Westfälische Wilhelms-Universität Münster
Forschungsbericht 2001-2002
 
Sonderforschungsbereich 496
Symbolische Kommunikation und
gesellschaftliche Wertesysteme vom
Mittelalter bis zur französischen Revolution

Salzstr. 41
48143 Münster
Sprecher: Prof. Dr. Gerd Althoff
 
Tel. (0251) 83-2 79 14/3
Fax: (0251) 83-2 79 11
e-mail: sfb496.sekretariat@uni-muenster.de
www: http://www.uni-muenster.de/sfb496
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Forschungsschwerpunkte 2001 - 2002

Sonderforschungsbereiche
Sonderforschungsbereich 496 - Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Wertesysteme vom Mittelalter bis zur französischen Revolution
Teilprojekt C2/Prof. Dr. Ruth-Elisabeth Mohrmann


Symbole, Rituale und Gesten in frühneuzeitlichen Konflikten und alltäglichem Handeln

Im Zentrum der Forschungen des volkskundlichen Teilprojektes standen im ersten Bewilligungszeitraum Formen und Kontexte symbolischer Kommunikation in frühneuzeitlichen Konflikten, hier insbesondere den sogenannten “Rauf- und Ehrenhändeln“. Ausgehend von der Hypothese, dass neben geschlechts- und generationsspezifischen auch regionale und Unterschiede zwischen Stadt und Land Einfluss auf das Konfliktverhalten zeitigten, wurden Praktiken des Konfliktsaustrags an zwei regionalen Fallbeispielen vergleichend untersucht (die Universitätsstadt Freiburg im Breisgau, der ländliche Patrimonialgerichtsbezirk Davensberg-Nordkirchen im Fürstbistum Münster). Der Untersuchungszeitraum lag im 16. und 17. Jahrhundert.

Während die Untersuchungen zu Davenberg-Nordkirchen Ende 2002 abgeschlossen werden konnten (Bearbeiter: Arnold Beuke M. A.), legte der Umfang der Freiburger Überlieferung eine monographische Bearbeitung nahe, deren Abschluss für das Jahr 2004 geplant ist (Bearbeiterin: Dr. Barbara Krug-Richter). Das Freiburger Stadtarchiv verfügt über einen umfangreichen, bisher nahezu unbearbeiteten Bestand an Kriminalakten, Kundschafts- und Stadtgerichtsprotokollen. Daneben liegen zahlreiche Zeugenverhöre zu Konflikten zwischen Studenten der Freiburger Universität und der Freiburger Bürgerschaft vor, die vielversprechende und detaillierte Einblicke in ein relevantes Konfliktfeld innerhalb der frühneuzeitlichen Universitätsstadt vermitteln. Die sogenannten “Studentenhändel“ haben sich aufgrund ihrer äußerst plastischen und dichten Überlieferung inzwischen zu einem zentralen Untersuchungsfeld des Projektes entwickelt. Die Sichtung und Beschaffung der Aktenbestände im Stadt- und Universitätsarchiv Freiburg konnten im Sommer des Jahres 2002 weitgehend abgeschlossen werden.

Die Arbeit des volkskundlichen Projekts folgt(e) dem methodischen Anspruch, Aspekte der qualitativen und der quantitativen Analyse zu vernetzen. Dies mündete in den Aufbau einer quellenzentrierten “Konflikt“-Datenbank zur systematischen Erfassung der umfangreichen Aktenbestände. Erste Ergebnisse seiner bisherigen Forschungen präsentierte das Projekt auf einer interdisziplinären Tagung zum Thema “Praktiken des Konfliktaustrags in der Frühen Neuzeit“, deren Beiträge sich im Druck befinden (Krug-Richter/Mohrmann 2003).

