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Münster (upm/ja)
Prof. Dr. Thomas Großbölting und Dr. Sabine Kittel<address>© WWU - Historisches Seminar</address>
Prof. Dr. Thomas Großbölting und Dr. Sabine Kittel
© WWU - Historisches Seminar

Studie zur Stasi-Spionage an West-Universitäten

Historiker der WWU untersuchen, wie Inoffizielle Mitarbeiter die "Zentren des Feindes" bespitzelten / Projekt an vier Universitäten

Für die Stasi war die Westfälische Wilhelms-Universität Münster (WWU) eine sogenannte Kaderschmiede des Kapitalismus. IM "Park", der an der WWU arbeitete, galt als wertvoller "Inoffizieller Mitarbeiter" ("IM") des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR (MfS) und war einer von Dutzenden, die an bundesdeutschen Hochschulen für den Geheimdienst der DDR tätig waren. Welche Ziele die Stasi mit der Bespitzelung der sogenannten Zentren des Feindes verfolgte und welche Informationen durch die geschätzten 170 "West-IM" von westdeutschen Hochschulen in die DDR flossen, wollen Historiker im Projekt "Spionage an der Universität. Wirken und Einfluss des Ministeriums für Staatssicherheit an westdeutschen Hochschulen (1971 – 1989)" ergründen. "Auf dem kleinen Feld der Forschungen zur Stasi-Westarbeit sind die Universitäten bisher noch gar nicht im Fokus gewesen", sagt Projektleiter Prof. Dr. Thomas Großbölting.

Das Projekt ist federführend am Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte/Zeitgeschichte von Thomas Großbölting angesiedelt und wird von ihm und Dr. Sabine Kittel mit finanzieller Unterstützung der Volkswagenstiftung durchgeführt. Es läuft von 2015 bis 2018. Im Visier der Untersuchung stehen vier Hochschulen: die WWU sowie die Universitäten Bremen, Kassel und Kiel. Die Historiker wollen auch herausfinden, welche Möglichkeiten die Stasi zur aktiven Beeinflussung von Universitäten jenseits der Mauer hatte und was die West-IM eigentlich antrieb.

Universitäten im Bundesgebiet waren aus unterschiedlichen Gründen für die Auslandsspionage des MfS bedeutsam. Die WWU stand besonders wegen der Ausbildung zukünftiger Leistungsträger und wegen Rekrutierungsmöglichkeiten weiterer potenzieller IM im Blick. An der Universität Kiel interessierte man sich besonders für die wirtschafts- und politikberatenden Fragen, wie sie am Institut für Weltwirtschaft und dem Institut für Sicherheitspolitik diskutiert wurden. Die Universitäten Bremen und Kassel wiederum zeichneten sich durch ihre Nähe zu Rüstungsbetrieben und mögliche Ziele für Militärspionage aus. Grundsätzlich bildete allein schon eine hoch politisierte Studierendenschaft eine hinreichende Voraussetzungen für die Rekrutierung von Spitzeln sowie einen regen Informationsaustausch.

Die Untersuchung betrachtet eine Vielzahl von Einzelfällen. Darüber hinaus hat das Forschungsprojekt auch einen generellen Anspruch, wenn es um die Einschätzung von Kontakten sowie die Wirkung und Effizienz der "Westarbeit" des MfS an bundesdeutschen Universitäten geht. Anliegen der beiden Wissenschaftler an der WWU ist es, Aktivitäten der Staatssicherheit vor dem Hintergrund der jeweiligen Entwicklung der beteiligten Universitäten zu analysieren und auf diese Weise einen weiteren Beitrag zur Rekonstruktion des Verhältnisses beider deutscher Staaten zu leisten.

IM "Park", über den sich jede Menge Akten in den Stasi-Archiven fanden, war als Bibliothekar an der WWU tätig und wurde 1974 vom MfS angeworben. Seit 1975 reiste er regelmäßig in die DDR und berichtete über Professoren und Studierende wie auch über einzelne Institute. Er informierte die Stasi über den Ring Christlich-Demokratischer Studenten (RCDS) und die Evangelische Studentengemeinde (ESG) in Münster, auch wenn er keinerlei "Bereitschaft zur Werbertätigkeit" zeigte, wie man bei der Stasi kritisch kommentierte. "Park" besorgte Vorlesungsverzeichnisse der Universität, sammelte Studentenzeitungen und schrieb akribisch Namen aus Unterschriftenlisten und Protestbriefen ab. Da er das unbegrenzte Interesse der Staatssicherheit auch über seine Pensionierung hinaus regelmäßig bediente, erhielt IM "Park" eine Vielzahl an Auszeichnungen. Nutzen und Auswirkungen dieser Zuarbeit werden in den nächsten drei Jahren wissenschaftlich durchleuchtet.
 

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