Der Einfluss der Aufmerksamkeitslenkung auf die Entwicklung kulturspezifischer Wahrnehmungsstile

DFG-Projekt (KA 3451/6-1) in Kooperation mit Shoji Itakura (Kyoto University)

Laufzeit: 2017 bis 2022

Kontakt: Solveig Jurkat & Joscha Kärtner

Eine Grundannahme des Projektes ist es, dass die Art und Weise, wie primäre Bezugspersonen die Aufmerksamkeit ihrer 4- bis 9-jährigen Kinder lenken, Einfluss darauf hat, welche Wahrnehmungsgewohnheiten ihre Kinder ausbilden. Bisherige Studien konnten zeigen, dass sich die Wahrnehmungsstile von Erwachsenen und Kindern ab etwa sechs Jahren zwischen Kulturen unterscheiden: Für Personen aus ostasiatischen und indigenen amerikanischen Kulturen wird häufig ein holistischer Wahrnehmungsstil beschrieben, bei dem neben dem fokalen Objekt auch die Hintergrundobjekte und deren Eigenschaften wahrgenommen werden. Demgegenüber zeigt sich bei Personen der euroamerikanischen und europäischen Mittelschicht der analytische Wahrnehmungsstil, bei dem die Aufmerksamkeit auf das zentrale Objekt und seine Eigenschaften konzentriert ist. In Studie 1 ist das zentrale Ziel, die Entwicklung kulturspezifischer Wahrnehmungsstile von 4- bis 9-jährigen Kindern der gebildeten Mittelschicht aus Münster und Kyoto und indigenen Familien in Ecuador zu beschreiben und in Zusammenhang mit der Art der elterlichen Aufmerksamkeitslenkung zu bringen. Um die Interpretation, dass die elterliche Aufmerksamkeitslenkung ein zentraler Prozess ist, der zur Entwicklung der Wahrnehmungsstile beiträgt, abzusichern, wird die kulturvergleichende Studie durch zwei weitere methodische Ansätze, nämlich eine Primingstudie (Studie 2) und eine Trainingsstudie (Studie 3), ergänzt. Um den Wahrnehmungsstil der Kinder zu erfassen, werden in allen Studien drei Aufgaben verwendet: erstens, eine Bildbeschreibungsaufgabe, in der die relative Betonung des fokalen Objekts kodiert wird, zweitens, eine Wiedererkennungsaufgabe, in der die relative Erinnerungsleistung für das fokale Objekt gegenüber dem Hintergrund erfasst wird und, drittens, eine Eye-Tracking Aufgabe, in der die relative Blickdauer auf das fokale Objekt kodiert wird. In der Primingstudie (Studie 2) ist die zentrale Frage, inwiefern durch sprachliche Primes die spontane Wahrnehmung der Kinder kurzfristig beeinflusst werden kann. In der Trainingsstudie (Studie 3) ist der Kerngedanke, die Wahrnehmungsgewohnheiten der Kinder längerfristig durch ein 10-tägiges medienbasiertes Training zu beeinflussen. In beiden Studien werden die 4- bis 9-jährigen Kinder randomisiert einer Bedingung zugeordnet, in der ihnen am Bildschirm Bilder zusammen mit einer Beschreibung präsentiert werden, die die Aufmerksamkeit entweder auf das fokale Objekt und seine Eigenschaften (analytische Bedingung) oder auf den Kontext (holistische Bedingung) richtet. In der Testphase wird die spontane Aufmerksamkeit der Kinder über die oben beschriebenen Aufgaben erfasst. Insgesamt erlauben es die drei methodischen Ansätze, die zentrale Annahme zu prüfen, dass Sprache ein zentrales Mittel ist, das die Aufmerksamkeit von Kindern richtet und zur Entwicklung kulturspezifischer Wahrnehmungsstile beiträgt.

Ausgewählte Publikationen:

Jurkat, S., Köster, M., Hernández Chacón, L., Itakura, S., & Kärtner, J. (2023). Visual attention across cultures: Similarities and differences in child development and maternal attention styles. Developmental Science, Article e13368. https://doi.org/10.1111/desc.13368

Jurkat, S., Gruber, M., & Kärtner, J. (2021). The effect of verbal priming of visual attention styles in 4- to 9-year-old children. Cognition, 212, Article 104681. https://doi:10.1016/j.cognition.2021.104681

Jurkat, S., Köster, M., Yovsi, R., & Kärtner, J. (2020). The Development of context-sensitive attention across cultures: The impact of stimulus familiarity. Frontiers in Psychology, 11, Article 1526. https://doi:10.3389/fpsyg.2020.01526