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Münster (upm/ch)
Die kryogene Destillationssäule musste erst abgebaut werden, bevor es auf Fahrt nach Italien ging.<address>© WWU/Sergej Schneider</address>
Die kryogene Destillationssäule musste erst abgebaut werden, bevor es auf Fahrt nach Italien ging.
© WWU/Sergej Schneider

"Wie eine Schnapsdestille unter Tage"

Münstersche Kernphysiker bauen einzigartige Apparatur für die Suche nach dunkler Materie

Kiste um Kiste hatten die Doktoranden und Mitarbeiter des Instituts für Kernphysik gepackt und zum Abholen für die Spedition bereitgestellt. Ende November ging die Fracht mit kostbarem Inhalt dann per LKW auf die Reise von Münster in Richtung Süden, zum italienischen Gran-Sasso-Labor ("Laboratori Nazionali del Gran Sasso"). Diese Forschungsstätte in den Abruzzen unweit von Rom ist das weltweit größte Untergrundlabor zur Untersuchung von Elementarteilchen. Dort – 1500 Meter unter dem Fels des Gran-Sasso-Massivs – setzte das münstersche Team aus den einzeln verpackten Bauteilen eine Apparatur zusammen, die ihresgleichen auf der Welt vergeblich sucht: eine sogenannte kryogene Destillationssäule, mit der sich ultra-reines Xenon herstellen lässt.

Wenn Prof. Christian Weinheimer davon erzählt, leuchten seine Augen. "Wir sind sehr stolz darauf. Denn damit haben wir in Münster einen Meilenstein geschaffen, der für den Erfolg des 'XENON1T'-Experiments ausschlaggebend ist", betont er. Bei diesem Experiment geht es um die Suche nach Dunkler Materie: Ein internationales Forscherteam will die Existenz von sogenannten WIMPs (Weakly Interacting Massive Particles) beweisen. Diese hypothetisch vorhergesagten Teilchen sind heiße Kandidaten für diejenigen Partikel, aus denen Dunkle Materie bestehen könnte.

Die Dunkle Materie ist eines der großen Geheimnisse der Kosmologie. Bislang ist nur ein Sechstel der Materie des Universums bekannt. Von den anderen fünf Sechsteln wissen Forscher nur indirekt aufgrund ihrer Gravitationswirkung im Universum, daher der Name "Dunkle Materie". Verschiedene Arten von Teilchen, aus denen diese Materie bestehen könnte, sind in der Diskussion. "Es gibt drei Kandidaten. Sind es die WIMPs, werden wir sie mit 'Xenon1T' finden", ist Christian Weinheimer überzeugt. "Xenon1T" ist die dritte und mit Abstand sensitivste Phase in einer Reihe von Experimenten des internationalen "XENON Dark Matter Projects" in dem Labor unter dem Gran-Sasso-Massiv.

Um die WIMPs aufzuspüren, benötigen die Wissenschaftler 3500 Kilogramm flüssiges Xenon. Sie hoffen, einige der seltenen theoretisch vorhergesagten Kollisionen von WIMPs und Xenon-Atomkernen messen zu können und anhand der Signale, die dabei entstehen, die Existenz der Teilchen zu beweisen. Damit die Experimente nicht durch kosmische Strahlung gestört werden, finden sie tief im Fels statt. Die münstersche Destillationssäule soll Spuren von Krypton entfernen und dadurch extrem reines Xenon produzieren. Das radioaktive Krypton-Isotop Kr-85, das durch Atombombentests in den 1950-er und 60-er Jahren und durch atomare Wiederaufbereitung in sehr geringen Mengen in die Atmosphäre gelangte, ist ebenso wie die kosmische Strahlung ein Störfaktor für die Messungen.

Die Münsteraner verwenden als Ausgangsstoff im Handel erhältliches, bereits sehr reines Xenon-Gas, das aus der Luft gewonnen wird. Sie reinigen es, bis es 100 Millionen mal sauberer ist und selbst die besten Detektoren der Welt vom Max-Planck-Institut für Kernphysik in Heidelberg keine Krypton-Atome mehr nachweisen können. Ein Kilogramm flüssiges Xenon enthält dann nicht mehr als zwei Atome des Isotops Kr-85. "Wir verwenden Standardmethoden. Aber wir haben die Technik und einige besondere Eigenschaften wie die Dichtigkeit und die Reinheit der inneren Oberflächen der Apparatur auf die Spitze des Möglichen getrieben", sagt Christian Weinheimer. Seine Arbeitsgruppe hat die fünf Meter hohe Destillationssäule gemeinsam mit der Elektronikwerkstatt und der Feinmechanischen Werkstatt des Instituts für Kernphysik selbst gebaut. "Außenstehende können sich nicht vorstellen, wie viele Stunden an Arbeit und Messungen mein Team in den letzten fünf Jahren da reingesteckt hat." Ein Meilenstein war in Münster der Ab- und in Italien der Wiederaufbau der Säule, die zunächst in einer "abgespeckten" Variante in Betrieb genommen wird. Zum Frühjahr 2015, pünktlich zum Start der Experimente, wird die fünf Meter hohe Vollversion ihren Dienst aufnehmen.

Das Funktionsprinzip der kryogenen Destillationssäule macht Christian Weinheimer an einem einfachen Beispiel deutlich. "Man kann es mit einer Schnapsdestille vergleichen. Bei der Destillation wird das Wasser-Alkohol-Gemisch erhitzt, der Dampf aufgefangen und wieder verflüssigt. Durch die unterschiedlichen Siede-Temperaturen von Wasser und Alkohol kann man beides trennen. Der Trennschritt wird bei uns sehr oft wiederholt, um eine bessere Trennung zu erreichen."

Leicht war die Arbeit der letzten Jahre für die Wissenschaftler, die für das Projekt mit einem Experten für kryogene Destillation vom Karlsruher Institut für Technologie und mit Experten für Spurenanalyse vom Max-Planck-Institut für Kernphysik in Heidelberg kooperieren, nicht. So war im Vorfeld nicht klar, ob die Abtrennung der wenigen Krypton-Atome durch kryogene Destillation bei so extrem geringen Konzentrationen überhaupt funktioniert. Den münsterschen Forschern ist es auch gelungen, neue und sehr empfindliche Online-Methoden zur Krypton-Detektion zu entwickeln, um den Destillationsprozess in Echtzeit zu verfolgen und zu optimieren – ebenfalls ein Grund, stolz zu sein. Aber der Erfolg ist laut Christian Weinheimer auch nötig: "Am 'Xenon1T'-Experiment sind über 100 Wissenschaftler beteiligt. Da muss jede Gruppe an einer Stelle so richtig gut sein."

Die münsterschen Forscher wollen nun gemeinsam mit den Heidelberger Kollegen ausprobieren, ob die kryogene Destillation auch geeignet ist, um ein zweites radioaktives Isotop aus dem Xenon zu entfernen, welches die Suche nach der Dunklen Materie stört: das Radon-Istotop Rn-222. Ihre Arbeit wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft, dem Land Nordrhein-Westfalen, dem Bundesministerium für Bildung und Forschung sowie von der Helmholtz-Allianz für Astroteilchenphysik unterstützt.

 

Textquelle:

wissen|leben - Die Zeitung der WWU Münster (Nr. 8, 10. Dezember)

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