Arbeitsbereich Prof. Dr. R. de Jong-Meyer
Aufmerksamkeits- und Gedächtnisprozesse bei Affektiven Störungen
Unspezifität des autobiographischen Gedächtnisses bei Depressiven
Seit
1998 wurden empirische Untersuchungen zum Phänomen der "Unspezifität des autobiographischen Gedächtnisses bei Depressiven"
durchgeführt. Es gelang zunächst eine Replikation der von der Arbeitsgruppe um Williams und anderen angelsächsischen Forschergruppen vorgelegten
Befunde (u.a. Williams, 1996) bei sorgfältig diagnostizierten ambulanten und stationär behandelten depressiven Patienten. Das heißt, sie nannten auf
emotionale Hinweisworte hin (z. B. traurig, glücklich) im Vergleich zu Kontrollpersonen häufiger autobiographische Erinnerungen, die nicht auf einen
bestimmten Tag und einen bestimmten Ort bezogen werden können. Weitere in der Arbeitsgruppe behandelte Fragestellungen betrafen die Abhängigkeit des
Phänomens von der affektiven Valenz des zu Erinnernden (positive versus negative autobiographische Situationen) und die Konsequenzen eines unspezifischeren
Abrufs von Erinnerungen (zusammengefasst bei de Jong-Meyer & Barnhofer, 2002). So hatten depressive Patienten mit vermindertem Zugriff auf spezifische
autobiographische Erinnerungen auch eher Schwierigkeiten, spezifische Zukunftsvorstellungen zu generieren, derzeit für sie bedeutsame Anliegen spezifisch zu
repräsentieren und/oder Problemlösungen in spezifischer Weise anzugehen. Wir konnten dann auch zeigen, dass bei Depressiven sequentielle Abfolgen
unspezifisch-kategorialer Erinnerungen häufiger sind als bei Nicht-Depressiven. Sie bleiben sozusagen an den unspezifischen Erinnerungen hängen, was dem
bei Grübeln/Rumination ablaufenden Gedankenkreisen ähnelt. Dies hatte Williams unter der Bezeichnung "Mnemonic Interlock" postuliert.
In einem von der DFG geförderten Projekt (2003 bis 2004) ging es auf der Grundlage dieser Arbeiten dann um die Frage, ob die Ausschüttung des
Glukokortikoids Cortisol ein neuroendokrinologisches Korrelat der Unspezifität der Gedächtnisantwort darstellt. Die Hypothese eines solchen
Zusammenhangs lag aufgrund von Voruntersuchungen nahe, bei denen durch Gabe von Hydrocortison oder Stressinduktion der Cortisolspiegel erhöht und
gleichzeitig Defizite bei deklarativen Gedächtnisaufgaben erzeugt worden waren. Außerdem wurde Hypercortisolismus bereits bei einem Teil depressiver
Patienten gezeigt, und es gibt auch vereinzelte Befunde zur Korreliertheit von Defiziten des deklarativen Gedächtnisses mit den Cortisolspiegeln bei depressiven
Patienten. 47 Personen mit der Diagnose einer akuten Major Depression bearbeiteten den Autobiographischen Gedächtnis-Test (Autobiographical Memory Task,
AMT), in welchem sie gebeten wurden, spezifische Erinnerungen zu positiven, negativen und neutralen Hinweiswörtern zu generieren. Saliva-Cortisolproben
wurden zu fünf Zeitpunkten entnommen. Entgegen der Erwartung waren die basalen Cortisolspiegel weder stark erhöht noch korrelierten sie signifikant mit
der autobiographischen Gedächtnisleistung. Deutlich negative Korrelationen ergaben sich allerdings bei der Gruppe der männlichen Probanden zwischen der
Spezifität der Gedächtnisantworten und der Veränderungen der Cortisolwerte über die Zeit der Testung. Je unspezifischer die autobiografischen
Erinnerungen, umso stärker nahmen die Cortisolwerte ab. Auf der Basis neuerer Befunde zur Überschätzung des Hypercortisolismus bei Depressiven
auf der einen Seite und der Angemessenheit einer umgekehrten U-Funktion zur Beschreibung der Beziehung zwischen Gedächtnisleistung und Cortisolsekretion auf
der anderen Seite ließen sich diese Ergebnisse recht gut in die ganz aktuelle Befundlage einordnen. Es bedarf allerdings weiterer Klärung, welche funktionale
Bedeutung die Cortisolveränderungen hatten. Wir gingen hier der Hypothese nach, dass Cortisolwerte bei den Patienten anstiegen bzw. weniger abnahmen, für
die das Erinnern emotional getönter Ereignisse aus ihrer Vergangenheit belastender war. Für die Untergruppe von Patienten mit einem Trauma in der
Vorgeschichte stellte sich tatsächlich heraus, dass die subjektive Schwere dieser Erfahrung signifikant mit der Reduktion der (normalerweise zu erwartenden)
Abnahme der Cortisolantwort über die Zeit korrelierte (Barnhofer et al., submitted).Mögliche Interaktionen mit Belastung/Stress bei der Aufklärung der
Beziehung zwischen Gedächtnisantworten und Cortisolresponse wie auch die aktuellen Hypothesen von Williams zur funktionalen Bedeutung von Unspezifität
("gating" bzw. "Abschalten" des mit einer Erinnerung einher gehenden negativen Affekts) führten zum Dissertationsthema von Eva-Maria
Kühn (Stipendium der Promotionsförderung der WWU Münster). Unter dem Titel "Rumination und die Bewältigung des Abrufs
autobiographischer Erinnerungen" wird untersucht, ob Rumination (analog zu Worrying) eine funktionale Bedeutung im Sinnes des Vermeidens einer emotionalen
Auseinandersetzung mit negativ selbstbezogenen Erfahrungen hat. Der unter analytischer Rumination geprüfte Zugriff auf autobiographische Erinnerungen
(Erweiterung der Antwortkodierungen um u.a. die Lebhaftigkeit der Vorstellung) wird dabei selbst als Stresssituation konzipiert, während derer zusätzlich zu
subjektiven Stressmaßen physiologische Indikatoren autonomer Reaktionen sowie Cortisolwerte erhoben werden.
Selbstaufmerksamkeit und selektive Aufmerksamkeitslenkung
Es gibt einige experimentelle Studien,
die zeigen konnten, dass akut depressive Personen ihre Aufmerksamkeit verstärkt negativen Stimuli zuwenden bzw. nicht in der Lage sind, ihre Aufmerksamkeit von
negativen Stimuli abzuziehen. Über Aufmerksamkeitsprozesse bei für Depression vulnerablen Personen ist dagegen nur wenig bekannt. Es gibt zwar Hinweise
dafür, dass vulnerable Personen bei negativer Stimmung oder beim Nachdenken über sich selbst leichter in depressive Denkmuster verfallen, und auch
Selbstberichte darüber, dass sie dazu tendieren, negative Informationen zu meiden, aber es gibt bisher kaum Untersuchungen, in denen versucht wurde, experimentell
entsprechende Vermeidungseffekte zu sichern. Mit auf dem Visual Dot Probe-Paradigma basierenden Experimenten überprüfte Höping (2004,
Dissertationsprojekt), ob remittiert Depressive negativ auf das Selbst bezogene Stimuli vermeiden und sie sich diesbezüglich von aktuell Depressiven und gesunden
Kontrollpersonen unterscheiden. Weiterhin wurde geprüft, ob sich diese angenommene Reaktionstendenz Vulnerabler durch Selbstaufmerksamkeitsinduktion und
mentale Belastung steigern lässt.
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Beteiligte Wissenschaftler:
Veröffentlichungen:
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