Ulf-Dietrich Korn

Wandlungen eines Baudenkmals

Vom Umgang mit der Geschichte des Krameramtshauses

Max Geisberg hat zweimal recht ausführlich zu Bau und Ausstattung des Krameramtshauses geschrieben, so daß es fast müßig erscheint, dieses Thema noch einmal aufzugreifen. Aber seither ist ein halbes Jahrhundert vergangen, eine Zeit, die Gesicht und Gestalt der Stadt grundlegend verändert hat. Im Bombenhagel des Zweiten Weltkriegs ist der weitaus größte Teil ihrer Bau- und Kunstdenkmäler unwiederbringlich verloren gegangen, verbrannt, zerschlagen, beim Abräumen der Trümmer beseitigt oder den Notwendigkeiten des Wiederaufbaues geopfert. Nahezu der gesamte Bestand an Profanbauten vom Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert, an denen Münster schier unermeßlich reich war und die Geisberg in seinen Inventarbänden auch keineswegs vollständig hat erfassen können, war in den Kriegsjahren und in der Nachkriegszeit vernichtet worden. So erschien es fast wie ein Wunder, daß 1945 inmitten der Trümmerwüste das Krameramtshaus am Alten Steinweg nahezu unversehrt aufrecht stand. Vom Schicksal des Hauses in den Jahren danach soll im folgenden die Rede sein, aber auch davon, was der Bau in den vorangegangenen Zeiten über sich hat ergehen lassen müssen.

 

 

Der Außenbau

Das 1589 für das Krameramt von einem unbekannten Baumeister errichtete Haus ist ein stattlicher, zweigeschossiger Backsteinbau auf hohem Bruchsteinkellersockel von gut 30 m Länge und etwa 9,50 m Breite. Die Fassade zum Alten Steinweg ziert über der Traufe der reiche, mit Lisenen, Halbsäulen und Gesimsen gegliederte und mit Fächerrädern besetzte Staffelgiebel, den die reichgeschmiedete Wetterfahne bekrönt. Der rückwärtige Giebel wiederholt Aufbau und Gliederung der Hauptfassade in vereinfachter Form unter Verzicht auf Halbsäulen und kleinteilige Dekorationsformen. Er ist mit dem Aufwand an Architekturformen für einen münsterischen Rückgiebel ungewöhnlich gestaltet. Das wird damit zu erklären sein, daß das Haus an drei Seiten frei stand und der Rückgiebel in seiner ganzen Größe von der Kirchherrngasse her einzusehen war und ist.

An der südöstlichen Traufseite zu dieser Gasse – heute durch die (noch) unbebaute Fläche zwischen Kirchherrngasse und Asche völlig freigestellt und von weither sichtbar - reihen sich gleichmäßig die sechs hohen, dreibahnigen Fenster des vorderen Saales. Ein schmaler Mauerstreifen markiert die Trennwand zum Hinterhaus mit dem "Steinwerk", das an dieser Seite durch zwei gleichfalls dreibahnige Fenster belichtet wird. Die Wandfläche zwischen ihnen zeigt, wo im Steinwerksaal der Kamin steht. Der zugehörige Schornsteinkopf über der Traufe fehlt leider seit den Nachkriegsjahren. Die hohen Erdgeschoßfenster teilt in zwei Fünftel ihrer Höhe ein von Hausecke zu Hausecke und über die Giebelseiten durchlaufender Wasserschlag. Die unteren Fenster haben Holzrahmen und Flügel zum Öffnen; die Bleiverglasung der Oberfenster ist fest eingeputzt. Ein Zahnschnittgesims zwischen Sturz und Entlastungsbogen schließt die Fensterzone ab. Darüber reihen sich die Maueranker für die Balken der Geschoßdecke und die Steinkreuzfenster des Obergeschosses, die jeweils genau in den Achsen der Saal- und Steinwerksfenster liegen. Wie der Wasserschlag im Erdgeschoß läuft hier ein Zahnschnittgesims durch die Steinbrücken und bindet die Fensterreihe in straffer Horizontalgliederung zusammen. Nur im Bereich der Trennwand zwischen Vorderhaus und Steinwerk setzt er am Sandsteingewände eines heute vermauerten Fensters aus: Hier befand sich bis zur Nachkriegszeit eine zweiflügelige Lukentür, und darüber sitzt knapp über der Traufe das Dachhäuschen für den zugehörigen Aufzug. Tür und Kranhäuschen geben Aufschluß über die Funktion von Obergeschoß und Dachboden als Lagerraum für Waren aller Art, das gemeinschaftlich für die Krameramtsgenossen eingekaufte Getreide oder heimlich eingeführtes Handelsgut fremder Kaufleute, welches das Krameramt aufgrund seines Vorkaufsrechts konfiszieren und sicherstellen konnte.

 

Kirchherrngasse 1900
Die Kirchherrngasse von Norden um 1900: Am Ende das Krameramtshaus und das hellgeputzte ehemalige Küchengebäude mit Krüppelwalmdach des 19. Jahrhunderts
© Westfälisches Amt für Denkmalpflege, Sammlung Hötte

Die Hauptfassade zum Alten Steinweg ist bis zum Giebelansatz auffallend schlicht und entspricht in ihrer Gliederung und reichen Durchfensterung grundsätzlich der Traufseite. Man folgte hiermit offenbar der älteren münsterischen Baugewohnheit, nach der die reichere Ausgestaltung der Fassade erst mit dem Giebelansatz begann. Daneben gab es, etwa seit 1564/65, große Schaufronten, die durch Lisenen oder Säulen und Gebälkzonen, vom Sockel aufsteigend, durch alle Geschosse bis zur Giebelspitze gegliedert waren. Die einzig erhaltene dieser münsterischen Prachtfassaden ist die des Heeremanschen Hofes Königsstraße 47. Eigentümlicherweise hat man dieses neue System der vollständigen Durchgliederung der Schaufronten schon nach recht kurzer Zeit, vor 1580, wieder aufgegeben und ist zur älteren Gewohnheit zurückgekehrt, freilich mit dem neuen Formenkanon der Renaissance-Architektur nach dem Vorbild des Drostenhofes in Wolbeck von 1557. An den Giebeln seines Herrenhauses waren Lisenen, Simse und kugelbesteckte Halbkreisaufsätze zum ersten Mal in der münsterländischen Architektur verwendet worden. In der Stadt folgten diesem Muster die Fassade des "Guldenarm", Rothenburg 44, von 1583, der schon 1752 beim Umbau durch Johann Conrad Schlaun verschwundene Giebel des Landsberger (Velener) Hofes Aegidiistraße 63 (um 1590) und eben Vorder- und Rückgiebel des Krameramtshauses von 1589.

Aber noch in anderer Weise setzte man hier die gewohnte Bauweise fort: mit der Musterung der Backsteinflächen. Es ist bisher nicht aufgefallen oder wenigstens nicht in der Literatur festgehalten, daß sich am Krameramtshaus Reste einer dekorativen Gliederung des Mauerwerks durch schwarzgebrannte Köpfe erhalten haben. Nicht nur die Entlastungsbögen über den Kellerfenstern an der Traufseite zur Kirchherrngasse zeigen – wenn auch durch Auswechslungen stark gestört – einen regelmäßigen Wechsel von roten und schwarzen Steinen, auch im Wandstreifen unter den Sohlbänken der Erdgeschoßfenster lassen die vielfach verstreuten dunklen Backsteine auf ein fortlaufendes Muster von Rautenformen schließen. Unter dem dritten Fenster von Süden fällt im 'Negativ' (durch ausgewechselte hellrote Steine sichtbar) eine diagonale Kreuzform auf, ebenso – mit schwarzen Köpfen – unter dem Pfeiler zwischen dem fünften und sechsten Fenster. Mögen diese Spuren auch unklar sein, deutlich ist bei gutem Licht ein Rautenmuster am Mauerstreifen zwischen Saal und Steinwerk über und unter dem Was-serschlag zu sehen, und Reste einer kleineren Raute zeigt das Mauer-werk an der Kaminwand des Steinwerks. Auch die Fassade zum Alten Steinweg zeigt im Wandstreifen neben dem linken Fenster zwischen Wasserschlag und Zahnschnittgesims eine große diagonale Kreuzform.