Der inhaltliche Schwerpunkt der bisherigen Untersuchungen lag auf der Analyse männlicher Konfliktaustragungspraktiken. Schon die ersten Auswertungen verwiesen auf die zentrale Rolle, die Formen symbolischer Kommunikation insbesondere in Konflikten zwischen Männern zukam. Vor allem die häufigen verbalen und handfesten Auseinandersetzungen zwischen Handwerksgesellen und Studenten in Freiburg verliefen - eingebettet in zentrale Muster der männlichen Jugendkultur - in hohem Maße ritualisiert. Vermutlich beeinflusst durch den Fechtunterricht, der sich im Verlauf des 16. Jahrhunderts sowohl an den Universitäten als auch in den Handwerkszünften zunehmend etablierte, nahmen studentische Ehrkämpfe oder auch Konflikte zwischen Handwerksgesellen und Studenten schon im 16. Jahrhundert Elemente der späteren Duelle auf. Die Relevanz symbolischer Kommunikation in männlichen Ehrkonflikten hing darüber hinaus in der frühneuzeitlichen Stadt eng mit dem hohen Bewaffnungsgrad der männlichen Bevölkerung zusammen. Der Einsatz von Waffen erweiterte das Spektrum an Möglichkeiten für drohende, provokative, aber auch befriedende Gebärden und Gesten des sich Ergebens erheblich. Die für den gesamten Sonderforschungsbereich leitende Frage nach der Reflexivität und Rationalität im Einsatz symbolischer Kommunikationsformen kann zumindest in Bezug auf den - auch - symbolischen Umgang mit Waffen schon jetzt eindeutig beantwortet werden. Während in Raufhändeln im herkömmlichen Sinne, in denen nur die Fäuste zum Zuge kamen, die Rationalität des Handelns zumindest im Verlauf der Schlägereien des öfteren in Frage gestellt werden kann, gilt dies für den Gebrauch von Waffen nicht. Diese wurden im konkreten Konflikt selbst im Eifer des Gefechts gezielt auch symbolisch eingesetzt. Die Zeichenhaftigkeit einzelner Handlungen, Gesten und Gebärden war dabei eindeutig codiert und wurde auch über bestimmte Sozialschichten hinausgehend ebenso eindeutig verstanden. Das “Zücken der Wehr" z. B., das Ziehen des Dolches/Degens etc. aus der Scheide, bildete für alle verständlich eine unmittelbare Herausforderung zum Zweikampf. Ließ der Gegner seine Waffe in der Scheide, hob diese gar hoch, eventuell über den Kopf oder warf sie von sich, signalisierte er ebenso deutlich, dass er den Kampf nicht wollte, ihn zu beenden gedachte und/oder sich ergab.

Dabei offenbarte der Waffengebrauch die bislang signifikantesten Unterschiede zu den zeitgleichen ländlichen Konfliktaustragungspraktiken. Während die Männer im frühneuzeitlichen Freiburg je nach Stand und Status Degen, Rapiere, Dolche, Schwerter, Hellebarden oder Beile zum Einsatz brachten, griff die männliche Bevölkerung auf dem Land gelegentlich zu Messern und Beilen, weit häufiger jedoch zu zufällig greifbaren Dingen des täglichen Gebrauchs oder Arbeitsgeräten. Blankwaffen wie Degen und Rapier spielten in ländlichen Konflikten nur in Ausnahmefällen eine Rolle, z. B. bei adligen Konfliktbeteiligten oder Streitigkeiten auf Hochzeitsfeiern, wo vereinzelt Blankwaffen getragen wurden. Schusswaffen dagegen, die im frühen 17. Jahrhundert in Freiburg zumindest gelegentlich im studentischen Waffenarsenal zu finden waren, blieben auf dem Lande weitgehend auf die Gruppe der Soldaten als Tatbeteiligte beschränkt, es sei denn, die Konflikte entstanden im Umfeld von Schützenfesten (Vogelschießen).

Die Eskalation von Konflikten unterlag in Stadt und Land bestimmten Regelhaftigkeiten, jedoch keinem Automatismus einer sich immer steigernden Zuspitzung. Es gab es auf allen Stufen und Ebenen des Konfliktaustrags die Option der Unterbrechung und Eindämmung sowie auf Beilegung oder Friedensstiftung ausgerichtete Momente. Ob, wie und zu welchem Zeitpunkt diese Möglichkeiten wahrgenommen wurden, hing im jeweiligen Einzelfall von einer Vielzahl von Faktoren ab. Eine sehr häufig gewählte Form der ritualisierten Konfliktbegrenzung war im frühneuzeitlichen Münsterland die sogenannte “Beschickung“, bei der man eine oder zwei Mittelspersonen zu seinem Streitgegner sandte, um diesen zur Rücknahme seiner Äußerungen zu veranlassen und eine gütliche Regelung zu erzielen. Die sogenannten “Beschicksleute“ beließen es dabei nicht zwingend bei einer passiven Übermittlung von Informationen, sondern wurden durchaus selbst aktiv, indem sie den Kontrahenten ins Gewissen redeten, eine Vermittlungsposition, die Parallelen zur mittelalterlichen Vermittlerfigur im Fehdewesen aufweist. In der Konfliktvermittlung durch Dritte kamen offensichtlich auch regionale Besonderheiten zum Tragen. Das im gesamten Nordwesten des deutschen Reichs verbreitete Ritual der Beschickung ließ sich im süddeutschen Freiburg bisher in dieser Form nicht nachweisen.

