Verschlechterung der Personalsituation hat sich 1995 für das Institut für Altertumskunde durch die Streichung von zwei C 3-Professuren ergeben. Außerdem wird es hier immer schwieriger, geeignete Lehrkräfte für die Abhaltung der Sprachkurse zu finden. Noch ernster ist die Situation im Institut für Didaktik der Geschichte, dem in diesem und im nächsten Jahr vier von sechs Hochschullehrerstellen verlorengehen.

Die Nachwuchsförderung im Fachbereich erfolgt insbesondere durch Promotionen und Habilitationen, durch Beteiligung junger Wissenschaftler an Forschungsprogrammen und durch Einrichtung von Graduiertenkollegs. Insgesamt wurden im Berichtsjahr in den Fächern des Fachbereichs 44 Studierende promoviert. In den Fächern Philosophie und klassische Philologie wurde jeweils eine Habilitation, im Fach Geschichte wurden drei Habilitationen erfolgreich abgeschlossen.

Den Traditionen der Philosophischen Fakultät gemäß ist die Forschung im Fachbereich in starkem Maß durch Individualforschung geprägt, die im Forschungsbericht der Universität dokumentiert ist. Darüber hinaus ist über folgende Projekte und internationale Kontakte zu berichten:

Vom Seminar für Ur- und Frühgeschichte wurde das von der DFG geförderte Editionsprojekt Prähistorische Bronzefunde" fortgesetzt, von dem mittlerweile 125 Bände erschienen sind. In dem von der VW-Stiftung geförderten Schwerpunkt Archäometallurgie" wurde das Projekt Eisengewinnung im märkischen Sauerland" weitergeführt. Internationale Kontakte bestehen vor allem zu den Universitäten Arhus, Kopenhagen und Lund.

Im Institut für Altertumskunde konnte das von der DFG geförderte Projekt Platonismus in der Antike" weitergeführt werden. Internationale Kontakte mit Studentenaustausch bestehen zu angelsächsischen, französischen, italienischen und spanischen Universitäten. Wissenschaftliche Kooperation wird mit den Universitäten Barcelona, Bologna, Siena, Groningen, Thessalonike und Jerusalem gepflegt.

Vom Archäologischen Seminar wurden die von der DFG geförderten Untersuchungen zu Antiken Mosaiken und Pavimenten" ebenso fortgeführt wie die Grabungen in S. Stefano Rotondo in Rom und das Forschungsprojekt Die Griechen und ihre Nachbarn". Angehörige des Seminars nahmen Beziehungen zur Universität Tiflis auf.

Die Forschungsschwerpunkte des Musikwissenschaftlichen Seminars liegen weiterhin im Bereich der deutschen, italienischen und französischen Musik der frühen Neuzeit, insbesondere der Oper. Über seinen Direktor ist das Seminar an den großen Publikationen der Werke Händels, Glucks und Haydns beteiligt.

Im Institut für Kunstgeschichte wurde in Zusammenarbeit mit der Universität München das Forschungsprojekt zum osmanischen Sultanbildnis fortgesetzt und in Verbindung mit der Bibliotheca Hertziana Rom ein neues Projekt über Antikenrezeption in der Architektur der Frührenaissance begonnen. Ein internationales und interdisziplinäres Kolloquium galt den Sinopien im Westwerk von Corvey. Die wissenschaftlichen Kontakte zur Universität Leiden wurden intensiviert.

Das Seminar für Byzantinistik ist am interdisziplinären Arbeitskreis zur Erforschung der Religions- und Kulturgeschichte des antiken Vorderen Orients" beteiligt. Es konnte auch in diesem Jahr wieder Gastwissenschaftler aus Sofia und Moskau aufnehmen.

Im Seminar für Volkskunde/Europäische Ethnologie wurde die Entwicklung des Studienschwerpunktes Visuelle Anthropologie" weitergeführt und konsequent in der Forschung und der Lehre eingesetzt. Die VW-Stiftung übernahm die Finanzierung eines Projekts zur Geschichte des Judentums im Fürstentum Minden.

Am Institut für Ethnologie bilden Afrika und Südostasien die regionalen Forschungsschwerpunkte. In der Südostasienforschung wird ein interdisziplinäres Forschungsprojekt "Staat und Gesellschaft in Südostasien" entwickelt; in dessen Rahmen hat in Münster eine mehrtägige Tagung "Asian Minority Cultures in Transition: Diversity, Identities and Encounters" im Dezember 1996 stattgefunden. Internationale Forschungskooperationen bestehen mit: Centre of Non-Western Studies, Rijksuniversität Leiden/Niederlande, International Institute for Asian Studies, Leiden/ Niederlande; ERASME CNRS/Ecole des Hautes Etudes en Sciences Sociales, Paris/Frankreich; Université de Ouagadougou/Burkina Faso; Centre of Cultural Studies, Vientiane/Laos; Universitas Pattimura, Ambon/Indonesien.