Wie man sich die vollständige Form und Wirkung eines solchen Ziermusters auf den Backsteinflächen vorzustellen hat, zeigen heute noch am besten die Giebel des Wolbecker Drostenhofes und das Torhaus des Schlosses Drensteinfurt (1585-1591). Ob – wie in Wolbeck – auch die Backsteinflächen der Giebelstaffeln des Krameramtshauses so durchgemustert waren, läßt sich nicht mehr feststellen; denn auch die älteren Lichtbilder geben darüber keinen Aufschluß. Das Überziehen der sonst ungegliederten Wandflächen entspringt wohl dem gleichen 'horror vacui', der Angst vor der leeren Fläche, der anderwärts zur dekorativen Inkrustation von Mauerwerk mit edleren Materialien, zu Sgraffitomustern, Fassadenmalerei und Streifenputz geführt hat. Es war dabei gleichgültig, ob die Dekoration gemauert, in den Putz geritzt, der Wand vorgeblendet oder durch Malerei imitiert wurde; entscheidend waren nicht die Technik der Ausführung oder die "Echtheit" des Materials, sondern Erscheinungsbild und dekorative Wirkung.

Zur architektonischen Gliederung des Giebels und der dekorativen Musterung der Backsteinflächen trat als weiteres Mittel für die ornamentale Behandlung der Außenhaut des Gebäudes die Malerei. Sie ist heute nur noch bzw. wieder an einem kleinen Detail der Hauptfasssade abzulesen. Hier war bis zum Abbruch der Ruine des Nachbarhauses Alter Steinweg 6 ein anderthalb Steine breiter Wandstreifen des Krameramtshauses vom Boden bis zum Giebelansatz durch eine Backsteinwand verdeckt, mit der man 1879 die weit vorspringende rechte Traufseite von Nr. 6 "zur Erreichung einer harmonischen Gesamtwirkung mit dem Krameramthausgiebel" maskiert hatte. Dieser Streifen setzt sich durch eine etwas hellere Färbung vom Fassadenmauerwerk ab und zeigt, zumindest in Teilen am Obergeschoß, noch die originale Oberfläche von 1589. Links neben dem Fenster und unter der Zahnschnitt-Fensterbrücke ist deutlich zu sehen, daß die Fugen mit weißen Strichen nachgezogen sind, außerdem tragen die beiden Backstein-schichten unter dem etwas abgesetzten Endstück des Zahnschnittgesimses zwei aufgemalte Ornamentstreifen: Unter jedem 'Zahn' des Gesimses ist die rote Backsteinoberfläche mit weißer oder heller Farbe schwalbenschwanzförmig abgedeckt. Die nächsttiefere Schicht trägt Weiß auf Rot einen Fries aus vier locker durcheinandergeflochtenen schmalen Bändern. Gegenläufig angeordnete, breit ausgezogene, aufrechte und gestürzte Kielbögen oder Eselsrücken durchkreuzen zwei gegenläufige Wellenlinien, so daß sich liegende Spitzovale in der Durchdringung mit liegenden geschweiften Rauten ergeben. Diese Ornamentstreifen werden sich zweifellos um den ganzen Bau herumgezogen haben, und es steht zu vermuten, daß auch unter dem geschoßteilenden Zahnschnittgesims und unter dem Wasserschlag der Erdgeschoßfenster ähnliche Friese gemalt waren. Außer diesem kleinen Rest haben sich jedoch keine weiteren Spuren ausmachen lassen.

Das Nachziehen und Korrigieren der Fugen war im 16. und 17. Jahrhundert üblich; es ist auch heute noch an vielen Bauten zu belegen, ebenso die Bereicherung des Fugennetzes durch aufgemalte Bogenformen und Schrägstriche (z. B. Spieker von Haus Kump, Torhaus von Haus Borg). Ornamentbänder unter Gesimsen und Wasserschlägen sind seltener zu finden, doch vermerkt Geisberg auch ein Beispiel aus Münster. Bei Restaurierungsarbeiten am Schulbau des alten Jesuitenkollegs Johannisstraße 9 fand sich 1920 nahe dem westlichen Treppenturm unter dem Kaffgesims der Fenster des zweiten Obergeschosses ein breites, zweiteiliges Ornamentband. Auf die übertünchten Backsteine war mit roter und weißer Farbe ein schachbrettartig gemusterter Wellenfries gemalt, darunter ein Band aus liegenden Rauten. Alles in allem präsentierte sich das Krameramtshaus nach seiner Vollendung 1589 in seinem äußeren Gestalt wesentlich anders als es heute überliefert ist: klein- und feinteiliger dekoriert und zudem farbiger, wobei wir nicht einmal wissen, ob und wie die Klappläden an den Unterfenstern des Speicherstocks und der beiden Giebelgeschosse farbig gefaßt waren und ob nicht einzelne Teile der Giebelarchitektur durch farbige Fassung oder Vergoldung hervorgehoben waren. Heute ist die Farbigkeit allein auf das warme Rot der Backsteinflächen und das Graugelb der Werksteinteile reduziert.

 

Aedikula
Die 1896 vollständig erneuerte Ädikula mit der Figur der Justitia über dem Haupteingang des Krameramtshauses, 1989
© Westfälisches Amt für Denkmalpflege, Korn)

Inmitten der Hauptfassade am Alten Steinweg sitzt zwischen den Obergeschoßfenstern wie eine kostbare Agraffe die ganz aus Sandstein gearbeitete Ädikula mit der Figur der Justitia. Feinteiliges Ornament, Engelsköpfchen und Beschlagwerkwangen schmücken das Gehäuse, und im Sockel trägt eine Rollwerktafel die Inschrift : „Iustitia innocentis viam/custodit. Impietas autem/peccatarem [!] suppantat/Prov. 13.6” (Die Gerechtigkeit behütet den Weg des Unschuldigen; aber das gottlose Wesen bringt zu Fall den Sünder. Sprüche Salomonis 13,6). Justitia hat seit langem die Waage und die Schwertklinge verloren’. Sie erscheint hier als Patronin des Krameramts; Schwert, Waage und das Bibelzitat sollten ohne Zweifel die unter ihr in das Gildehaus eintretenden Krameramtsgenossen nachdrücklich ermahnen, auf rechtes Maß und Gewicht genau zu achten und sich kleiner Mogeleien oder großen Betruges zu enthalten. Die Justitia steht auch im Siegel des Krameramts, das vermutlich bald nach der Restituieung der münsterischen Gilden im Jahre 1553 geschnitten worden ist, während die Wetterfahne auf dem Giebel ebenso wie die Wappentafel der münsterischen Gilden von 1598 als Wappen der Kramer eine aus Wolken im Obereck hervorbrechende Hand mit einer Waage zeigt. Hier ist die Waage sicherlich nicht als Attribut der Justitia gemeint, sondern als typisches und charakteristisches Zeichen des Berufsstandes.

