Kommentar |
Im Seminar werden zwei Stränge kultursoziologischen Denkens rekapituliert. Zum einen jene Linie, die im Abendland ihren (etymologisch bezeugten) Ausgang nimmt als "Kultivierung". Sie verläuft von der (griechischen) "epimeleia tes psyches" (Sorge um die Seele) über die lateinische "cultura animi" (Cicero) und wird dabei zunächst als das Problem einer philosophisch inspirierten Lebensform verhandelt, ab dem Mittelalter jedoch als das Problem einer religiös motivierten Lebensführung, im 19. Jahrhundert schließlich tritt Kultivierung auf als eine insbesondere ästhetisch orientierte Lebensstilisierung (vgl. Vorlesung). Man kann diese Linie als eine (im engeren Sinne) kultursoziologische bezeichnen, weil die Soziologie zwar an "Kultivierungen" festgehalten hat, diese jedoch nicht als individuelle Leistungen verbucht, sondern dem Konto von Schicht, Klasse und Milieu gutgeschrieben hat. Die zweite Linie kultursoziologischen Denkens (im weiteren Sinne) setzt vergleichsweise spät ein. Ab etwa der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts beobachtet man die Genese der modernen, zunehmend ökonomisch dominierten Gesellschaft (und die Relativierung von Politik) unter Zuhilfenahme von "Kultur", ein Stichwort, das man auch zum Vergleich zwischen Gesellschaften heranzieht. Heutzutage ist der Kulturbegriff (ethnologisch inspiriert) ganz selbstverständlich nicht nur in den Plural von "Kulturen" gesetzt, er scheint auch "Gesellschaft" inzwischen kannibalisiert zu haben.
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Literatur |
Niklas Luhmann: Kultur als historischer Begriff. In: Ders., Gesellschaftsstruktur und Semantik, Bd. 4, Frankfurt a.M., 1995 S. 31-54
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