Urkunde und Buch in der symbolischen Kommunikation mittelalterlicher Rechtsgemeinschaften und
Herrschaftsverbände
Das Teilprojekt
untersucht die symbolische Dimension von Handlungen, in deren Mittelpunkt Schriftdokumente stehen.
Beispiele sind einerseits die herrscherliche Privilegierung, andererseits der Umgang mit für eine
Gemeinschaft konstitutiven Büchern wie dem Statutencodex bzw. der Sammlung ihrer Rechte oder einer
die Zugehörigkeit fixierenden "Matrikel". Symbolische Kommunikation, in deren Rahmen bedeutsames
Schriftwerk "inszeniert" wurde, war im öffentlichen Leben des Mittelalters fast allgegenwärtig.
Die oft ausführlichen Texte haben die Forschung weitgehend übersehen lassen, daß
derartige "Schriftmonumente" zugleich in den Kontext einer für den Zusammenhalt eines Verbandes
konstitutiven Interaktion gehören. Diese Interaktion "veröffentlicht" die Werte, Normen und
Ordnungsvorstellungen, auf die das Handeln mittels der Schrift bezogen ist. Das Teilprojekt untersucht diese
Zusammenhänge am Beispiel der zwei Großgattungen "Urkunde" und "Codex" und erfasst damit
einerseits herrschaftliche, andererseits genossenschaftliche Strukturen.
Im Berichtszeitraum
wurden die bereits im Jahr 2000 begonnenen Arbeiten zur Privilegienvergabe im fränkischen und im
römisch-deutschen Imperium sowie zur Amtseinführung des Podestà in den italienischen
Stadtkommunen (13./14. Jahrhundert) fortgeführt. Die Fruchtbarkeit der Fragestellung wurde an
Beispielen aus dem nordalpinen Raum verifiziert.Für die Privilegienvergabe im Früh- und
Hochmittelalter illustrierten weitere Fallstudien, wie der kommunikative Kontext der Vergabe auf den Inhalt
und den formalen Aufbau der überlieferten Dokumente zurückwirkte. Ausgehend von
herausragend dokumentierten Einzelfällen ließ sich nachweisen, in welchem inszenatorischen
Rahmen die Übereinkünfte erzielt wurden, die in der Urkunde festgehalten sind. Auf der anderen
Seite erlaubte die systematische Erfassung von Informationen zu Ort, Datum und Anlass der
Urkundenausstellung sowie der Übergabe am Altar, die religiöse Einbindung des herrscherlichen
Handelns im Akt der Privilegierung präzise zu erfassen.
Diese Beobachtungen ermöglichten es, grundsätzlich die Frage nach der visuellen Kultur der
Ottonenzeit aufzuwerfen. Die Tatsache, dass zeichenhafte Elemente in der Erstellung und Übergabe von
Herrscherdiplomen zunehmend an Bedeutung gewannen, ordnet die Privilegierung in eine Tendenz der Zeit
ein, grundlegende Sachverhalte sichtbar darzustellen und in zum Teil hoch komplexen Bildsymbolen zu
verdichten. Das Sichtbarmachen religiöser und politischer Ansprüche des Herrschers in den
Medien des Zeremoniells und des Schriftstücks gewinnt daher an Signifikanz als Indikator für
einen grundlegenden Wandel der Kommunikations- und Wahrnehmungsmodi vom karolingischen zu
römisch-deutschen Reich.
Die Studien zur Amtseinführung
des neuen Podestà in den italienischen Stadtkommunen konnten abgeschlossen werden. Zum einen
wurde die fundierende Bedeutung dieses Ablaufs für die rechtliche Strukturierung der Kommune
aufgezeigt. Nur durch diesen Akt symbolischer Kommunikation gewann das schriftlich fixierte Recht Geltung,
weil es in ein Gefüge wechselseitiger Eide des Podestà, der Amtsträger der Kommune und
der Bürger eingebunden wurde. Zugleich konnte der Einzug des Podestà als spezifische
Ausformung eines Herrscheradventus interpretiert werden, in dem sich die ambivalente Stellung eines befristet
und an explizite Regeln gebundenen Stadtoberhaupts in den modifizierten Formen europäischer
Herrschaftsrepräsentation artikulierte. Trotz der raschen Bedeutungszunahme des Mediums Schrift
behielt also symbolische Kommunikation in den italienischen Stadtkommunen ihre zentrale Bedeutung.
Weitere Arbeiten nehmen
den nordalpinen Bereich des Spätmittelalters in den Blick. Am Beispiel der Regierung des Basler
Bischofs Johann von Venningen (1458 - 1478) zeichnet sich eine Neubewertung des
Verhältnisses zwischen dem Stadtherrn und seiner Gemeinde ab. Die Inszenierung von und der Umgang
mit fundierenden Schriftstücken belegen die zentrale Rolle, die der Bischof zumindest in der
symbolischen Kommunikation in seiner Stadt auch noch im 15. Jahrhundert spielte. Die
Gründung der Basler Universität wurde zugleich in das Panorama europäischer
Universitätsgründungen eingeordnet. Weitere Fallstudien befassen sich mit
spätmittelalterlichen Herrscherprivilegien und Privaturkunden im westfälischen Raum. Die
Fruchtbarkeit des Ansatzes, nach dem Verhältnis zwischen symbolischer Kommunikation und
Schriftlichkeit zu fragen, konnte also auf verschiedenen Feldern nachgewiesen werden. Immer deutlicher tritt
zutage, dass symbolische Kommunikation nicht durch Schriftlichkeit abgelöst wurde, sondern dass sie
sich zu einer synchronen Multimedialität zusammenfanden, die über alle Entwicklungen der
Schriftkultur hinweg das gesamte Mittelalter prägte.
Projektdauer:
Beteiligte Wissenschaftler:
Veröffentlichungen:
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