Das Innere

Das Innere des Krameramtshauses hat Max Geisberg im Zustand von 1771 bzw. 1934 geschildert. Das Vorderhaus nimmt der große, hohe und durch die vielen Fenster reichlich belichtete Saal ein, in dem sich die Krameramtsverwandten zu Sitzungen und Banketten versammelten. Im kleinen und schmaleren, aber reichem ausgestatteten Kaminsaal, dem “Steinwerk”, trafen sich die Vorsteher des Amtes, Gildemeister und Scheffer, zu ihren Beratungen. Neben diesem Raum gab es einen schmalen Durchgang zur Hoftür und zu dem Abort, der an diesem Gang in einem kleinen Anbau vor dem Rückgiebel lag. Am Anfang dieses Ganges aber, noch mit drei Seiten in den großen Saal ragend, lag auch die Wendeltreppe, die das Erdgeschoß mit Keller, Speicherstock und Dachboden verband. Ihr unterster Lauf wird aus Stein gewesen sein; vom Erdgeschoß an aufwärts war sie aus Holz.

Eine Küche gab es im Krameramtshaus nicht; sie lag – vielleicht wegen der Feuergefahr – in einem kleinen Hintergebäude jenseits des Höfchens an der Kirchherrngasse und beherbergte zugleich die Wohnung des Gildedieners. Bis weit in das 19. Jahrhundert hatte das Haus ein Pultdach, wie es schon Everhard Alerdincks Vogelschau von 1636 zeigt, und erst 1870, als hier noch der Leihamtsbote seine Wohnung hatte, wurde es umgebaut und bekam ein Satteldach mit Krüppelwalm. Vorher bestand die „ganze Wohnung ...aus 2 Stuben an der Kirchherrngasse und einer großen Küche, im Dache befindet sich noch eine Dachkammer”. In der Küche lag „in der Hausecke” ein alter Backofen, darüber eine Treppe sowie ein Holzverschlag. Hier also wurde für die Gildezechen und andere Festlichkeiten gebacken, gesotten und gebraten, und man mußte die Speisen dann über den Hof und durch den schmalen Gang ins Steinwerk und auf den großen Saal tragen. 1820 ist von der Küche die Rede bei einem Fastnachtsball, den ungefähr 300 Personen besuchten. Bei diesem Fest wurden „Bier, Pfeifen und Tabak bloß auf dem Steinwerk und der Küche ausgegeben.

 

 

 

Grosser Kamin
Der große Kamin im Steinwerk mit den 1771 vorn untergestellten Säulen, 1939
© Westfälisches Amt für Denkmalpflege, Bildarchiv

Das ‘Steinwerk’ im Hinterhaus war offenbar stets der besonders aufwendig und reich ausgestattete Raum des Hauses. Die Täfelung, die der Kleinschnitzler Meister Henrich Paßmann 1621 einbaute, hat Geisberg zu Recht gerühmt: „Seine Arbeit scheint mir unter den drei Täfelungen in Münster hinsichtlich der Klarheit ihres Aufbaues und der künstlerischen Zurückhaltung in den Ansprüchen an das verwandte Material an erster Stelle zu stehen. Auch den Kamin hat Geisberg ausführlich gewürdigt und festgestellt, daß er nach den Stilformen erst zu Anfang des 17. Jahrhunderts entstanden sein könne, dagegen nicht schon zur Bauzeit des Hauses’. Wenn der Kamin etwa zugleich mit der Täfelung erst 1621 eingebaut wurde, wie sah der Raum in der Zwischenzeit, seit 1589, aus? Warum warteten die Kramer 32 Jahre mit der endgültigen Ausstattung des Steinwerks? Hatten sie sich mit dem Bau finanziell übernommen und brauchten Zeit, um neues Kapital zu sammeln? Immerhin, die stuckierte Balkendecke im Beratungszimmer war offensichtlich mit dem Bau des Hauses fertiggeworden. Geisberg hat ihr nur wenige Zeilen gewidmet; er fühlte sich angesichts ihrer strengen Formen „fast an Metallarbeiten” erinnert. Sie gehört zum Typ der „Kölner Decken” und ist innerhalb der geometrischen Rahmenformen zwischen den Balken mit vielerlei aus Modeln geformten Schmuckwerk versehen: Fächerrädern, Rosetten, Diamantquadern, Rollwerkrahmen, Löwenmasken, Bocksfratzen und römischen Kaiserköpfen, fast alles in einer großen und einer kleinen Form, so daß man für die verschiedenen Zwickel, Winkel, Medaillons und Halbkreise passende Zierformen zur Hand hatte. Auch die Balkenunterseiten sind verziert; hier stehen im Wechsel gegenläufige Bänder und an einer Schnur aufgereihte, durchbohrte Scheiben.

Die Decke war zu Geisbergs Zeit die einzige dieser Art in Münster. Es wird solche Decken auch nur in opulent ausgestatteten Häusern gegeben haben, wenngleich Wilhelm Rincklake 1876 schrieb: „Diese Art der Deckenausbildung war in Münster zu Anfang des Siebzehnten Jahrhunderts eine sehr häufige; so findet sich fast ganz dieselbe Decke in dem Hinterhause des Gesellenvereins”. Weitere Beispiele für solche Balken-Stuckdecken gibt es außerhalb der Stadt, in Haus Brückhausen an der Angel bei Alverskirchen (Gem. Everswinkel). Sie gleichen der Decke von 1589 im Krameramtshaus weitgehend in der Komposition und völlig in den Einzelheiten der Rosetten, Fächerräder, Masken und Rahmen, und sind vermutlich von der gleichen Werkstatt geformt worden.

Wie der vordere, große Saal ursprünglich ausgestattet war, darüber schweigen die zeitgenössischen Quellen. Geisberg nahm an, daß er vor 1771 „in seinem Schmucke dem Steinwerk im nördlichen Drittel des Hauses entsprach”, also mit Wandvertäfelung und Stuckdecke ausgestattet war. Erst die Kriegsschäden und ihre Folgen machten hier genauere Beobachtungen möglich; denn durch die schweren Erschütterungen bei den rundum fallenden Sprengbomben war die Stuckdecke von 1771 völlig abgestürzt. Ein Bericht von Dr. Hans Thümmler vom 23. Januar 1946 mit zwei farbig angelegten Zeichnungen und zwei Lichtpausen, die der Architekt Hans Ostermann am 16. Januar 1946 an den Provinzialkonservator Dr. Rave schickte, geben Auskunft über die neuen Befunde. Thümmler schreibt, durch die Zerstörung der Stuckdecke sei „eine alte bemalte Holzdecke zum Vorschein gekommen, eine Balkendecke, die den ganzen Saal überdeckt und deren Bretter auf 13 eichenen Balken von 28 x 32 cm ruhen. Auf den Wänden sitzen die Balken auf Volutenkonsolen auf, die an der geschlossenen Wand aus Stein und an der Fensterwand abwechselnd aus Stein und Holz gebildet sind. Die ornamentale Behandlung ist die gleiche wie die der Konsolen im Saale des Steinwerks. Die Bretter zwischen den Balken sind etwa 40 cm breit dem Raum über dem Saale dienen sie als Fußboden.

Die gesamte Decke einschließlich der Balken war bemalt. Leider ist der Erhaltungszustand der Malerei sehr schlecht. Viele Bretter sind erneuert oder versetzt, bei anderen waren die Malereien abgeblättert oder verwischt Die erhaltenen Reste lassen aber klar das Dekorationssystem erkennen und vermitteln einen ungefähren Eindruck von der einstigen Pracht der Decke.

Die 13 Felder zwischen den Balken haben eine Breite von je etwa 110 cm. Ihre Bemalung besteht aus einem sich wiederholenden ornamentalen System von Vasen, Kartuschen, Festons und Masken, die untereinander durch Beschlägornamente verbunden sind. An den Abseiten war das Dekorationssystem in jedem Feld von [...] einer männlichen oder weiblichen Büste abgeschlossen. Fünf solcher Büsten waren noch erhalten Die Kartuschen sind in Formen von abwechelnd runden und rechteckigen Schilden gebildet. Die Rundung der Schilde wird noch einmal von einem Hermenpaar gefaßt.

