Forschungsbericht 1997-98   
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Direktor: Prof. Dr. Ulrich van Suntum

 
 
 
[Pfeile blau] Forschungsschwerpunkte 1997 - 1998
Fachbereich 04 - Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät
Institut für Siedlungs- und Wohnungswesen
Wohnungswirtschaft, Wohnungsbaufinanzierung, Wohnungspolitik
 


Nachfrage- und Angebotswirkungen des Wohngeldes - Theoretische Analyse und empirische Überprüfung

Die vielfältige Kritik am sozialen Wohnungsbau mündet häufig in der Forderung nach einer Ausweitung der Subjektförderung in Form von Wohngeldtransfers zu Lasten der Objektförderung. Die Befürworter des sozialen Wohnungsbaus verweisen jedoch immer wieder darauf, daß nur über den Bau von Sozialwohnungen zusätzlicher preisgünstiger Wohnraum geschaffen werden könne. Wohngeld schaffe keine neuen Wohnungen.

In einem ersten Arbeitsschritt wurden die wichtigsten Zusammenhänge auf dem Wohnungs- und Baumarkt in einem theoretischen Modell abgebildet und darauf aufbauend Wirkungen verschiedener wohnungspolitischer Instrumente abgeleitet. Angebotswirkungen des Wohngeldes sind aus theoretischer Sicht durchaus plausibel: Verwenden die einkommensschwachen Haushalte nämlich einen Teil der Transfers für zusätzlichen Wohnkonsum, so werden bei gegebenem Wohnungsbestand aufgrund der erhöhten Nachfrage Mietpreis- und somit Ertragssteigerungen im Wohnungssektor ausgelöst. Diese setzen einen Anreiz für zusätzliche Wohnungsbauinvestitionen und damit für eine Ausdehnung des Wohnungsangebotes. Zu beachten ist allerdings, daß die aufgezeigte Wirkungskette nur unter bestimmten Bedingungen hinsichtlich Erwartungsbildung und Marktsituation gilt.

Der soziale Wohnungsbau kann bei adäquater Ausgestaltung geeignet sein, das für sozial schwache Haushalte zur Verfügung stehende Wohnungsnutzungsangebot zumindest kurzfristig auszuweiten. Es sind jedoch Verdrängungseffekte zu Lasten des frei finanzierten Wohnungsbaus zu berücksichtigen: Da in die neuen Sozialwohnungen größtenteils Haushalte einziehen, die sich zuvor - wenngleich in geringerem Umfang - am frei finanzierten Wohnungsmarkt mit Wohnraum versorgt haben, geht dort die Nachfrage dauerhaft zurück. Frei finanzierte Wohnungsbauinvestitionen werden daraufhin eingeschränkt (Nachfragerwechseleffekt). Die Ausweitung des gesamten Wohnungsbestandes bedingt zudem einen dauerhaften Anstieg der Nachfrage nach Bauland und Bauleistungen. Diese Produktionsfaktoren verteuern sich daraufhin, so daß am frei finanzierten Wohnungsmarkt langfristig Instandhaltungsmaßnahmen eingeschränkt und möglicherweise sogar bestehende Wohnungen vorzeitig abgerissen werden (Verdrängungseffekt infolge Faktorenverteuerung). Schließlich werden im sozialen Wohnungsbau Investoren aktiv, die andernfalls am frei finanzierten Markt Wohnraum angeboten hätten, ohne dafür staatliche Vergünstigungen zu erhalten (Mitnahmeeffekt).

Im zweiten Schritt wurden im Rahmen der empirischen Überprüfung die aus dem theoretischen Modell gewonnenen Hypothesen mittels regressionsanalytischer Ver-fahren überprüft. In dem ökonometrischen Modell, das der Untersuchung zugrunde liegt, fanden neben dem Wohnungsnutzungs- und dem Wohnungsbestandsmarkt die Nachfrage nach Wohnungsbauinvestitionen, der Bauleistungs- und der Bodenmarkt Berücksichtigung. Grundlage der Schätzungen waren Daten für Westdeutschland von 1971 bis 1994, die vor allem vom Statistischen Bundesamt und vom Ring Deutscher Makler (RDM) bezogen wurden.

