Kommentar |
Niklas Luhmann hat in den späten 1960er Jahren einen Begriff des 'sozialen Systems' propagiert, der absichtsvoll so allgemein gehalten war, dass er auf alle Sozialsysteme passt: "von der Weltgesellschaft" bis zur Cocktailparty". 1972 hat Luhmann erstmals eine Typologie vorgeschlagen, die drei unterschiedlich komplexe Sozialsysteme auseinander hält: 'Interaktionen' im Sinne Erving Goffmans als Kommunikation 'unter Anwesenden', ferner 'Organisationen', auf 'formalisierte Mitgliedschaft' gebaut, schließlich von kommunikativer Erreichbarkeit her gedacht: 'Gesellschaft'. Für die damit bezeichneten drei Ebenen des Sozialen soll gelten, dass sie aufeinander nicht zurückführbar sind. Auf den ersten Blick scheint Luhmann mit dieser seiner Typologie eher isoliert auf dem Feld der Soziologie dazustehen; das Seminar wird zeigen, dass dem keineswegs so ist und dass die Typologie ins Fach hinein vielfältig kontaktfähig ist. Mit der Ebenentrias bricht Luhmann, wie deutlich werden soll, in mehrfacher Hinsicht mit der soziologischen Tradition. Vor allem: er ersetzt die in Teilen der Soziologie noch immer dominierenden dualen Begrifflichkeiten durch eine dreistellige Typologie sozialer Systeme und befreit die Soziologie damit von der alten Fixierung auf den Gegensatz von Individuum und Gesellschaft, einem ja sehr ungleichen Paar (heute bevorzugt Mikro/Makro). Zugleich positioniert er Organisation(en) an soziologisch vorderster Front. In Übereinstimmung mit Goffman begreift er Interaktionen (Kommunikation face-to.face) als Sozialsysteme eigenen Rechts; zugleich aber stellt er sich gegen die sozialphänomenologische Tradition, die der Komunikation unter Anwesenden den privilegierten Status des 'Originalmodus des Sozialen' zuspricht. Interaktionen sind für Luhmann damit ein Sozialsystem neben anderen. Sie stellen den Mikrofall des Sozialen dar, im Gegenüber zum Makrofall der Gesellschaft; diese ist für die Moderne 'Weltgesellschaft'. Die Veranstaltung ist einerseits bemüht, die Systematik der Luhmannschen Typologie herauszuarbeiten, und natürlich kann sie deren 'Fraglichkeiten' - etwa: warum nur drei Typen? - nicht beiseite lassen. Das Seminar folgt dabei der Ebenendifferenzierung von der Mikro- über die Meso- zur Makroebene. Das nötigt zur Auseinandersetzung mit Mikrosoziologie und Interaktionstheorie und ebenso mit der Organisationssoziologie. Des Weiteren führt das Seminar heran an Fragen der Gesellschaftstheorie und die aktuellen Debatten um Weltgesellschaft und Globalisierung. Andererseits aber geht es dem Seminar darum, die Luhmannsche Ebenendifferenzierung des Sozialen ins Gespräch zu bringen mit anderen Theorien und Forschungsprogrammen des Faches, sei es älteren und klassischen, sei es aktuellen und konkurrierenden. Zum Einlesen sei empfohlen: N. Luhmann, Soziologische Aufklärung 2: Aufsätze zur Theorie der Gesellschaft. Opladen 1975; dort die ersten vier Aufsätze. |