Die Farbgebung ist fast pastellartig zu nennen. Von einem weißen untergrund hebt sich die Dekoration in grünen, braunen, grau-lila, oker, ziegelroten, hellblauen und gelben Tönen ab. Der blau-graue Grund der Schildkartuschen wird noch von hellgrauen Maureskenmalereien geziert. Die Masken und Büsten sind als schwach getönte Grisaillen gegeben.

Auch die Balken waren bemalt, die Unterseite mit einem Palmettenfries, die Seiten mit einem spiralartigen Ornament. [...] Es sind genügend Reste der einstigen aufwendigen Ausmalung erhalten, um eine Rekonstruktion des alten Bestandes durchführen zu können.

Neben der Decke waren auch die Wände bemalt. An der inneren Eingangswand sowie an den Stirnwänden über den Fenstern und in den Fensterleibungen zeigen sich Farbspuren von ornamentalen Beschlagwerkformen und farbigen, durch Bänder verbundenen Scheiben (blau, rot, gelb, grün, schwarz) [...]. Der ganze Raum muß mit seiner bemalten Holzdecke und den bemalten Wänden einen festlich heiteren Charakter gehabt haben, der in einem anderen Bauwerk in Münster bis jetzt in gleicher Weise nicht bekannt ist [...]. Die zeitliche Festlegung der Malereien läßt sich aufgrund der charakteristischen Bechlägornamentformen ohne Schwierigkeit in die Zeit nach der Erbauung des Hauses im Jahre 1589 festlegen.

Ehr Is Dwang Hnog
"Ehr is Dwang gnog" stand in Frakturlettern in der zarten frühklassizistischen Stuckdekoration an der Ofennische im großen Saal
© Stadtarchiv Münster, Bildarchiv Werbe- und Verkehrsamt

All diese manieristischen Köstlichkeiten deckte die Stuckdekoration von 1771 zu. Sie war – selbst für damalige Zeiten – recht sparsam, fast karg ausgefallen und bestand eigentlich nur aus zwei großen, gleichartig geformten Deckenrosetten um die Leuchteraufhängung, die über Eck gestellt mit Profilleisten gerahmt und von Blüten und Festons umgeben waren. Der Kamin- oder Ofenplatz in der Mitte der fensterlosen Westwand war zu einer monumental wirkenden, portalartigen Architektur umgeformt worden. Zwischen Nische und Gebälk stand auf einem Spruchband, das durch Lorbeer- und Eichengeäst und einen Kranz in der Mitte gewunden war, die vielzitierte Devise des Kaufmannsamtes ‚,Ehr is Dwang gnog”. Geisberg schreibt, daß die Kramer den Saal „nach Entwürfen des Kanonikus Ferdinand Wilhelm Lipper umbauen ließen”. Auch wenn eindeutige Beweise dafür – zumindest heute – nicht mehr vorliegen, möglich ist dies durchaus; denn allem Anschein nach ist diese Dekoration das erste Belegstück für den neuen Stil des Louis Seize in Münster – und das noch zu Lebzeiten des alten Schlaun, der beim Schloßbau noch die gewohnten späten Rokokoformen verwendete. Zu diesem frühen Zeitpunkt kommt nur Lipper als Autor in Frage, der zudem die Anfänge des neuen ‘Zopfstils schon’ in seinen Pariser Jahren hatte studieren können.

Das Krameramtshaus im 19. Jahrhundert

Diese und manch andere Fragen lassen sich nicht beantworten: Entweder sind schriftliche Nachrichten und Belege nicht erhalten oder die entscheidenden Befunde am Bau selbst sind verwischt oder getilgt; denn das Haus hatte nach der Auflösung des Krameramts 1810 ein bewegtes Schicksal. Zunächst blieb es wohl gemeinschaftlicher Besitz der ehemaligen Mitglieder des Krameramtes und wurde wie seit jeher für Festlichkeiten von Bruder- und Nachbarschaften vermietet. 1821/1822 erhielt der große Saal im Vorderhaus neue Sprossenfenster mit 24 Scheiben in jedem Fenster; die Rahmen und Flügel wurden beiderseits mit weißgrauer Ölfarbe gestrichen.

Mit Vertrag vom 12. April 1824 verkauften die „Deputirten des früheren Kramer-Amts” das Haus an ein vierköpfiges Kaufmannskonsortium, in dem Hermann Hassenkamp, Clemens August Brockmann, Ignaz Hüger und Johann Hermann Hüffer saßen. Diese bzw. ihre Erben veräußerten es knapp zwanzig Jahre später an die Stadt, die dringend ein Lokal für die 1828 eingerichtete städtische Leihanstalt suchte. Der bauliche Zustand war schlecht, aber für die notwendige gründliche Wiederherstellung fehlten die Mittel. Erst 1844 bewilligten die Stadtverordneten für den Umbau 1400 Taler. Die hölzernen Teile der Wendeltreppe zum Speicherstock und zum Dachboden wurden beseitigt; als Ersatz wurde vor der Wand zum Steinwerk eine offene, geradläufige Holztreppe zum Obergeschoß angelegt.

1865 hat die Stadt das Haus oder zumindest die Fassade renoviert. Davon kündet die Inschrift in der linken Staffel des zweiten Giebelgeschosses. Der Umfang der Arbeiten ist nicht bekannt, weil die Akten fehlen. Vielleicht hat man damals das Erdgeschoß der Front zum Alten Steinweg mit einem dünnen Schlämmputz überzogen, der das störende Nebeneinander von alten und jüngeren Fenstergewänden wohltätig überdeckte und bis 1950 bestand.

Zum Jahreswechsel 1872/1873 wurde die Pfandleihanstalt aufgelöst; neuer Mieter wurde der Provinzialverein für Wissenschaft und Kunst. Dieser Verein hatte schon vorher allerlei Pläne für sein Domizil beraten, unter anderem auch für einen Neubau in der Promenade vor dem Mauritztor; jetzt konnte er mit Vertrag vom 27. Oktober 1873 „das sog. Kramer-Amthaus mit dem daran stoßenden kleinen Wohnhause, jedoch mit Ausschluß der zur Zeit von der Kämmereikasse separat vermietheten Keller zunächst auf sechs Jahre” zu einem jährlichen Mietzins von 400 Mark übernehmen. Der Provinzialverein war dabei berechtigt, eine neue Treppenanlage nach Plan des Architekten Hanemann auf seine Kosten ausführen zu lassen. In der folgenden Zeit wurden allerlei Varianten für die Erschließung des Obergeschosses und die Anlage von notwendigen Nebenräumen wie Aborten etc. erörtert, wobei man besonderen Wert darauf legte, die großen Säle von Einbauten freizuhalten. Da der Gang neben dem Steinwerk für den Einbau einer Treppe zu schmal war – man mußte ja auch die rückwärtige Tür zum Hof freihalten -, fiel schließlich die Entscheidung zugunsten eines schmalen Treppenhaus-Anbaus am Rückgiebel, doch blieb die offene Innentreppe von 1844 anscheinend bestehen. Die Bauarbeiten wurden bis zum November 1874 ausgeführt. Dabei mußte man im Zwischengeschoß über dem Durchgang neben dem Steinwerk die Fachwerkwand ein wenig in den kleinen Saal hinein verschieben; die so entstehende Vorkragung des oberen Wandteils im Steinwerksaal nahm man dabei in Kauf – und sie besteht noch heute.

