Westfälische Wilhelms-Universität Münster
Forschungsbericht 2001-2002
 
Sonderforschungsbereich 496
Symbolische Kommunikation und
gesellschaftliche Wertesysteme vom
Mittelalter bis zur französischen Revolution

Salzstr. 41
48143 Münster
Sprecher: Prof. Dr. Gerd Althoff
 
Tel. (0251) 83-2 79 14/3
Fax: (0251) 83-2 79 11
e-mail: sfb496.sekretariat@uni-muenster.de
www: http://www.uni-muenster.de/sfb496
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Forschungsschwerpunkte 2001 - 2002

Sonderforschungsbereiche
Sonderforschungsbereich 496 - Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Wertesysteme vom Mittelalter bis zur französischen Revolution
Teilprojekt B5/Prof. Dr. Ludwig Siep


Grundlagen und Typen der Tugendethik

Das Projekt beschäftigt sich primär mit den systematischen Fragen nach metaethischen Prämissen, Struktureigenschaften und Klassifizierungskriterien für Tugendethiken (vgl. auch den Forschungsbericht des Philosophischen Seminars der Westfälischen Wilhelms-Universität). Diese systematischen Problemstellungen werden in ständigem Rekurs auf historische Beispiele der Ausarbeitung und Fortentwicklung insbesondere der antiken tugendethischen Traditionen durchgeführt. Der Renaissance kommt in diesem Zusammenhang eine besondere Bedeutung zu, da in ihr die verschiedenen Traditionsstränge antiker Tugendethik, besonders der aristotelischen, platonischen, stoischen und epikureischen, in einem christlichen Bezugsrahmen reinterpretiert und in vielfältiger Weise Versuche einer eklektizistischen Harmonisierung unternommen wurden.

Die Projektarbeit konzentrierte sich im ersten Jahr zunächst auf die Materialerschließung und -sammlung von Primärtexten des italienischen Frühhumanismus. Im Zentrum der inhaltlichen Auswertung standen insbesondere Acciaiuolis einflussreicher Kommentar zur nikomachischen Ethik des Aristoteles, Albertis Schrift über das Hauswesen sowie Filelfos systematisches Hauptwerk De morali disciplina, Salutatis Briefwechsel sowie Vallas Schrift De vero falsoque bono. Methodisch wurde die Analyse des Textmaterials durch die Frage nach der je spezifischen Weise der Rezeption antiker und christlicher Tugendethik bei den einzelnen Autoren geleitet. Es erwies sich dabei als heuristisch hilfreich, die Interpretation gerade auf die Bruchstellungen und Spannungen zu fokussieren, die sich bei den Versuchen einer Harmonisierung der verschiedenen Traditionsstränge ergeben. Es konnte in diesem Zusammenhang gezeigt werden, dass sich insbesondere die Frage nach dem Verhältnis von Tugenden und Affekten hervorragend eignet, um in vergleichender Perspektive die einzelnen Ansätze gegeneinander zu profilieren und in einen fruchtbaren Dialog zu setzen, dessen Struktur sich aus dem Spannungsfeld zwischen stoischer Affektabtötung des Tugendhaften (Apathie) einerseits, peripatetischer Affektkultivierung (Metriopathie) andererseits, ergibt. Darüber hinaus konnte gezeigt werden, dass gegenüber dem in der Hochscholastik erreichten Problemniveau die Frage nach dem Verhältnis einer platonischen Metaphysik des Guten, die als Kernbestandteil der christlichen Tradition von den meisten Autoren weiter geteilt wird, zu einem überwiegend peripatetisch geprägten Verständnis von Tugend im Florentiner Frühhumanismus zwar als Problem wahrgenommen, nicht allerdings einer sachlich konsistenten und problemadäquaten Lösung zugeführt wird.

