Forschungsbericht 1999-2000 | |
Sonderforschungsbereich 496 "Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Wertesysteme vom Mittelalter bis zur französischen Revolution" Salzstr. 41 48143 Münster Tel. (0251) 83-27914/13 Fax: (0251) 83-27911 e-mail: SFB496.Sekretariat@uni-muenster.de WWW: http://www.uni-muenster.de/SFB496 Sprecher: Prof. Dr. Gerd Althoff | |
Forschungsschwerpunkte 1999 - 2000
Sonderforschungsbereiche Sonderforschungsbereich 496 "Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Wertesysteme vom Mittelalter bis zur französischen Revolution" Teilprojekt B5/Prof. Dr. Ludwig Siep | ||||
Grundlagen und Typen der Tugendethik
Das Projekt beschäftigt sich primär mit den systematischen Fragen nach
metaethischen Prämissen, Struktureigenschaften und Klassifizierungskriterien
für Tugendethiken. Diese systematischen Problemstellungen werden in
ständigem Rekurs auf historische Beispiele der Ausarbeitung und
Fortentwicklung insbesondere der antiken tugendethischen Traditionen
durchgeführt. Der Renaissance kommt in diesem Zusammenhang eine
besondere Bedeutung zu, da in ihr die verschiedenen Traditionsstränge antiker
Tugendethik, besonders der aristotelischen, platonischen, stoischen und
epikureischen, in einem christlichen Bezugsrahmen reinterpretiert und in
vielfältiger Weise Versuche einer eklektizistischen Harmonisierung
unternommen wurden.
Die Projektarbeit konzentrierte sich im ersten Jahr zunächst auf die
Materialerschließung und -sammlung von Primärtexten des italienischen
Frühhumanismus. Im Zentrum der inhaltlichen Auswertung standen insbesondere
Acciaiuolis einflußreicher Kommentar zur nikomachischen Ethik des Aristoteles,
Albertis Schrift über das Hauswesen sowie Filelfos systematisches Hauptwerk De
morali disciplina, Salutatis Briefwechsel sowie Vallas Schrift De vero falsoque
bono. Methodisch wurde die Analyse des Textmaterials durch die Frage nach der je
spezifischen Weise der Rezeption antiker und christlicher Tugendethik bei den einzelnen
Autoren geleitet. Es erwies sich dabei als heuristisch hilfreich, die Interpretation gerade auf die
Bruchstellungen und Spannungen zu fokussieren, die sich bei den Versuchen einer
Harmonisierung der verschiedenen Traditionsstränge ergeben. Es konnte in diesem
Zusammenhang gezeigt werden, daß sich insbesondere die Frage nach dem
Verhältnis von Tugenden und Affekten hervorragend eignet, um in vergleichender
Perspektive die einzelnen Ansätze gegeneinander zu profilieren und in einen fruchtbaren
Dialog zu setzen, dessen Struktur sich aus dem Spannungsfeld zwischen stoischer
Affektabtötung des Tugendhaften (Apathie) einerseits, peripatetischer Affektkultivierung
(Metriopathie) andererseits, ergibt. Darüber hinaus konnte gezeigt werden, daß
gegenüber dem in der Hochscholastik erreichten Problemniveau die Frage nach dem
Verhältnis einer platonischen Metaphysik des Guten, die als Kernbestandteil der
christlichen Tradition von den meisten Autoren weiter geteilt wird, zu einem
überwiegend peripatetisch geprägten Verständnis von Tugend im Florentiner
Frühhumanismus zwar als Problem wahrgenommen, nicht allerdings einer sachlich
konsistenten und problemadäquaten Lösung zugeführt wird.
Begleitend zu diesem Teil der Projektarbeit wurde in Zusammenarbeit mit den Projektleitern
und -mitarbeitern der Projekte B 2 ('Virtus' in Kunst und
Kunsttheorie) und B 3 (Städtische und
höfische Spiele) eine interdisziplinäre, zweisemestrige Lehrveranstaltung im
philosophischen Seminar durchgeführt, in der die gemeinsam gelesenen philosophischen
Texte in den größeren Zusammenhang kunsttheoretischer und -praktischer sowie
literaturwissenschaftlicher Fragestellungen eingeordnet werden konnten. Die Anregungen aus
den benachbarten Disziplinen erwiesen sich für die eigene Projektarbeit als
außergewöhnlich fruchtbar.
Parallel zu den genannten philosophiehistorischen Untersuchungen wurde auf einer
systematischen Ebene nach den metaethischen Prämissen von Tugendethik gefragt. Im
Mittelpunkt stand hier eine Sichtung der gegenwärtig vertretenen tugendethischen
Positionen. Als grundlegendes Klassifikationsprinzip erwies sich dabei die Unterscheidung
zwischen reinen Tugendethiken einerseits, die den Begriff der richtigen Handlung durch den der
Tugend des Handelnden definieren, und lediglich agenten-fokussierte Tugendethiken
(Michael Slote) andererseits, die den Besitz der Tugenden, insbesondere die der Klugheit, als
eine epistemisch unerläßliche Bedingung für die Erkenntnis des
Richtigen betrachten, das jedoch seinerseits nicht wiederum im Rekurs auf tugendethische
Kategorien gefaßt wird. Die gesamte Tradition der peripatetischen Ethik läßt
sich unter die Kategorie der agenten-fokussierten Tugendethik subsumieren. Ihre systematische
Ausarbeitung muß im Kontext der Konzeption eines moralischen Realismus erfolgen, der
den ontologischen und epistemologischen Status der evaluativen Eigenschaften einer Situation
klärt, die der Tugendhafte in adäquater Weise wahrnimmt. Insofern der
Tugendhafte gegenüber dem bloß Selbstbeherrschten durch eine solche
adäquate Wahrnehmung des evaluativen Profils einer Situation bereits hinreichend
motiviert ist, entsprechend zu handeln, impliziert die Tugendethik einen
motivationstheoretischen Internalismus, demzufolge die Überzeugung, daß eine
bestimmte Handlung moralisch richtig ist, die motivationale Bereitschaft, entsprechend zu
handeln, impliziert. Die weitere Klärung der drei grundlegenden Kategorien Tugend,
Wert und Handlungsmotivation wird einen Schwerpunkt der weiteren Projektarbeit bilden.
Beteiligte Wissenschaftler:
Veröffentlichungen: |
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Hans-Joachim Peter