Auch um die Wiederherstellung der Innenausstattung bemühte man sich intensiv, nachdem der Architekt Hanemann in einem Brief vom 10. Januar 1874 den „traurigen Zustand” von Holzgetäfel und Kamin beklagt hatte. Auch der Geheime Regierungsrat Engelhard hielt die Wiederherstellung für dringend notwendig, ihm schloß sich Hilger Hertel d. Ä. an, doch bemerkte er, die Wiederherstellung an der Nordseite sei wegen der (hier offenbar nach oben vergrößerten) Kellerfenster schwierig ; außerdem sei der hier vorhandene Rest der Lambrie neueren Datums und passe zu der oberen Vertäfelung nicht. Alles sei mit einem Ôlanstrich versehen. Am 19. August 1874 besichtigte eine Baukommission das Steinwerk und befand die Restaurierung gleichfalls als dringend nötig. Die überschlägig ermittelten Kosten von 1500 Talern solle zu zwei Dritteln die Stadt tragen, den Rest der Provinzialverein. Nach allerlei Hin und Her um eine vollständige Restaurierung oder eine vorläufige Reparatur (die 753 Taler kosten sollte) stellte sich heraus, daß kein Tischler die Arbeit übernehmen wollte und daß auch der Provinzialverein nicht zur Zahlung seines Drittelanteils bereit war, weil das Krameramtshaus ohnehin ein halbes Jahr später als vorgesehen fertiggeworden sei. Daraufhin beschlossen Stadtverordnete und Magistrat im Mai 1875, von der Wiederherstellung ganz abzusehen und die aus dem Steinwerk entfernten Teile „an sicherem Orte aufzubewahren und gegen Beschädigung zu schützen”.

Steinzerfall war auch zu Ende des 19. Jahrhunderts schon ein Problem, das hohe Kosten verursachte. Der Antrag des Stadtbaumeisters Bender, für 8.160 Mark die notwendige Instandsetzung des verwitterten Vordergiebels samt Reparatur des Rückgiebels vorzunehmen, wurde aber am 28. Mai 1884 durch die Stadtverordneten „unter Berücksichtigung der bedeutenden Kosten der Rathhaus-Reparatur” abgelehnt.

Als drei Jahre später der Provinzialverein die Räume im Speicherstock für die Zeichenschule der Kunstgenossenschaft zur Verfügung stellen wollte, ergab die Bauuntersuchung durch Regierungsbaumeister Sümmermann, daß die Balkenlagen über Erdgeschoß und Oberstock erhebliche Mängel zeigten. Wegen der übermäßigen Spannweiten von 8,50 m hingen sie oben 8 cm, unten 15 cm durch, im Dachstuhl waren die Sparrenfüße nicht genügend gegen Schub gesichert, außerdem fehlte eine Längsverstrebung. Sümmermann machte einen Vorschlag zur Sicherung der Decken durch U-Eisen-Uberzüge und senkrechte Zugstangen, die an den Sparren unter dem First verankert werden sollten. Als Längsaussteifung des einfachen Kehlbalkendachstuhls zeichnete er große Andreaskreuze zwischen den Sparren. Das Gegengutachten von Stadtbaumeister Bender sah auch Zugstangen vor; diese sollten aber zur Entlastung der alten Sparren – und besonders der kritischen Punkte an den Sparrenfüßen – nur an den Kehlbalken montiert werden, die wiederum durch eine aufwendige Sprengbockkonstruktion unterstützt und durch Zangenhölzer mit Sprengböcken und Sparren verbunden werden sollten. Welche der beiden Lösungen schließlich mit den bewilligten 1.000 Mark ausgeführt wurde, ist nicht bekannt.

Von dem zweischiffigen Keller des Krameramtshauses war bisher noch nicht die Rede. Neun stämmige Sandsteinsäulen tragen die Gurtbögen und die Kreuzgratgewölbe mit ihren gebusten Kappen. Man konnte ihn auf drei Wegen erreichen: über die steinerne Wendeltreppe am Gang zwischen Saal und Hinterhaus und durch zwei breite Türen an der Traufseite. Der rundbogige Zugang vom Alten Steinweg her war schon seit langem vermauert. 1891 befand man, daß die nach außen aufschlagenden Kellertüren an der Kirchherrngasse geändert werden sollten. „Ein Öffnen der Thüren nach Innen ist bei den bestehenden rundbogigen, schräg absteigenden Eingängen ohne Weiteres nicht angängig”, deshalb schlug der Magistrat der Stadtverordneten-Versammlung vor, es solle eine gerade Abdeckung „in genügender Tiefe zur Aufnahme der Thürflügel” geschaffen werden. Die Kosten von 300 Mark wurden am 14. Oktober bewilligt; die Arbeiten wurden wie vorgeschlagen ausgeführt. Heute zeugt nur noch ein Backstein-Entlastungsbogen im Mauerstreifen unter dem Kranhäuschen von diesen alten Kellerhälsen; alle anderen Spuren sind getilgt.

Am 24. Juli 1896, zwölf Jahre nach dem Antrag des Stadtbaumeisters Bender, genehmigten die Stadtverordneten endlich den Kostenanschlag für die Wiederherstellung des Giebels, wobei auch die Ausbesserung der Täfelung im Steinwerk vorgesehen war. Die Arbeiten zur vollständigen Auswechslung aller Werksteinteile waren in vollem Gange, als der Provinzialkonservator Ludorff die Baustelle stillegen ließ. Es liege keine Baugenehmigung vor und die Werkzeichnungen seien äußerst mangelhaft, außerdem sei er „nach Vergleich der ausgeführten Steinhauerarbeiten mit den Abbruchsteinen keineswegs zu der Überzeugung gelangt [...], daß die Erneuerung unter genauester Beibehaltung der alten Formen erfolgt. Vielmehr werden ohne jede Sachkenntnis und ohne Rücksicht auf den früheren Zustand die durch die letzte Renovation verwischten Formen theils mechanisch nachgebildet, theils noch mehr verunglimpft. Dazu ist leider ein so hartes Material verwendet, daß kleinere Details nicht mehr zur Ausführung gelangen können.” Die Mängel wurden offenbar alsbald behoben und die Arbeiten fortgesetzt; am völlig erneuerten Giebel steht seitdem in der obersten Giebelstaffel die dritte Inschrift: “RENOVATVM . A . 1896.”

Ob man bei diesen Arbeiten auch die Täfelung im Steinwerk ausgebessert hat, ist aus den Akten nicht klar zu ersehen; denn diese Geschichte ging noch über Jahre weiter, zunächst fast tragisch und mit allerlei Verwirrungen, sie kam aber doch noch zu einem guten Ende.

Die Restaurierung der Täfelung

Am 22. April 1907 kündigte der Provinzialverein wegen des bevorstehenden Umzuges in das neuerbaute Landesmuseum am Domplatz seinen Mietvertrag von 1873 zum 1. Mai 1908. Am 1. April 1909 überließ die Stadt die Erdgeschoßräume dem Katholischen Bücher- und Lesehallen-Verein; das Obergeschoß nutzte eine Kunstmalschule.