Auf der Basis der Schätzungen, in denen ein signifikanter Einfluß des Wohngeldes auf den Wohnkonsum und die Mietpreise festgestellt werden konnte, wurden Simulationen durchgeführt. Diese ergaben, daß eine dauerhafte Erhöhung der Wohngeldtransfers langfristig zu einer Ausweitung des gesamten Wohnungsbestandes führt. Im Zeitraum von 1971 bis 1994, als der Wohnungsbestand durchschnittlich 25,5 Mio. Wohnungen zählte und im Jahresdurchschnitt 2,74 Mrd. DM Wohngeld (in Preisen von 1985) gewährt wurden, hätte eine dauerhafte Erhöhung der Wohngeldzahlungen um 10  % eine Ausweitung des Wohnungsbestandes um 15.800 Wohnungen zur Folge gehabt. Die Simulationen lassen darauf schließen, daß der Anpassungsprozeß bis zur Erreichung dieses Endgleichgewichtes sehr lange dauert.

Eine Erhöhung der Zahl der vorhandenen Sozialwohnungen führt unter den in der Simulation getroffenen Annahmen (z. B. Anteil der Sozialwohnungen an allen Wohnungen in der Ausgangssituation beträgt ein Sechstel) langfristig zwar zu einer Ausweitung des gesamten Wohnungsbestandes, aber gleichzeitig zu einer Verdrängung der am frei finanzierten Wohnungsmarkt angebotenen Wohnungen. Als Beispiel soll eine Gemeinde mit 12.000 Wohnungen, darunter 2.000 Sozialwohnungen, dienen. Bei einer einmaligen, aber dauerhaften Erhöhung des Sozialwohnungsbestandes um 200 Wohnungen werden gleichzeitig 150 Wohnungen auf dem frei finanzierten Wohnungsmarkt verdrängt. Der Nachfragerwechseleffekt übt dabei den weitaus größten Einfluß aus, während Mitnahmeeffekte zu vernachlässigen sind. Die dynamischen Simulationen zeigen, daß durch sozialen Wohnungsbau vor allem kurzfristig zusätzlicher Wohnraum geschaffen wird. Dies gilt um so mehr, wenn auf dem frei finanzierten Wohnungsmarkt beim aktuellen Mietpreisniveau ein Angebotsdefizit besteht und wenn die Zugangskriterien auf die in dieser Situation besonders benachteiligten Haushalte zugeschnitten sind.

Der abschließende Vergleich der Angebotseffekte von Wohngeld und sozialem Wohnungsbau zeigt, daß unter der Annahme eines gleichen Subventionsvolumens (je 5,4 Mrd. DM in Preisen von 1985) eine Erhöhung um jeweils zehn Prozent beim Wohngeld langfristig zu einer Ausdehnung des Wohnungsbestandes von 0,12 %, beim sozialen Wohnungsbau von 0,42 % führen würde.