Projektdauer:

seit 01.01.2000

Beteiligte Wissenschaftler:

A. Beuke M. A., Dr. B. Krug-Richter (Co-Leiterin), Prof. Dr. R.-E. Mohrmann (Leiterin)

Veröffentlichungen:

Praktiken des Konfliktaustrags in der Frühen Neuzeit, hgg. von B. Krug-Richter und R.-E. Mohrmann (Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Wertesysteme. Schriftenreihe des SFB 496), Münster 2003 (im Druck)

Beuke, A.: "In guter Zier und Kurtzweil bey der Naßen angetastet". Aspekte des Konfliktaustrags in der Frühen Neuzeit, in: Praktiken des Konfliktaustrags in der Frühen Neuzeit [wie oben]

Krug-Richter, B.: Die Bilder bäuerlich-dörflicher und städtischer Beobachter vom Gegenüber. Anmerkungen zum Forschungsstand, in: C. Zimmermann (Hg.): Dorf und Stadt. Ihre Beziehungen vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Frankfurt a. M. 2001, S. 89-98.

--,: Zwischen Dorf und Gericht. Tätigkeitsbereiche, Amtspraxis und soziale Stellung des Gerichtsdieners in einer ländlich-lokalen Gesellschaft der Frühen Neuzeit, in: A. Holenstein, G. Sälter (Hgg.): Policey in lokalen Räumen. Ordnungskräfte und Sicherheitspersonal in Gemeinden und Territorien vom Spätmittelalter bis zum frühen 19. Jahrhundert, Frankfurt a. M. 2002, S. 169-198.

--,: Von nackten Hummeln und Schandpflastern. Formen und Kontexte von Rauf- und Ehrenhändeln in der westfälischen Gerichtsherrschaft Canstein um 1700, in: M. Eriksson, B. Krug-Richter (Hgg.), Streitkulturen. Gewalt, Konflikt und Kommunikation in der ländlichen Gesellschaft (16.-19. Jh.) (Potsdamer Studien zur Geschichte der ländlichen Gesellschaft, 2), Köln/Weimar/Wien 2003, S. 269-307.

--, Eriksson, M.: (Hgg.), Streitkulturen. Gewalt, Konflikt und Kommunikation in der ländlichen Gesellschaft (16.-19. Jh.) (Potsdamer Studien zur Geschichte der ländlichen Gesellschaft, 2), Köln/Wiemar/Wien 2003.

--,: Weibergeschwätz? Zur Geschlechtsspezifik des Geredes in der Frühen Neuzeit, in: D. Bischoff, M. Wagner-Egelhaaf (Hgg.), Weibliche Rede - Rhetorik der Weiblichkeit. Studien zum Verhältnis von Rhetorik und Geschlechterdifferenz, Freiburg 2003, S. 301-319.

--,: Das Privathaus als Wirthaus. Zur Öffentlichkeit des Hauses in Regionen mit Reihebraurecht, in: S. Rau, G. Schwerhoff (Hgg.), Zwisches Gotteshaus und Taverne. Öffentliche Räume in der Frühen Neuzeit, Köln/Weimar/Wien 2003 (im Druck).

--,: Du Bachant, quid es grammatica? Konflikte zwischen Studenten und Bürgern in Freiburg im Breisgau im ausgehenden 16. Jahrhundert [wie oben].

--,: Von Messern, Mänteln und Männlichkeit. Aspekte studentischer Konfliktkultur im frühneuzeitlichen Freiburg/Br., in: Wiener Zeitschrift zur Geschichte der Neuzeit 2004 (im Druck).

Mohrmann, R.-E.: Individuelle Gestaltung im Privaten: Häusliches Leben, in: R. van Dülmen (Hg.), Entdeckung des Ich, Köln/Weimar/Wien 2001, S. 385-406.

--,: Tradition and Cultural Identity - the difficult search of the historical truth, in: Festschrift für Bo Lönnqvist, Jyväskyla 2001.

--,: (Hg.), Städtische Volkskultur im 18. Jahrhundert (Städteforschung: Reihe A, Darstellungen, 51) Köln/Weimar/Wien 2001.

--,: Wohnen und Wirtschaften, in: R. W. Brednich (Hg.), Grundriß der Volkskunde. Einführung in die Forschungsfelder der Europäischen Ethnologie, 3. überarb. u. erw. Aufl., Berlin 2001, S. 133-153.

--,: Les recherches sur la culture matérielle en ethnologie régionale, in: La culture matérielle - Sources et problèmes. Die Sachkultur - Quellen und Probleme. Redaktion Th. Busset, L. Lorenzetti, J. Mathieu (Histoire des Alpes/Storia delle Alpi/Geschichte der Alpen, 7), Zürich 2002, S. 15-27.

--,: Volkskundliche Sachkulturforschung, in: Kwartalnik Historii Kultury Materialnej, Nr. 3-4, 2002, S. 331-340.

 
 

Hans-Joachim Peter
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Datum: 2003-11-12