Taefelung
Zwei Felder der Täfelung im Steinwerk. Die Datierung "ANNO 1621" hat Meister Henrich Paßmann zwischen Früchten und Fabelwesen in den Querfüllungen versteckt, 1911
© Westfälisches Amt für Denkmalpflege, Bildarchiv

Schon am 3. Januar 1906 hatte Museumsdirektor Dr. Brüning den Oberbürgermeister um die Überlassung der Täfelung für das Provinzialmuseum gebeten und hinzugefügt: „Sollte jemals der Raum im Krameramthause wieder im alten Sinne eingerichtet werden, so könnte ja an die Stelle des alten Getäfel, das ohnehin fast zur Hälfte erneuert werden müßte, eine getreue Copie. treten. Der Erhaltungszustand von Täfelung und Schnitzwerk war in der Tat bedenklich; denn nach einer Offerte von Bernhard Rincklake vom 13. Mai 1906 zur Ausbesserung der vorhandenen Teile, Neuanfertigung von ca. 20,5 qm fehlender Täfelung samt zwei einflügeligen Türen incl. Neuanfertigung von 23 m festen Sitzbänken mit Rahmen und Füllungen belief sich die Zahl der fehlenden und neu erforderlichen Schnitzereien auf:

  • 7 m Eierstab
  • 16 reiche Querfüllungen im Fries
  • 7 Bogenstücke
  • 14 Pilaster
  • 8 Mäanderbänder
  • 51 Ornamente mit Köpfen
  • 34 Kapitäle
  • 48 Füllungen unter den Säulen
  • 55 Löwenköpfe.


Rincklake erbot sich, die Arbeiten für 6.200 Mark auszuführen.

Die Stadtverwaltung war offenbar willens, sich der Täfelung zu entledigen. Sie berichtete der Stadtverordnetenversammlung am 5. Dezember 1909, Museumsdirektor Brüning sehe für das Getäfel eine große Gefährdung durch die Art der Benutzung des Raumes als Bücher- und Lesehalle, man müsse etwas gegen Brandgefahr und weiteren Verfall unternehmen. Die Schäden stammten aus den Jahren, in denen der Provinzialverein für Wissenschaft und Kunst Mieter des Krameramtshauses gewesen sei. Bedenken seitens der Denkmalpflege gebe es keine, da auch der Provinzialkonservator mit der Überweisung der Täfelung an das Museum einverstanden sei. Der Magistrat bitte um Zustimmung der Stadtverordneten zu dem Beschluß, das Holzwerk abzugeben.

Anscheinend sollte hier aber nur schon Vollzogenes „abgesegnet” werden; denn schon vorher, am 24. November 1909, rügte der Stadtverordnete Ebert die Entfernung der Täfelung und die Überweisung an das Museum und beantragte die Rückverweisung zum Krameramtshaus. Dem entsprachen die Stadtverordneten mit Beschluß vom 10. Dezember, außerdem seien Kostenanschläge für die Restaurierung der Täfelung und des Steinwerks vorzulegen.

Für gut zwei Jahre ruhte die Sache und drohte vollends im Sande zu verlaufen, als am 11. März 1912 der Magistrat vorschlug, die – immer noch – im Museum stehende Täfelung in das Krameramtshaus zurückzubringen und „vorläufig in dem Steinwerk alles in der bisherigen Weise zu belassen”. Die veranschlagten Wiederherstellungskosten von 8.000 Mark seien zu hoch, eine repräsentative Nutzung des Raumes sei nicht gegeben, außerdem sei die „jetzt vorhandene Täfelung nur ein Bruchteil der ursprünglichen”.

Dies rief nun Heimat- und Kunstfreunde auf den Plan. In einer gemeinsamen Eingabe vom 24. März 1912 betonten die Westfälische Provinzialkommission für Heimatschutz, die Kommission für Heimatschutz Ortsgruppe Münster und der Westfälische Kunstverein, daß Täfelung und Kamin eine historische künstlerische Einheit seien. Der Einbau im Museum sei sehr problematisch, ebenso die Ergänzung und Restaurierung unter Nachahmung der originalen Renaissanceformen. Notwendig sei die Wiederöffnung des vermauerten Kaminlochs, die Erneuerung von Wandputz und Tünche, die Wiederherstellung der alten Fensterkreuze (die zum Teil im Hof aufgeschichtet lägen), die Reinigung des völlig verschmierten Kamins und die Ergänzung der fehlenden Täfelungsteile durch einfache Wandschränke.

Diese Intervention hatte offenbar Erfolg. Am 24. Juli 1912 lag ein neuer Kostenanschlag für die Instandsetzung von Raum und Getäfel vor. Fehlende Teile sollten ersetzt, die vierte Wand aber ohne Imitation der alten in einfacher Täfelung komplettiert werden. Mit der Reinigung von Holzwerk, Decke und Kamin sowie der Anfertigung neuer Sitzbänke sollte alles in allem 4.500 Mark kosten. Der Magistrat schlug vor, die Mittel aus dem Reingewinn der Sparkasse zu bewilligen.

Dem folgten die Stadtverordneten mit Beschluß vom 21. August 1912, und knapp ein Jahr später, am 12. Juni 1913, konnte der Magistrat über den Abschluß der Arbeiten berichten. Während der Arbeit fand sich ein Stück der alten Nordwand-Vertäfelung im Hahnengebälk des Dachbodens wieder, so daß nunmehr die Nordwand wieder vollständig alt war. Die Kostenaufstellung von Bernhard Rincklake vom 1. März 1913 für die Restaurierung und Ergänzung – zu der man sich wohl nach diesem Fund doch entschlossen hatte – belief sich auf 3.552,75 Mark der Kostenanschlag war mit einem Gesamtbetrag von 4.584,15 Mark geringfügig überschritten.

Rincklake hat vorzüglich gearbeitet; denn nur bei gründlichem und geduldigem Hinschauen sind seine Ergänzungen durch die Schärfe und Perfektion des Schnitzwerks von den etwas weicheren, aber in der Oberfläche auch deutlicher gealterten Ornamenten des Meisters Henrich Paßmann zu unterscheiden. Daß tatsächlich große Teile der Vertäfelung ein Werk des späten Historismus sind, ist auf den ersten Blick nicht zu erkennen.

Krieg und Nachkriegszeit

Truemmerlandschaft
Das Krameramtshaus in der Trümmerlandschaft der ersten Nachkriegszeit. Blick vom Lambertikirchturm nach Osten über Alten Steinweg, Mauritzstraße und Sonnenstraße zum Mauritztor, 1946
© Westfälisches Amt für Denkmalpflege, Bildarchiv

Als die Luftangriffe auf Münster sich mehrten und die Bomben verheerende Schäden anrichteten, wurden die Schätze des Landesmuseums und anderes bewegliches Kunstgut ausgelagert und in Sicherheit gebracht. Bergungsort war unter anderem Schloß Wöbbel in Lippe; dort fand auch die Vertäfelung aus dem Steinwerk des Krameramtshauses eine provisorische Bleibe.

Bombenhagel und Feuersturm hatten das alte Gildehaus der Kramer ausgespart und verschont, doch ringsum war nahezu alles verbrannt, ausgeglüht oder zertrümmert. Ganz unversehrt war das alte Haus freilich auch nicht geblieben: Das Treppenhaus von 1874 am Rückgiebel war eingestürzt, Luftdruck hatte eine der Radzinnen vom Vordergiebel gefegt, das kleine Haus an der Kirchherrngasse mit der ehemaligen Küche war nur noch ein Trümmerhaufen Vor allem hatten aber die rundum eingeschlagenen Sprengbomben das Haus bis in die Grundfesten durchgerüttelt und erschüttert so daß 1945 sofort Sicherungsmaßnahmen erforderlich waren, um Teile des Gebäudes vor dem Einsturz zu bewahren. Schüler und Lehrer der Werkkunstschule packten uneigennützig zu und brachten die Sicherung zustande. Die Staffeln des Rückgiebels wurden dabei bis zur Dachfläche abgenommen, die neue Giebelschräge beigemauert und mit Mörtel abgedeckt.

