Inga Schulz

Betreuer: Prof. Schermaier


Titel der Dissertation:

Der Schuldbegriff im Zivil- und Strafrecht im 19. Jahrhundert


Kurzbeschreibung:

Im deutschen Strafgesetzbuch nennt der Gesetzgeber die „Schuld“, im Bürgerlichen Gesetzbuch existiert parallel der Begriff „Verschulden“. Bei beiden Ausdrücken handelt es sich um offene, schillernde Bezeichnungen, deren Inhalt nicht klar umrissen ist und die auch vom Gesetzgeber nicht eindeutig definiert werden. Dennoch stellen sie in beiden Gebieten auch heute einen zentralen Anknüpfungspunkt dar – im Strafrecht gilt: keine Strafe ohne Schuld, im Zivilrecht ist für die Schadenshaftung im Grundsatz Verschulden erforderlich.
Ausgangspunkt der Untersuchungen ist die Zeit des späten Naturrechts: Mit der (Fort-)Entwicklung der Handlungs- und der Willenstheorie durch die Philosophie kristallisierte sich die menschliche Handlung als gemeinsame Quelle straf- sowie zivilrechtlicher Zurechnung heraus. Der strafrechtliche Schuldbegriff erfuhr dann seit dem Ende des 18. und Beginn des 19. Jahrhunderts enorme Beachtung und war Gegenstand eines intensiven wissenschaftlichen Diskurses. Bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts entstand so eine stark differenzierte Schulddogmatik.
Auch das heutige zivilrechtliche Haftungssystem wurzelt in der umfassenden wissenschaftlichen Auseinandersetzung des 19. Jahrhunderts. Eine von der strafrechtlichen Vorsatz-Fahrlässigkeit-Dichotomie gelöste Lehre für zivilrechtliche Verantwortlichkeit entwickelte sich jedoch hierbei zunächst anscheinend nicht: In § 276 BGB 1900 fand das Schuldprinzip als „höheres juristisches Axiom“ (Mugdan II, 28) noch Eingang – die Grundlage einer jeden Haftung sollte in erster Linie ein vorwerfbares Verhalten sein.
Schuld und Verschulden in beiden Rechtsgebieten wurden bereits umfassend wissenschaftlich behandelt, nicht so dagegen die Frage, inwiefern sich Zivilrecht und Strafrecht an jener Schnittstelle gegenseitig beeinflusst haben. Ob – und gegebenenfalls auf welche Weise – die strafrechtliche Schulddogmatik als Vorlage für den zivilrechtlichen Verantwortungsbegriff fungierte, soll Gegenstand der Untersuchungen sein. Dieser Frage soll insbesondere am Beispiel der Entwicklung der Fahrlässigkeitshaftung nachgegangen werden, dabei endet der untersuchte Zeitraum etwa mit dem Inkrafttreten des BGB am 01. Januar 1900.