Kommentar |
Das Neue Testament bringt seine Erzählinhalte oft vor dem Hintergrund von Gottesdiensten oder lässt seine Gestalten in ihren Reden auf Liturgien (im weitesten Sinn des Wortes) anspielen. Darüber hinaus wird für manche seiner Texte vermutet, dass sie aus christlichen Gottesdiensten stammen. Im Neuen Testament lassen sich viele Gelegenheiten aufspüren, die es erlauben, Brücken zu jüdischen und christlichen Liturgien zu schlagen. Weiters gäbe es keinen christlichen Jahreskreis ohne das Lukasevangelium (mit der Apostelgeschichte). Das spätantike Christentum hat das Neue Testament zum Teil mit viel Phantasie zu einem Strukturplan der Organisation der Liturgie in der Zeit gemacht. Viele Texte, die sich in unterschiedlichen Schulstufen als Gegenstand der Reflexion empfehlen, legen Assoziationen zu Liturgien der Gegenwart nahe. Schließlich enthält das Neue Testament die wichtigsten Texte, die in der christlichen Liturgie vorgelesen, zum Teil auch rezitiert werden. Seine Integration in die Gottesdienste führt zu Vorentscheidungen über seine Interpretation. Umgekehrt trägt auch das Neue Testament Interpretationsmuster in die Liturgie. Wer die Karwoche in der Tiefe ihrer liturgischen Entfaltung mitlebt, hat sich mit der Kirche für die Leidenschronologie von Matthäus, Markus und Lukas aber gegen die Darstellung von Johannes entschieden. Wie sich z.B. an dieser Stelle Liturgie und Leidensgeschichte Jesu nicht ohne Spannungen treffen, kann jeder/jede erahnen, der/die sich daran erinnert, wie man ihm/ihr zum ersten Mal im Leben erklärt hat, wie die Zeit zwischen Karfreitag Nachmittag und der Osternacht drei Tage sein soll. In Schule und Katechese können diese (zum Teil verschlungenen) Verbindungslinien nicht als billige Apologien für die Liturgie vor der Bibel sondern als Kunstwerk einer komplizierten Beziehung zwischen beiden zur Sprache gebracht werden. |