Bei den historischen Disziplinen konnten im Bereich der Alten Geschichte auch 1996 mehrere umfangreiche Drittmittelprojekte eingeworben werden. Besonders hervorzuheben sind die nun schon seit vielen Jahren durch die dem Seminar für Alte Geschichte angeschlossenen Forschungsstellen "Historische Landeskunde des Antiken Griechenland" und "Asia Minor" in Griechenland bzw. der Türkei durchgeführten historisch-archäologischen Landeserkundungen. In einem interdisziplinären, vom Bundesforschungsministerium finanzierten Forschungsunternehmen wird gemeinsam mit dem Labor für Biophysik der Medizinischen Fakultät der WWU der Einsatz neuer Technologien in den althistorischen Hilfswissenschaften erprobt. Darüber hinaus werden mehrere große Forschungsprojekte im internationalen Verbund mit den Universitäten in Kopenhagen, Perugia, Venedig, Barcelona, La Coruna und Nikosia sowie dem Deutschen Archäologischen Institut und der Forschungsstelle "Inscriptiones Graecae" der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften durchgeführt. In Zusammenarbeit mit dem in Gründung befindlichen "Institut für interdisziplinäre Zypernstudien" wurde die Kooperation mit den altertumswissenschaftlichen Disziplinen der Universität Nikosia intensiviert.

Im Jahre 1996 verbrachten Gastwissenschaftler aus Polen, Spanien und der Türkei längere Forschungsaufenthalte am Seminar für Alte Geschichte.

Der Studierendenaustausch im Rahmen des ERASMUS-Programms wurde fortgesetzt und soll auch auf der Basis des SOCRATES-Programms weitergeführt werden. Bei der Überarbeitung der Studienordnungen werden die Anforderungen des European Credit Transfer Systems berücksichtigt werden.

Im Bereich der Mittelalterforschung wurde nach Begutachtung durch die DFG der Sonderforschungsbereich 231 Pragmatische Schriftlichkeit im Mittelalter" verlängert. In die Tätigkeit dieses Sonderforschungsbereiches ist das Seminar für Mittellateinische Philologie in starkem Maße eingebunden. Das sehr erfolgreiche Graduiertenkolleg Schriftkultur und Gesellschaft im Mittelalter" setzt seine Tätigkeit fort.

Im Seminar für Mittellateinische Philologie wurde im Rahmen des Sonderforschungsbereichs 231 das Forschungsprojekt Der Wandel der Enzyklopädie im Mittelalter" fortgeführt. Zu diesem Thema wurde ein dreitägiges internationales Kolloquium durchgeführt. Im Seminar fand außerdem eine Tagung der deutschsprachigen Mittellateiner statt. Neubewilligt wurden PROCOPE-Mittel zur Förderung von Studien über Vinzenz von Beauvais.

Für die Neuere Geschichte bildete der internationale Kongreß 350 Jahre Westfälischer Friede" den wissenschaftlichen Schwerpunkt. Die Arbeitsstelle Westfälischer Friede/Internationale Friedensforschung" hat den Kongreß vorbereitet und durchgeführt. Ein neues Forschungsprojekt über den Umgang der Justiz in Nordrhein-Westfalen mit NS-Verbrechen wird im Auftrag des Justizministeriums des Landes durchgeführt. Auch vom Historischen Seminar wurde das ERASMUS-Programm fortgesetzt.

Das Institut für Didaktik der Geschichte veranstaltete drei öffentliche Kolloquien.

Für die ständigen Bemühungen des Fachbereichs, trotz personeller Engpässe und Streichung von Tutorenmitteln die Qualität der Lehre zu verbessern, zeugen in diesem Jahr vor allem Initiativen des Seminars für Ur- und Frühgeschichte und des Seminars für Alte Geschichte. Hier werden speziell für Studienanfänger konzipierte Grundkursmodelle erprobt und eine Neuplanung des Grundstudiums mit dem Ziel erarbeitet, den Studienverlauf stärker zu strukturieren und die einzelnen Studienelemente enger aufeinander abzustimmen. Ferner wird mit Mitteln des NRW-Wissenschaftsministeriums an der Entwicklung eines multimedialen Lehr-Lern-Programmes "Einführung in die althistorischen Hilfswissenschaften und Arbeitstechniken" gearbeitet.

Der Direktor der Abteilung für Westfälische Landesgeschichte übt auf Grund seiner Funktion in den Vorständen des Instituts für vergleichende Städtegeschichte und der Historischen Kommission für Westfalen wichtige Aufgaben bei der Koordinierung von Forschungen zur regionalen und überregionalen Landesgeschichte aus. Die Kontakte zum Westfälischen Institut für Regionalgeschichte wurden ausgebaut.

In gutem Einvernehmen mit dem Zentrum für Niederlande-Studien konnten die Beziehungen zu unseren niederländischen Nachbaruniversitäten weiter intensiviert werden.


[Startseite] [Inhaltsverzeichnis] [nächster Beitrag] [vorheriger Beitrag]

Hans-Joachim Peter
EMail: VDV12@uni-muenster.de
Informationskennung: JB9610
Datum: 1997-02-01