Kommentar |
Kommt es heute zu einem Gewaltereignis, wird die Frage, welche Motive für den bzw. die Täter wichtig waren, unmittelbar gestellt. Man möchte zum Beispiel wissen, welchem übergeordneten Zweck die Ausübung der Gewalt gedient hat. Je nach Intensitätsgrad oder Exzessivität der Gewalt vermeint man so, ein Urteil darüber fällen zu können, ob die Gewaltausübung angemessen war (etwa bei "Notwehr" oder bei Verhinderung von Straftaten) oder eben nicht (unrechtmäßige Aneig-nung von Eigentum, sog. "niedere" Beweggründe etc.). Vor Gericht fällt dieses Urteil zwar zumeist anders aus, als es moralisch aufgeladene (auch massenmediale) Berichte fordern. Dass man die Erklärung des Ereignisses über die Rekonstruktion des Intentionalen der beteiligten Person(en) laufen lässt, ist dagegen allgemein anerkannt. Soziologisch interessant an diesem Sachverhalt ist, dass er relativ modern ist. Ohne die Vorstel-lung, dass Individuen überhaupt Motive haben (und diese auch für Urteile belastbar sind), funktio-niert weder das Gerichtswesen noch die angesprochene Berichterstattung. Der Forderung nach Transparenz, was »im Kopf« der Individuen vor sich geht, geht aber merkwürdigerweise eine stär-ker werdende Einsicht über die diesbezügliche Intransparenz einher (daher rühren die Hoffnungen in die sog. bildgebenden Verfahren der Hirnforschung oder auch die eher leeren Worthülsen z.B. nach Attentaten, dass es »letztendlich keine Sicherheit« gebe). Darauf reagiert die soziologische Theorie seit langem (und auch unabhängig von dezidierter Gewaltforschung), indem sie den Stel-lenwert von Intentionalität variiert. Unter diesem Gesichtpunkt sichtet das einführende Seminar die einschlägige Literatur und bietet Gelegenheit für studentische Referate. |
Literatur |
Reemtsma, Jan Philipp (2008): Vertrauen und Gewalt. Hamburg: HIS. Trotha, Trutz von (1997): Zur Soziologie der Gewalt. In: Trutz von Trotha (Hg.): Soziologie der Ge-walt. Opladen: Westdt. Verl., S. 9–56. |