Westfälische Wilhelms-Universität Münster
Forschungsbericht 2001-2002
 
Sonderforschungsbereich 496
Symbolische Kommunikation und
gesellschaftliche Wertesysteme vom
Mittelalter bis zur französischen Revolution

Salzstr. 41
48143 Münster
Sprecher: Prof. Dr. Gerd Althoff
 
Tel. (0251) 83-2 79 14/3
Fax: (0251) 83-2 79 11
e-mail: sfb496.sekretariat@uni-muenster.de
www: http://www.uni-muenster.de/sfb496
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Forschungsschwerpunkte 2001 - 2002

Sonderforschungsbereiche
Sonderforschungsbereich 496 - Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Wertesysteme vom Mittelalter bis zur französischen Revolution
Teilprojekt C5/Prof. Dr. Hans-Ulrich Thamer


Macht und Ritual. Symbolische Herrschaft und
politische Kommunikation im Zeitalter der französischen Revolution

Die Lesbarkeit der Französischen Revolution als eines politisch-sozialen Transformationsprozesses, der den zäsurstiftenden Umbruch zur Moderne primär unter Gesichtspunkten des gesellschaftlichen sowie administrativen und institutionellen Wandels in den Blick genommen hat, ist seit einiger Zeit einer Perspektive gewichen, in der grundlegende Fragen der Revolutionsepoche von der Forschung aus kulturhistorischer Sicht neu thematisiert worden sind. In diesem Zusammenhang haben bislang weithin vernachlässigte Felder der älteren Revolutionshistoriographie, nämlich Fragen nach dem grundlegenden Verhältnis von traditionellen und modernen Formen der symbolischen Kommunikation, den politischen Ritualen und Zeremonien - ihrer Bedeutung und zeitgenössischen Umdeutung - das Interesse der einschlägigen Forschung auf sich gezogen. Die Ausprägungen “moderner“ revolutionärer Symbol- und Zeichensysteme, deren Verweiszusammenhänge in unterschiedlichen Bezügen und in differenten Formen an den politisch-rationalen Aussagegehalt der Forderungen von 1789 anknüpften, sind im Rahmen des SFB-Projekts primär auf vier Ebenen untersucht worden:

Dabei sind zum einen vom Projektleiter an ausgewählten Beispielen der politischen Inszenierung jene Zeremonialelemente in den Blick genommen worden, die auf vielfältige Weise zur Delegitimierung der Monarchie beitrugen, wobei Formen der “modernen“ Vergesellschaftung und der Kommunikation in mancherlei Hinsicht Adaptionen vertrauter älterer Vergemeinschaftungsrituale darstellten, hierbei jedoch mit einem normativen Vorzeichenwechsel ausgestattet wurden. Unbestritten ist inzwischen, dass sich der historische Wandel in der Französischen Revolution auf den verschiedenen Ebenen politisch-staatlicher, sozialer sowie wirtschaftlicher und kultureller Organisation und Wirklichkeit bei weitem nicht so widerspruchsfrei und gleichförmig vollzog, wie das von der älteren Forschung angenommen wurde; darüber hinaus evozierte der politisch-soziale Transformationsprozess eine Ausweitung und Steigerung symbolischer Manifestationen im Kontext einer auf die revolutionären Bedürfnisse umgestellten politischen Kultur. Inwieweit, in welcher Hinsicht und unter welchen Bedingungen diesem kulturellen Wandlungsprozess eine “lange Dauer“ beschieden war, wurde überdies an den vielfältigen Erscheinungsformen der politischen Bankette untersucht, deren Entwicklung und Funktion bis in die Julimonarchie hinein skizziert worden ist.

