Arbeitsbereich Dr. Alfred Sproede
Studien zur Kultur und Geschichte des russischen Imperiums (Osteuropäische Komparatistik, II)
In der jüngsten Osteuropaforschung werden Spezifika der politischen und kulturellen Entwicklung Russlands im 19. Jahrhundert zunehmend durch die
Multinationalität des Reiches und die Diversität seiner Eliten erklärt. In diesem Forschungsbereich soll diese neue Perspektive für die bislang
nahezu ausschließlich national gedeutete russische Literatur fruchtbar werden. Im Rahmen eines Habilitationsprojekts und von Einzelveröffentlichungen
werden die Aneignungs- und Rechtfertigungsstrategien untersucht, deren sich russisch schreibende Autoren bei der Schilderung inkorporierter, ethnisch nicht-russischer
Territorien und ihrer Bevölkerungen bedienen. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der Untersuchung der Repräsentation der westlichen Reichsperipherie, eines
Gebietes in dem heute die Baltischen Staaten, Polen, Weißrussland und die Ukraine liegen. "Zivilisationsmythen" und traditionelle Formen, über
unterworfene Völker zu schreiben waren auf "Russlands Westen" nicht ohne weiteres anwendbar. Diese Territorien ähnelten dem idealisierten
Kernrussland zu sehr, zudem waren sie "fortschrittlicher", moderner - buchstäblich westlicher - als Grußrussland und versinnbildlichten für
gewisse Kreise eher ein Reformziel als einen zu marginalisierenden Teil des Russischen Reiches. Russische Dichter und Literaten stellten sich dieser diskursiven
Herausforderung in verschiedener Weise. Zum einen strebten sie danach, in ihren Werken Russlands ethnische und kulturelle Diversität zu reduzieren, ihre
künstlerische Welt zu russifizieren, beispielsweise indem sie für Figuren und Handlungen einen großrussischen Hintergrund wählten. In diesen
Werken kommen nur selten Kulturen und Figuren aus dem Westen des Reiches vor, und wenn, dann sind sie häufig zum negativen Stereotyp verkürzt. Im
Rahmen des Habilitationsprojekts wird die wesentlich kleinere Gruppe von Texten untersucht, die den Westen des Reiches zu ihrem Hauptgegenstand haben. Es werden
die folgenden Fragen diskutiert: Welche Gattungen wurden gewählt, um über Polen, Juden, Ukrainer, Weißrussen und andere Bewohner dieser
Territorien zu schreiben? Warum werden verschiedene ethnische Gruppen kaum gemeinsam in einem Text geschildert? Wie signalisieren Autoren geographische und
kulturelle Differenzen und wie meistern sie die linguistische Aneignung ihrer "westrussischen" Landsleute? Ein
Teil der Untersuchungen, und zwar die Forschungen zur Repräsentation der westlichen Reichsgebiete in literarischen Texten mit historischer Thematik, wurde durch
ein Feodor-Lynen Stipendium der Alexander von Humboldt-Stiftung gefördert, mit dem Dr. Lecke ein Jahr lang an der University of California / Berkeley arbeiten
konnte.
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Beteiligte Wissenschaftler:
Veröffentlichungen:
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