Auch die benachbarte Lambertikirche war von den Bomben schwer mitgenommen, Teile der Gewölbe waren eingestürzt, die Kirche war unbenutzbar. Wegen der starken Zerstörungen erbat Pfarrer Uppenkamp die Erlaubnis, das Krameramtshaus als Notkirche herzurichten. Die Stadt teilte ihm am 24. April 1946 formell mit, daß sie die Räume des Krameramtshauses für die kirchliche Benutzung kostenlos überlasse. Die Kosten der Instandsetzung trug die Kirchengemeinde; die Schwierigkeiten bei der Materialbeschaffung zur Ausbesserung der Schäden löste man ‘auf Umwegen’. Architekt Hans Ostermann leitete die Arbeiten. Die Wände und Konsolen im großen Saal wurden ausgebessert und übertüncht, die Felder der Balkendecke mit den Malereien von 1589 mit Sperrholzplatten verschalt, die Balken überstrichen und die Dekoration der Balkenunterseiten erneuert. Schon am 3. März 1946 feierte man den ersten Gottesdienst, und über dem Eingang hing ein Chronogramm von Pfarrer Uppenkamp:

VBI PRIVS MERCATOR / VERSATVR BONVS SALVATOR / DILIGENS NVNC VENI, PIE PRECATOR”.

Für dreieinhalb Jahre hatte die Lamberti-Gemeinde hier ihre Notkirche, bis am 19. Oktober 1949 die angestammte Pfarrkirche mit einem feierlichen Pontifikalamt wiedereröffnet wurde.

Traufseite
Traufseite und Rückgiebel des Krameramtshauses 1947. Die Giebelstafeln sind abgenommen; die Trümmer der zerstörten Nachbarhäuser sind noch nicht geräumt
© Westfälisches Amt für Denkmalpflege, Bildarchiv

Alsbald ging man im städtischen Baupflegeamt daran, Pläne für die endgültige Sicherung des Baubestandes auszuarbeiten. Zusammen mit einem Neubau auf dem Nachbargrundstück Alter Steinweg 6 sollte das Krameramtshaus als Stadtbücherei dienen. Ähnliches war schon 1939 erwogen worden; damals plante man, das spätgotische Nachbarhaus mit dem Krameramtshaus zu vereinigen und im rückwärtigen Winkel hinter Nr. 6 einen Erweiterungsbau für die notwendigen Nebenräume zu errichten. Das in die Straße vorstoßende Vorderhaus wollte man im Erdgeschoß mit einem Arkadendurchgang öffnen. Ob und wieweit die Pläne von 1939 in den Nachkriegsjahren noch bekannt waren, läßt sich nicht mehr feststellen.

Als erster Bauabschnitt war 1948/1949 vorgesehen, „das Krameramtshaus in seiner ursprünglichen Gestalt wiederherzustellen” und an der Westseite des Hinterhauses einen Anbau mit dem Treppenhaus, Hausmeisterwohnung, Nebenräumen, Toiletten und dergleichen zu errichten. Dies hatte Vorrang vor dem zweiten Bauabschnitt, dem Neubau für die Freihandbibliothek auf dem Nachbargrundstück Alter Steinweg 6.

Zu Beginn der Bauarbeiten zeigte sich, daß die Balken der Geschoßdecke über dem großen Saal in ihren Auflagern angefault waren, außerdem war die Traufwand zur Kirchherrngasse unter dem Schub des schweren Dachstuhls aus dem Lot gedrückt. Man beschloß daher, zur Sicherung und Stabilisierung der Mauern Stahlbetondecken einzuziehen und einen leichten Dachverband aufzubringen. Von den 1945/1946 aufgedeckten Malereien an Balken, Deckenbrettern und Wänden ist in den ohnehin nicht sehr ergiebigen Akten keine Rede mehr. Diese wichtigen Befunde waren offensichtlich in Vergessenheit geraten.

Im Verlauf der Bauarbeiten schlug das Baupflegeamt vor, die im 17. (oder 18.) Jahrhundert eingebauten Fenster des Erdgeschosses, die sämtlich einer Erneuerung bedurften, durch die ehemals vorhandenen, großen dreiteiligen Luchten zu ersetzen. In der Außenansicht kam man damit dem ursprünglichen Zustand nahe; für das Innere gewann man viel Licht im Lesesaal im Vorderhaus, dem sog. Gildesaal, und für die ‘Trinkstube’, wie man damals in romantisierender Verklärung das Steinwerk nannte. Die ohnehin schmalen und durch die Erschütterungen geschwächten Sandsteinpfeiler zwischen den Fenstern wurden innen mit Doppel-T-Trägern verstärkt, außerdem mußten sie ja nun die erheblich größeren Lasten aus den Betondecken aufnehmen und ableiten. Die dünnen Innenwände des Steinwerks, die Südwand zum Saal und die Westwand zum Hofdurchgang, wurden abgebrochen und mit veränderten Türöffnungen neu aufgemauert, merkwürdigerweise aber mit dem oben erwähnten Versprung in der Westwand, der auf die Anlage des Treppenhauses von 1874 zurückging.

Weitere Einbußen an originaler Bausubstanz hatte der Anbau an der Westseite des Hinterhauses zur Folge. Zugunsten des Treppenhauses und der Nebenräume wurde hier ein Drittel der westlichen Traufseite niedergelegt, mitsamt wohlerhaltenen Steinkreuzfenstern und mit dem schmalen Abortanbau von 1589, den seit jeher ein steil nach Norden geneigtes Pultdach abdeckte. Gleichzeitig verschwand die steinerne Wendeltreppe, die vom Erdgeschoß in den Keller hinabführte.

Die Stuckdecke im Steinwerk ließ sich beim Einbringen der Stahlbetondecken ebensowenig halten wie die bemalten Holzdecken über dem großen Saal. Immerhin machte die Modellwerkstatt des Baupflegeamtes Abdrücke von den ornamentalen Teilen, nachdem im Oktober 1949 „ein großer Placken” der Decke abgestürzt war. Sie wurden in der Werkstatt überarbeitet, und die aus diesen Formen gegossenen Stuckteile wurden der Betonbalkendecke appliziert. Doch die neue Stuckdecke ist keine genaue Wiederholung der originalen, sondern allenfalls eine freie Nachschöpfung. Nicht nur, daß man sich großzügig über die alte Komposition hinwegsetzte, auf die originellen Kreis- und Zangenformen der zweiten Bahn verzichtete und die Anordnung der Zierstücke willkürlich veränderte : Es fehlen auch verschiedene Motive wie die großen Fächer, die hängenden Pyramiden, die länglichen Diamantquader mit ihren Rollwerkrahmen und der kleine Kaiserkopf im Lorbeerkranz. Zudem sind die ursprünglich wohl freihändig angetragenen und deshalb unregelmäßig-lebendig ausgefallenen Profil- und Rahmenleisten heute von exakter Schärfe und Geradlinigkeit, die in ihrer starren Kühle schwer erträglich ist. Fast scheint es, als habe niemand vor der Rekonstruktion der Decke die Abbildungen bei Geisberg zur Kenntnis genommen und zu Rate gezogen.

1950 kehrte die Vertäfelung des Steinwerks aus Schloß Wöbbel, wo sie – wieder einmal – zu verfallen drohte, nach Münster zurück, zunächst in die Werkstatt der Firma Rüther, Goldstraße 1. Dort wurde sie im folgenden Jahr instandgesetzt und im April 1951 wieder im Steinwerk eingebaut. Über der Tür steht seit dem das Chronogramm MERCATOR CONCORS/CEDENS LIBRO (Der Kaufmann weicht in Eintracht dem Buch).