In einem letzten Arbeitsschritt wurden die wohnungspolitischen Implikationen, die sich daraus ergeben, diskutiert. Wohngeld ist zur Ausweitung des Wohnungsangebotes weniger geeignet als der soziale Wohnungsbau. Das Ziel von Wohngeldtransfers ist jedoch weniger die Erweiterung des Wohnungsangebotes als vielmehr die Lösung des Verteilungsproblems, das sich daraus ergibt, daß sich einkommensschwache Haushalte aus eigenen Mitteln nicht angemessen am Wohnungsmarkt versorgen können. Bei der Lösung dieses Problems ist Wohngeld dem sozialen Wohnungsbau überlegen, was theoretische und empirische Untersuchungen belegen. Deshalb und auch wegen seiner Marktkonformität sollte es im Mittelpunkt der sozialen Wohnungspolitik stehen. Die von Wohngeld ausgehenden Angebotswirkungen sind als erwünschter Begleiteffekt anzusehen, der sowohl den wohngeldbeziehenden als auch den übrigen Haushalten das Wohnen zu relativ niedrigen Mietpreisen ermöglicht. Wenn Wohngeld keine Ausweitung des Wohnungsangebotes auslösen würde, stiegen nämlich die Mietpreise aufgrund der wohngeldinduzierten Zusatznachfrage dauerhaft stärker an, und es fände allein eine Umverteilung vorhandenen Wohnraums zugunsten der Wohngeldempfänger statt. Wohngeld allein kann das Zugangsproblem, mit dem bestimmte soziale Gruppen (z. B. kinderreiche Familien, Ausländer) am Wohnungsmarkt konfrontiert sind, nur unzureichend lösen, da diese Haushalte selbst bei erhöhter Kaufkraft keine angemessene Wohnung finden. Wohngeld sollte deshalb durch den Erwerb von Belegungsrechten ergänzt werden.

Belegungsrechte sollten grundsätzlich aus dem Wohnungsbestand erworben werden. Da nur das Zugangsproblem beseitigt werden soll, ist eine zusätzliche Mietpreisverbilligung nicht erforderlich. Einkommensschwache Mieter sind vielmehr durch Wohngeld zu unterstützen. Schwierig gestaltet sich der Erwerb von Belegungsrechten allerdings, wenn ein Nachfrageüberhang auf dem Wohnungsmarkt vorliegt. "Problemmieter" werden dann am Markt rationiert, selbst wenn sie bereit sind, die Marktmiete zu zahlen. Ihr Zugangsproblem verschärft sich damit erheblich, so daß ein besonders großer Bedarf an Belegungsrechten besteht. Gerade in einer solchen Situation gestaltet sich der Ankauf dieser Rechte jedoch kostspielig.

Die empirische Analyse hat gezeigt, daß das Wohnungsangebot im Falle eines Nachfrageüberhangs am Wohnungsnutzungsmarkt durch eine Ausdehnung des sozialen Wohnungsbaus relativ schnell erhöht werden kann. In einer solchen Wohnungsmarktsituation kann der Erwerb zusätzlicher Belegungsrechte über den Bau von Sozialwohnungen zweckmäßig sein. Voraussetzung für eine starke Angebotsausweitung ist jedoch, daß die Zugangskriterien auf Haushalte zugeschnitten sind, die sich zuvor am frei finanzierten Wohnungsmarkt nicht oder nur unzureichend mit Wohnraum versorgen konnten. Andernfalls ist der langfristige Nettoeffekt des Baus zusätzlicher Sozialwohnungen aufgrund von Verdrängungseffekten gering. Der soziale Wohnungsbau sollte jedoch andere Grundmerkmale aufweisen als der bisher praktizierte. Das alleinige Ziel ist nämlich die Lösung des Zugangsproblems bei Angebotsdefiziten auf den Wohnungsmärkten. Der von den Sozialmietern zu zahlende Mietpreis sollte sich daher an der Marktmiete orientieren. Das Verteilungsproblem ist dagegen über Wohngeldzahlungen zu lösen. Bei dieser Art der Ausgestaltung entfallen alle mit der Kostenmiete verbundenen Nachteile.

Drittmittelgeber:

Wüstenrot Stiftung Deutscher Eigenheimverein e. V.

Beteiligte Wissenschaftler:

Prof. Dr. Ulrich van Suntum, Dr. Winfried Michels, Dipl.-Volkswirt Roland Nolte, Dipl.-Volkswirt Oliver Voß

Veröffentlichungen:

Nolte, R., O. Voß, W. Michels: Nachfrage- und Angebotswirkungen des Wohngeldes - Theoretische Analyse und empirische Überprüfung, Beiträge zum Siedlungs- und Wohnungswesen und zur Raumplanung, Bd. 178, Münster, 1997

 
 
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Hans-Joachim Peter
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Datum: 1999-07-15