Rahel Beyer

Promovierende im Promotionskolleg Empirische und Angewandte Sprachwissenschaft vom WiSe 2009/2010 bis WiSe 2013

Mitarbeiterin am Institut für Deutsche Sprache (IDS): https://perso.ids-mannheim.de/seiten/beyer_rahel.html

Dissertation

Generationsbedingte Variation im pfälzischen Sprachinseldialekt am Niederrhein

Im Jahre 1741 blieb eine Gruppe kurpfälzischer Auswanderer auf dem Weg nach Amerika an der holländischen Grenze hängen und siedelte sich schließlich auf dem Gebiet der Gocher Heide (bei Kleve) an. Mit ihrem pfälzischen Dialekt in dem sonst niederfränkischen Gebiet bildeten die Kolonisten eine Sprachminderheit in einer umgebenden sprachlich differenten Mehrheitsgesellschaft und bildeten somit eine Sprachinsel. Während sich der Dialekt in seiner Insularität zunächst gegen die benachbarten niederfränkischen Dialekte behaupten konnte, ist die aktuelle sprachliche Situation durch eine allmähliche Verdrängung des pfälzischen Dialekts gekennzeichnet, wobei an die Stelle des zurückgedrängten Dialekts die Standardsprache tritt.
In meinem Projekt sollen nun anhand eines Apparent-Time-Vergleichs die strukturellen Konsequenzen des Dialektrückgangs untersucht werden.
Die jüngere Generation umfasst die 30- bis 40-Jährigen, die seit frühester Kindheit in engem Kontakt mit einem Standarddeutsch geprägten Umfeld ist. Deren Sprachgebrauch soll dem der Generation ab 60 gegenübergestellt werden, die noch eher isoliert von der Umgebung in den drei Dörfern der Kolonie lebt.
Die Auswahl der zu untersuchenden Variablen beschränkt sich auf phonetisch-phonologische Merkmale, da zu diesem Bereich der Sprachstruktur die umfangreichsten Vorarbeiten vorliegen und sie quantitativ leicht zugänglich sind. Als zu untersuchende Merkmale bieten sich z.B. die ü-i- bzw. ö-e-Variationen an, wobei ü und ö gemäß dem Duden als standardnäher betrachtet werden können und das Fehlen dieser Laute urtypisch für den pfälzischen Dialekt ist (z.B. fille ,füllen’ und heere ,hören’). Im Hinblick auf die sprachliche Distanz, die Sprachinseln oft zur Umgebungssprache wahren, und im Zusammenhang mit vermuteten Identitätsmarkern ist es außerdem interessant, das Vorkommen der urpfälzischen Laute ɔ: und ɒ: (wie in ‚Frage’ [fʁɔ:] und ‚Frau’ [fʁɒ:]) zu untersuchen. Diese kommen im Standarddeutschen nicht vor und bilden daher einen maximalen Kontrast zwischen Dialekt und Standard. Somit sind diese beiden Vokale gute Kandidaten für die Bewahrung dialektaler Merkmale zur Exklusivstellung der Sprecher. Das heißt, neben der Dokumentation der Merkmale, die abgebaut werden, soll auch der Frage nachgegangen werden, ob prestigereiche primäre Merkmale als Gegenbewegung zur Standardassimilation erhalten bleiben und als sprachliche Marker regionaler Identität bzw. zur Distanzwahrung zur Umgebungssprache umfunktioniert werden.
Für die Untersuchung sollen pro Generation von jeweils sechs Sprechern ca. 20 Minuten Sprachaufnahmen gemacht werden. Die Aufnahmen werden anschließend in einem weiteren Schritt phonetisch transkribiert werden, um so die relevanten Vokale herausfiltern und einer quantitativen Analyse unterziehen zu können.