Der widersprüchlichen Entfaltung revolutionärer Praxisfelder in den jeweiligen Zentren, Rand- und Widerstandszonen der Französischen Revolution sollte im Rahmen des Forschungsprojekts Rechnung getragen werden, indem nicht nur die französische Hauptstadt, sondern mit Amiens auch eine ausgewählte Kommune der Provinz in die Untersuchung einbezogen wurde. Dabei wurde der Ausgangsfragestellung die Hypothese zugrunde gelegt, dass nicht nur die revolutionäre Entwicklung in ihrem genuin politischen Verlauf, sondern auch der symbolische Niederschlag dieses Prozesses eine spezifisch lokale Brechung erfahren habe. Die im Rahmen feierlicher Anlässe zum Ausdruck gebrachte Verschmelzung historischer Erfahrungen mit ästhetischen Motiven zu einer revolutionären Didaktik markierte schließlich auch in Amiens jenen Selbstbehauptungswillen der Revolution und des nachrevolutionären Empire, der die 1789 angebrochene neue Epoche den Zeitgenossen als kontingentes Geschehen argumentativer Erklärung und inszenierter Darstellung zugleich erfahrbar machte. Erschlossen sich Momente der sozialen Integration in den Provinzstädten demzufolge immer auch im Medium der kulturellen Reproduktion, so fungierten diese doch zumeist als revolutionäre Mandatsträger der Hauptstadt. Im Hinblick auf die Untersuchung lokal autonomer Gehalte revolutionärer Didaktik mangelt es nach wie vor jedoch an vergleichenden Untersuchungen.

Dem symbolischen Diskurs der französischen Gegenrevolution wurde in einem vierten Projektbereich Aufmerksamkeit geschenkt, wobei sich die primäre Fragestellung auf die Hinterlassenschaft revolutionärer Veränderungen richtete; nämlich in erster Linie auf jenen Wandlungsprozess, der tendenziell unter Beibehaltung moderner symbolischer Ausdrucksmittel die Rückkehr zu einem politischen System induzierte, das gesellschaftspolitisch erneut an vorrevolutionäre Elemente anknüpfte. In diesem Projektteil wurde nach den spezifisch modernen Inhalten und Funktionen eines restaurativen symbolischen Diskurses gefragt.

Projektdauer:

seit 01.01.2000

Beteiligte Wissenschaftler:

Dr. Th. Großbölting, Dr. Armin Owzar, Dr. Rüdiger Schmidt, Natalie Scholz, Prof. Dr. Hans-Ulrich Thamer (Leiter).

Veröffentlichungen:

Symbolische Politik und politische Zeichensysteme im Zeitalter der Französischen Revolutionen 1789-1848, hgg. von R. Reichardt, R. Schmidt und H.-U. Thamer (Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Wertesysteme. Schriftenreihe des Sonderforschungsbereichs 496), Münster 2003 (im Druck).

Schmidt, R.: Die Mobilisierung der Provinz: Revolutionärer Wandel und politische Festkultur in Amiens, in: Symbolische Politik und politische Zeichensysteme im Zeitalter der Französischen Revolutionen 1789-1848 [wie oben].

--,: Zur Metaphysik expressiver Macht: Rituale der Terreur, in: F. Becker, Th. Großbölting, A. Owzar, R. Schlögl (Hgg.), Politische Gewalt in der Moderne. Festschrift für H.-U. Thamer, Münster 2003, S. 1-22.

--,: Die Eroberung des revolutionären Raums: Paris um 1789, in: Ch. Dartmann, St. Rüther (Hgg.), Modelle - Praktiken - Rituale. Zur Konstituierung gesellschaftlicher Ordnung in Mittelalter und Früher Neuzeit (Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Wertesysteme. Schriftenreihe des SFB 496) (im Druck).

Scholz, N.: Verzeihender Vater statt siegreicher Held. Zur Rückkehr Ludwigs XVIII. im visuellen und sprachlichen Diskurs der Restauration, in: Symbolische Politik und politische Zeichensysteme im Zeitalter der Französischen Revolutionen 1789-1848 [wie oben].

Thamer, H.- U.: Die Wiederkehr des Gleichen oder das Verblassen der Tradition? Funktionswandel politischer Rituale im Übergang zur Moderne, in: G. Althoff (Hg.), Zeichen - Rituale - Werte. Sinnschichten und Deutungsstrategien symbolisch vermittelter Wertevorstellungen, Internationale Tagung des SFB 496 in Münster, 22.- 25. Mai 2002 (Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Wertesysteme. Schriftenreihe des SFB 496, Bd. 3) (im Druck)

--,: Die Aneignung der Tradition: Destruktion und Konstruktion im Umgang der Französischen Revolution mit Monumenten des Ancien Régime, in: Symbolische Politik und politische Zeichensysteme im Zeitalter der Französischen Revolutionen 1789-1848 [wie oben].

 
 

Hans-Joachim Peter
EMail: vdv12@uni-muenster.de
HTML-Einrichtung: Izabela Klak
Informationskennung: FO31GM01
Datum: 2003-11-12