Relikte aus der "Höllenzeit"
Ein Team von Wissenschaftlern der Universität Münster hat im
Osten Indiens Gesteine aus einem uralten Material entdeckt, das aus der Zeit
der Erdentstehung stammt. Es wurde vor rund viereinhalb bis vier Milliarden
Jahren gebildet - in der „Höllenzeit" der Erde, dem Hadaikum. Weltweit ist es
erst der zweite Fund dieser Art. Er zeigt, dass bestimmte Bereiche im oberen
Erdmantel über Jahrmilliarden unangetastet bleiben und somit Informationen aus
der frühesten Zeit der Erde speichern können. Ihre Ergebnisse haben die
Forscher in der aktuellen Ausgabe der angesehenen Fachzeitschrift Nature
veröffentlicht.
In der Anfangszeit ihrer Geschichte - der „Höllenzeit" - war
die Erde von einem Ozean aus geschmolzenem Gestein umgeben, das sich langsam
verfestigte. Mit ihrem Fund haben die Wissenschaftler vom Institut für
Mineralogie der WWU - Dr. Dewashish Upadhyay, Prof. Dr. Erik Scherer und Prof.
Dr. Klaus Mezger - gezeigt, dass Material aus dem Ur-Erdmantel noch heute im
Mantel der Erde auffindbar ist, obwohl dieser in ständiger Bewegung ist und im
Laufe der Zeit Gesteinsmaterial verschiedenen Alters vermischt wurde. Die
bislang einzige weitere Entdeckung dieser Art wurde vor etwa einem Jahr in
Kanada gemacht und sorgte damals für Schlagzeilen. „Jeder Fund, der Einblicke
in die Zeit der Erdentstehung gibt, ist Neuland", sagt Prof. Mezger. Daher ist
auch dieser zweite Fund so bedeutsam.
Die magmatischen Gesteine stammen aus dem indischen
Bundesstaat Orissa. Sie wurden aus Material gebildet, das vor mehr als vier
Milliarden Jahren entstanden ist. Vor etwa 1,5 Milliarden Jahren wurde es
aufgeschmolzen und bildete die neuen Gesteine im oberen Erdmantel in einer
Tiefe von mehr als 40 Kilometern. Durch geologische Bewegungen der Erdkruste
und Verwitterungsprozesse gelangten die Gesteine letztendlich an die
Erdoberfläche, wo sie von dem münsterschen Forscherteam gefunden wurden.
„Da unsere Erde ein geologisch sehr aktiver Planet ist,
werden die Gesteine dauernd neu umgearbeitet, zum Beispiel durch Verwitterung
oder Aufschmelzung", sagt Prof. Mezger. „Somit ist das Material der Gesteine,
die heute an der Erdoberfläche zu finden sind, sehr alt. Die Minerale, die
diese Gesteine aufbauen, sind allerdings viel jünger. Es ist so ähnlich wie
beim Backen: Das Mehl ist vor dem Kuchen da." Nach dem zweiten Fund von
Gesteinen aus einem uralten Material vermuten die Wissenschaftler nun, dass es
noch mehr von diesem Material aus der „Höllenzeit" an der Erdoberfläche gibt -
nur hat es bislang niemand entdeckt.
Dazu kommt, dass die Analyse der Gesteinsproben sehr
aufwändig ist. Den Beweis für das enorme Alter des Ausgangsmaterials für die
viel jüngeren magmatischen Gesteine haben die Wissenschaftler gefunden, indem
sie die Häufigkeit eines bestimmten Isotops des Elements Neodym untersucht
haben. Sie unterscheidet sich bei solch altem Gesteinsmaterial von dem
bekannten Durchschnittswert der Erde. Prof. Mezger sagt: „In der Zukunft wird
es sehr interessant sein, solche alten Bereiche im Erdmantel zu lokalisieren
und dort Proben zu nehmen. Damit könnten wir die Entwicklungsgeschichte der
Erde in ihren Jugendjahren besser verstehen."