Der große Kamin, den Tophoff 1876 ‘ein wunderliches Kunstwerk von etwas plumper Ausführung’ genannt hatte, an dem ‘überall in strotzender Üppigkeit angebrachtes Kraut- und Schnörkelwerk abstößt’ und dessen Aufbau er als ‘wahrhaft komisch’ empfand, hatte alle Unbilden des Krieges überstanden. Zugrunde gegangen war dagegen der Prunkkamin von 1577 im Friedenssaal des Rathauses. Da man die 330-Jahr-Feier des Westfälischen Friedens am 24. Oktober 1948 aber in einem vollständig wiederhergestellten Friedenssaal begehen wollte, wenn schon das Rathaus selbst noch eine traurige Ruine war, setzte man kurzerhand den Krameramtshaus-Kamin in das Rathaus um. Der Alte Kamin der Ratskammer hatte mit seinem Figurenprogramm und dem Salomonischen Urteil am Sturz eine enge Beziehung zur Funktion des Raumes als Gerichtssaal. Dass der Krameramtshaus-Kamin mit seinem auf die wohlhabenden Kaufleute und ihre üppigen Bankette zugeschnittenen ikonographischen Porgramm, dem Gleichnis vom reichen Prasser und dem armen Lazarus, einen Bezug zu seinem neuen Standort vermissen ließ, ja hier geradezu verfehlt war, störte offensichtlich niemanden. Aus seinem ursprünglichen Bau- und Sinnzusammenhang gerissen, wurde er zum reinen Dekorationsstück herabgewürdigt.

Ersatzkamin
Der Ersatzkamin von 1631 im Krameramtshaus stammt aus einem Bürgerhaus in Haltern
© Westfälisches Amt für Denkmalpflege, Vössing

Aber nun brauchte man im Krameramtshaus einen Ersatz für das abgegebene Prunkstück. Zunächst dachte man daran, unter Verwendung der 1771 vorn unter die Wangen gestellten Säulen (die nicht mit in das Rathaus gewandert waren) einen neuen Kamin mit Wappen und Inschrift aus Baumberger Sandstein herstellen zu lassen. Von Leopold Hüffer kam um die Jahreswende 1950/1951 der Vorschlag, einen Kamin aus dem Landesmuseum als Dauerleihgabe zu übernehmen. Dem standen allerlei Bedenken entgegen, doch einigte man sich schließlich im April 1951 auf einen Tausch: Das Landesmuseum erhielt ein doppelseitig bemaltes Bild der Dürerschule, das wegen seines mäßigen Erhaltungszustandes seit Jahrzehnten im Stadtarchiv magaziniert war, und gab dafür einen Kamin ab, der aus einem Halterner Bürgerhaus stammt und am Sturz in Rollwerkkartuschen die Wappen eines unbekannten bürgerlichen Paares und die Inschrift “SOLI DEO GLORIA 1631” trägt.

Pünktlich zum Beginn des Kongresses der Bibliothekare war das Krameramtshaus am 17. Mai 1951 so weit fertiggestellt, daß es bezogen und benutzt werden konnte. Es diente freilich nicht allein der Stadtbücherei, sondern mußte bei der immer noch drückenden Raumnot in vier Räumen das Kulturdezernat, die städtische Pressestelle und die Lehrerbücherei aufnehmen und daneben in drei Räumen und Teilen des Kellers als provisorischer Unterschlupf für das Stadtarchiv dienen – ein Provisorium, das – wie so oft – von erstaunlicher Zäh- und Langlebigkeit war. Die Freude und Genugtuung war auf allen Seiten groß. Das Haus war ja auch prächtig wiederhergestellt worden, nicht nur im Außenbau mit den hohen dreibahnigen Fenstern oder im Steinwerk, wo Kamin, Täfelung und Decke wenigstens ungefähr ein Raumbild aus dem ersten Drittel des 17. Jahrhunderts vermitteln. Auch der Lesesaal mit den soliden geschreinerten Regalen und Täfelungen und der dekorativ-starkfarbigen Deckenmalerei der Gildewappen von der Hand des Kunstmalers E. Hermanns war als Neuinterpretation einer historischen Raumhülle gelungen.

Zwar hatte es während der Arbeiten auch herbe Kritik am Aufwand gegeben, der am und im Krameramtshaus getrieben wurde, doch begegnete der Text zur Pressebesprechung vom 16. Mai 1951 den Einwänden mit dem Hinweis, „daß nahezu das gesamte Parkett des Gildesaales und der Trinkstube wie auch die gesamten zu erneuernden Fenster aus dem alten Balkenholz geschnitten noch verwendungsfähig war”. Auch hatte man Backsteine aus zerstörten Häusern verwenden können.

Die letzte größere Baumaßnahme war die Restaurierung des Rückgiebels 1953 und die Rekonstruktion seiner Giebelstaffeln. Nahezu das gesamte Mauerwerk war mürbe und mußte ersetzt werden, ebenso die völlig verwitterten Werksteinteile. Im Einvernehmen mit dem Kultusministerium in Düsseldorf verzichtete man dabei allerdings –  und leider- auf die Halbräder, die den Giebel nachweislich in seiner ursprünglichen Gestalt bekrönt hatten. Alerdincks Vogelschauplan von 1636 zeigt sie, zwar klein, aber eindeutig.

Schon im Jahre 1951 wurde der Neubau auf dem Grundstück Alter Steinweg 6 fertig und in Betrieb genommen. Seine Giebelfassade nun doch wegen der schon lange erwogenen Straßenverbreiterung zurückgenommen – erinnert von fern an das spätgotische Haus, das hier ehemals seinen Platz hatte. Sie steht würdig, aber bescheiden neben dem geschichtsträchtigen Nachbarn. Ein Giebelfenster bekrönt das münsterische Stadtwappen, und das Türsturzrelief von Hilde Schürk-Frisch deutet vielsagend auf die Zweckbestimmung des Hauses: “HABENT SVA FATA LIBELLI”- Bücher haben ihre eigenen Schicksale.

Bedenkt man in der Rückschau die Geschichte des Krameramtshauses und seiner Veränderungen im Laufe der 400 Jahre, so muß man in der Bilanz mit Betrübnis feststellen, daß vom alten Haus kaum mehr als die gewölbten Keller, zweieinhalb Außenwände bis zur Traufe und – freilich beträchtliche – Teile der Steinwerk-Vertäfelung noch zur ursprünglichen Substanz gehören. Alles andere entstammt den verschiedenen Phasen des Umbaus und der Erneuerung. Ganz entscheidende Einbußen hat das Haus in seiner jüngsten Geschichte hinnehmen müssen, in einer Zeit, die sich expressis verbis vorgenommen hatte, „das Krameramtshaus in seiner ursprünglichen Gestalt wiederherzustellen”. Freilich, im Nachhinein ist der Unbeteiligte immer klüger, und es wäre unbillig, die Planer und Bauherren über Gebühr zu schelten. Doch muß es auch erlaubt sein zu fragen, ob sie denn immer und überall mit der notwendigen Sorgfalt, Behutsamkeit und Ehrfurcht vor dem überkommenen Erbe ans Werk gegangen sind und ob nicht auch Kräfte im Spiel waren, die bewußt gestalten und Altes mit Neuem verbinden wollten. Die Öffentlichkeit glaubt, ihr Krameramtshaus sei noch oder wieder das alte, das einzige erhaltene Haus einer münsterischen Gilde. Doch der Schein trügt; und angesichts der verworrenen und nicht immer rühmlichen Geschichte dieses alten Hauses möchte man den Spruch über der Tür zum neuen Haus abwandeln: “HABENT SVA FATA MONVMENTA”.

Quelle: Korn, Ulf-Dietrich: Das Krameramtshaus – Wandlungen eines Baudenkmals oder: Vom Umgang mit der Geschichte, in: Jakobi, Franz-Josef (Hrsg.): Das Krameramtshaus zu Münster 1589 bis 1989. Zeugnis für 400 Jahre Stadtgeschichte, Münster: Regensberg  1989, S. 9-60.