Begleitend zu diesem Teil der Projektarbeit wurde in Zusammenarbeit mit den Projektleitern und -mitarbeitern der Projekte B2 ('Virtus' in Kunst und Kunsttheorie) und B3 (Städtische und höfische Spiele) eine interdisziplinäre, zweisemestrige Lehrveranstaltung im philosophischen Seminar durchgeführt, in der die gemeinsam gelesenen philosophischen Texte in den größeren Zusammenhang kunsttheoretischer und kunstpraktischer sowie literaturwissenschaftlicher Fragestellungen eingeordnet werden konnten. Die Anregungen aus den benachbarten Disziplinen erwiesen sich für die eigene Projektarbeit als außergewöhnlich fruchtbar.

Zentral für die Rezeption der antiken Tugendethik in der Renaissance sind zwei Bereiche: Die Rhetorik und die Kunsttheorie. In beiden Fällen - also der bewussten Gestaltung des gesprochenen Wortes und der bildlichen Darstellung eines bestimmten Sujets - geht es um Prinzipien der Beeinflussung von Affekten. Dies ist Grundlage einer gezielten Beeinflussung der Haltungen der Adressaten. Die jeweiligen Gehalte einer Rede und eines Bildes zielen auf die Prägung dieser Adressaten. Eine solche Prägung setzt neben den richtigen Werten das Bewusstsein davon voraus, wie Werte sich in Haltungen der Seele manifestieren. Beides muss in Kunstwerken als Einheit vermittelt werden. Der Rhetor und der Künstler erreichen, sofern sie ihr Handwerk beherrschen, eine Wirkung auf ihre jeweiligen Rezipienten, die sie in diesen tugendhaften Haltungen bestärkt.

Parallel zu den genannten philosophiehistorischen Untersuchungen wurde auf einer systematischen Ebene nach den metaethischen Prämissen von Tugendethik gefragt. Im Mittelpunkt stand hier eine Sichtung der gegenwärtig vertretenen tugendethischen Positionen. Als grundlegendes Klassifikationsprinzip erwies sich dabei die Unterscheidung zwischen reinen Tugendethiken einerseits, die den Begriff der richtigen Handlung durch den der Tugend des Handelnden definieren, und lediglich agenten-fokussierte Tugendethiken (Michael Slote) andererseits, die den Besitz der Tugenden, insbesondere die der Klugheit, als eine epistemisch unerlässliche Bedingung für die Erkenntnis des Richtigen betrachten, das jedoch seinerseits nicht wiederum im Rekurs auf tugendethische Kategorien gefasst wird. Die gesamte Tradition der peripatetischen Ethik lässt sich unter die Kategorie der agenten-fokussierten Tugendethik subsumieren. Ihre systematische Ausarbeitung muss im Kontext der Konzeption eines moralischen Realismus erfolgen, der den ontologischen und epistemologischen Status der evaluativen Eigenschaften einer Situation klärt, die der Tugendhafte in adäquater Weise wahrnimmt.

Projektdauer:

seit 01.01.2000

Beteiligte Wissenschaftler:

Dr. Ch. Halbig, HDoz Dr. M. Quante, Prof. Dr. L. Siep (Leiter), Dr. A. Vieth

Veröffentlichungen:

Halbig, Ch.: Die Stoische Affektenlehre (Beitrag; im Druck)

--,: Intuitions in Moral Realism (Beitrag; im Druck)

Siep, L.: Virtues, Values and Moral Objectivity (erscheint in einem Sammelband bei Oxford University Press)

Vieth, A.: Intuition, Reflexion, Motivation. Zum Verhältnis von Situationswahrnehmung und Rechtfertigung in der Ethik (Diss. phil., Münster, Univ., 2001) (im Druck)

--,: Verzauberung der Affekte, Symbolische Kommunikation der Tugend, in: Tugenden und Affekte in der Philosophie, Literatur und Kunst der Renaissance, hgg. von J. Poeschke, Th. Weigel und B. Kusch (Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Wertesysteme. Schriftenreihe des Sonderforschungsbereichs 496, 1), Münster 2002, S. 21-44.

 
 

Hans-Joachim Peter
EMail: vdv12@uni-muenster.de
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Datum: 2003-11-12