Merkels Flüchtlingspolitik: Humanistische Willkommenskultur als globale Interventionspolitik: Der Türkei-Vertrag und die „Fluchtursachenbekämpfung“ in Afrika

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Nicht nur den Vertrag der EU mit der Türkei zur Flüchtlingspolitik, sondern auch die jüngeren Frontex-Beschlüsse kritisieren die frisch gewonnenen Anhänger der "Willkommenskultur" vom letzten Herbst als ein "Zurückrudern": Merkel habe sich wieder auf den Standpunkt des "Abschottens" der europäischen Außengrenzen zurückgezogen und damit denjenigen Staaten Recht gegeben, die ihre innereuropäischen Grenzen gegen Flüchtlinge abdichten - so die Freunde von „refugees welcome“. Umgekehrt applaudieren Rechte und Rechtsradikale - wenngleich erst zaghaft: Es werde ja auch Zeit, dass Merkel die Flüchtlingswelle stoppt und der "Willkommenskultur", die zur "Umvolkung" der Deutschen führt, ein Ende bereitet.

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Dazu ist festzustellen: Wer in dem Vertrag der EU mit der Türkei allein das Abschrecken von Flüchtlingen entdeckt, hat nicht nur den zentralen Gehalt dieses Vertrags verpasst, sondern bereits die "Willkommenskultur" als Ausdruck deutscher Menschenfreundlichkeit und das deutsche Asylgrundrecht als Instrument selbstloser Flüchtlingshilfe fehlgedeutet - egal ob als rechter Kritiker oder als linker Befürworter.

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Dabei lässt die Kanzlerin keinen Zweifel daran aufkommen, dass sich ihre Absicht, über die Neuregelung der Schengenaußengrenze die "Flüchtlingszahlen dauerhaft und nachhaltig zu reduzieren", nur als ein Vertragsbestandteil in die politische Kontrolle der Ägäis-Fluchtroute einfügen soll. Überhaupt will sie Schluss machen mit demunkontrollierten Einsickern von Massen " illegaler Migration“ nach Europa. Dafür soll in einem ersten Schritt der Türkei-Vertrag taugen. Den Erdogan-Staat will sie dafür in die Pflicht nehmen wie neuerdings auch zahlreiche afrikanische Staaten wie Tunesien und Staaten südlich der Sahelzone. Das fällt bei ihr unter „Fluchtursachenbekämpfung“. Und der soll sich auch der G20-Gipfel, der 2017 in Hamburg unter deutscher Leitung stattfindet, zentral widmen.

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Die Umsetzung so eines Vertrags wie der mit der Türkei geht nicht ohne Zerwürfnisse ab: Zum einen, weil europäische "Partner" wie Ungarn, Polen, Tschechien etc. nicht gewillt sind, sich über das deutsch-definierte Vertragswerk die Hoheit über ihre nationalen Grenzen weiter beschneiden zu lassen; und zum anderen, weil die türkische Führung die Einmischung Europas in ihre innen- und außenpolitische Angelegenheiten nicht ohne Gegenleistungen durch Europa akzeptieren will. In jüngster Zeit eskaliert der Streit zwischen den "NATO-Partnern": Jede Seite deutet die Ansprüche von der anderen Seite fast schon als feindliche Akte.

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Solche Konfrontationen mit - mehr oder weniger - sperrigen Eigeninteressen von Staaten innerhalb und außerhalb Europas schließt die global angelegte Flüchtlingspolitik a la Merkel zwangsläufig ein. Diese Politik ist ohne die Reklamation von Aufsichtsinteressen über alle Staaten, die von der Flüchtlingskrise „betroffen“ sind, nicht zu haben. Nichts anderes als das hat die Kanzlerin vom Herbst vorletzten Jahres an öffentlich mitgeteilt, in ihr Programm eingebaut, also gewollt und nach innen und außen beharrlich betrieben.